Reisen zu Zeiten Heinrich Heines

24. August 2024 | Ausgabe 4 / 2024 Reisen, Gesellschaft, Susanna Allmis-Hiergeist | 0 Kommentare

„Die Chaise wackelt im Schlamme …“


Susanna Allmis-Hiergeist


Heine_Traxler_Deutschland._Ein_Wintermaerchen_© Philipp Reclam jun. Verlag GmbH,

„Sie können sich nicht vorstellen, wie zagen und bangen Sinnes ich während der dreistündigen Fahrt im Postwagen saß“, schreibt Heinrich Heine 1837 an den Dramatiker und Theaterregisseur August Lewald. Mäßig befestigte Fahrwege und die unzureichende Federung der Gefährte machten in Summe die Aussicht auf einen Ausflug in der Postkutsche nur mäßig reizvoll. Trotz vieler Verse auf den verheißungsvollen Klang des Posthorns war es in jener Zeit nicht unüblich, vor Antritt der Reise in der Karosse noch schnell eine Messe lesen zu lassen oder gar, wie der Prediger Schmälzle bei Jean Paul, ein paar Arm- und Beinschienen im Gepäck mitzuführen.

Nützliche Ratschläge für die „Vornehmsten Europäischen Reisen“ sind bereits im 18. Jahrhundert unter dem gleichnamigen Titel in einem Hamburger Verlag erschienen. Im Vorwort zu allerlei Kuriosem und Nützlichem werden nicht vorrangig Erholung und Genuss als Zweck des Reisens beschrieben: „Die göttliche Vorsehung hat diesen großen Welt-Garten so weislich angeleget, daß sie die Blumen herrlicher Künste durch alle Völcker zerstreuet, und also eine Landschaft nicht alle Vollkommenheit allein besitzet. In dem prächtigsten Garten mangeln manichmal etliche heilsame Kräuter, und wohlriechende Blumen, so man öfters auf der geringsten Bauer-Wiese findet: Und bey den geringsten Völckern kann man oftmals eine der schönsten Staats-Regeln lernen.“

Auch nach damaligem Verständnis konnte Reisen das eigene eingegrenzte Weltbild erweitern, mit fremden Gesetzen und Gebräuchen bekannt machen, jedoch auch helfen, die eigenen Güter wertzuschätzen. Dies ließe sich nicht mit weniger Kosten und Gefahr aus Journalen lernen, sondern müsse in „würcklichen Augenschein“ genommen werden.

Aufbruchstimmung

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Europa von Nord nach Süd, von Ost nach West durchreist, in der Regel in der Kutsche, auf einigen Strecken standen auch schon Eisenbahnen zur Verfügung. Eine so genannte „Grand Tour“, die zumindest Paris, Venedig, Rom und Neapel ansteuerte, gehörte traditionell zum Pflichtprogramm junger Leute aus der Oberschicht. Im Verwandten- und Bekanntenkreis der Familie im Ausland von Hand zu Hand gereicht, ließen sie sich den verordneten persönlichen und kulturellen Schliff unter relativ behüteten Verhältnissen bei Teegesellschaften und Soireen verabreichen.

Eine neue Epoche allgemeiner Mobilität hat bereits begonnen, als Heinrich Heine zu seinen Unternehmungen aufbricht, eine Form der Mobilität, die auch weniger begüterte Kreise in den Stand der Zugvögel versetzt. Pro deutscher Meile sind für die Fahrt mit der Ordinari, der Normalpost, fünf Silbergroschen zu zahlen, das ist erschwinglich. Zudem ist das Trassennetz dichter geworden. Neben dem schon seit 300 Jahren existierenden fürstlichen Thurn und Taxis Transportservice betreiben die bedeutendsten Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes eigene Landesposten und die farbenprächtig uniformierten Postillione flößen eine oft trügerische Hoffnung auf zuverlässige Beförderung ein. Die beginnende Ära des modernen Massentourismus ruft nach illustrierten Schilderungen dessen, was die Reisenden in der Fremde erwartet, letztendlich auch als Surrogat für alle diejenigen, die das Spannende nicht aus eigener Anschauung erleben können.

Reisebilder

Postkutsche by_Roland Samson_pixelio.de

Heinrich Heine reist also von Berufs wegen, um sich zu reiben, Ideen zu sammeln, den eigenen Kurs zu justieren. Der Poet muss die Welt kennen, hatte schon Petrarca gesagt. Heines zwischen 1825 und 1830 in mehreren Bänden veröffentliche „Reisebilder“ schildern Erkundungen von Harz und Nordseeküste, aber auch Fahrten nach England und Italien. Obwohl schon zuvor Gedichte und Dramen von ihm erschienen sind, gelingt ihm mit diesen tagebuchartigen Skizzen der eigentliche Durchbruch als Schriftsteller.
Heines Reisenotizen entwerfen sparsam kolorierte, fast schwebende Bilder, im schnellen Wechsel mit Scherz, Ironie bis hin zu beißender Satire. Genüsslich nimmt er die Eigenheiten der besuchten Stätten, ihrer Bewohner sowie seine Mitreisenden aufs Korn, unter denen sich zur damaligen Zeit besonders viele Engländer befunden haben müssen.

„Sie durchziehen das ganze Land in Schwärmen, lagern in allen Wirtshäusern, laufen überall umher, um alles zu sehen, und man kann sich keinen italienischen Zitronenbaum mehr denken ohne eine Engländerin, die daran riecht, und keine Galerie ohne ein Schock Engländer, die, mit ihrem Guide in der Hand, darin herumrennen, und nachsehen, ob noch alles vorhanden, was in dem Buch als merkwürdig erwähnt ist.“

Nicht gerade als blinder Passagier, aber zum „Super-Sparpreis“ konnte man auch damals schon reisen. Denn wenn ein Platz in der Kutsche frei war, nahmen die Postillione gegen ein kleines Entgelt auch Anhalter mit. So entkam beispielsweise Hans Christian Andersen, ein Zeitgenosse Heines, auf diese Weise bereits als Vierzehnjähriger der Enge seines Elternhauses. Ein Auftakt zu fast dreißig langen Reisen, per Post, per Boot bis an die damaligen Außengrenzen Europas, die ihm immer neue Inspirationen für seine märchenhaften Geschichten lieferten.

Wintermärchen

Heine ist die politische Rückständigkeit in Deutschland ein Gräuel und das bringt er auch klar zu Papier. Scharf attackiert er das militante deutsche Nationalgefühl, dem jedes demokratische Selbstbewusstsein fehle, die Dumpfheit der Burschenschaften, den Franzosenhass und die rückwärtsgewandte Schwärmerei für das Mittelalter. Mit seiner Kritik steht er nicht allein. Nach der französischen Julirevolution von 1830 erreichen die engagierten Autoren des Vormärz ein zunehmend breiteres liberales Publikum, sehen sich im Gegenzug jedoch umso stärkeren Repressionen und Einschränkungen der Pressefreiheit ausgesetzt. Der Anfeindungen und der Zensur überdrüssig, siedelt Heine im Jahr 1831 nach Paris um.

Wintermärchen © Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Ausschnitt

In der französischen Kapitale, unter fortschrittlichen Köpfen von unterschiedlichster Profession und Couleur, verfasst Heine eine wahre Flut von Essays, politischen Artikeln, Gedichten und Prosatexten. Nach dreizehn Jahren im Exil besucht er noch zweimal seine frühere Heimat, hin- und hergerissen zwischen Verachtung und Sehnsucht. Er reist inkognito in der Postkutsche zu seiner Mutter nach Hamburg, durch ein Land, in dem seine Schriften verboten und seine Anwesenheit unerwünscht ist. Die Wiederbegegnung mit seiner Hassliebe hält er in dem Gedicht „Deutschland. Ein Wintermärchen“ fest. „Ein feuchter Wind, ein kahles Land, die Chaise wackelt im Schlamme …..“; bereits an der Grenze bei Aachen durchstöbert der Zollbeamte sein Gepäck nach Waren und „konfiszierlichen Büchern“. Unfreundlich grüßt der reichsbezeichnende Vogel vom Posthausschild. Doch noch witzelt Heine:

Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!/ Hier werdet ihr nichts entdecken!/ Die Contrebande, die mit mir reist,/ Die hab ich im Kopfe stecken.

Über Köln geht die Reise weiter in den Teutoburger Wald, wo im „klassischen Morast“ schon Varus stecken blieb und der Dichter nur knapp um den Einsatz der Jean Paul’schen Arm- und Beinschienen herumkommt.

Im nächtlichen Walde humpelt dahin/ Die Chaise. Da kracht es plötzlich –/ Ein Rad ging los. Wir halten still./ Das ist nicht sehr ergötzlich.

Während der Postillion ins nächste Dorf eilt, lauscht Heine den mitternächtlichen Geräuschen des Waldes und hält eine Ansprache an die ihn umheulenden „Mitwölfe“. Hinter Paderborn werden die Straßen offenbar auch nicht besser und das rumpelnde Gefährt versetzt den Dichter in seltsame Träume. Er begegnet dem alten Kaiser Barbarossa, dem er die vielfältigen Errungenschaften der Französischen Revolution auseinandersetzt. Einer der Schlussverse der Winterreise lautet:

Es wächst heran ein neues Geschlecht,/ Ganz ohne Schminke und Sünden,/ Mit freien Gedanken, mit freier Lust –/ Dem werde ich alles verkünden.

Eine schön gestaltete Ausgabe des Wintermärchens ist mit Illustrationen von Hans Traxler bei Reclam erschienen.
Ankommen
Die Fahrt nach Hamburg ist Heines letzte Reise, bevor er an seine „Matratzengruft“ gefesselt bleibt. Seine Vision eines neuen Deutschlands sollte so bald nicht in Erfüllung gehen.

Für Heine wie auch für andere romantische Dichter wie Joseph von Eichendorff war die Postkutsche als Metapher mit den Themen Aufbruch und Ferne, dem Gefühl der Heimatlosigkeit und Flüchtigkeit, aber auch mit der Sehnsucht nach festeren Wurzeln verbunden. In Paris habe er ein neues Schiff bestiegen, schreibt Heine an H.C.Andersen. Ob er damit das Ziel seiner Reise erreicht hat? An seinem Grab auf dem Friedhof Montmatre, umgeben von hochgeständerten lebhaften Verkehrsachsen, fand ich in einem Heinebändchen folgende Zeilen:

Eine große Landstraß ist unsere Erd/ Wir Menschen sind Passagiere;/ Man rennet und jaget zu Fuß und zu Pferd,/ Wie Läufer oder Kuriere.
Man fährt sich vorüber, man nicket, man grüßt/ Mit dem Taschentuche aus der Karosse;/ Man hätte sich gerne geherzt und geküßt,/ Doch jagen von hinnen die Rosse.

Menschen als Passagiere, das Reisen ein existenzieller Dauerzustand, Reisen somit ein Fitnessprogramm zur Bewältigung und Gestaltung neuer Wirklichkeiten.

Später eine Spurensuche im Internet über Heines Streifzüge durch Länder und Kulturen. Neben hilfreichen Hinweisen präsentiert die Suchmaschine unter den Stichworten „Heine“ und „Diligence“, dem früheren Wort für Eilpost, wie üblich eine Menge Treibsand, zum Beispiel eine Diplomarbeit zum Thema „Financial Due Diligence im Rahmen von Unternehmensaquisitionen“, angefertigt an der Heinrich-Heine-Universität zu Düsseldorf.
Und wie häufig steckt in diesem eher abseitigen Link am Ende doch noch eine Botschaft: Es gibt sie jetzt, die Heinrich-Heine-Universität, auch wenn der Dichter in Deutschland noch lange schlecht gelitten war und es zwanzig Jahre Streitereien gebraucht hat, bis die Universität seiner Geburtsstadt Anfang der achtziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts nach seinem Namen benannt wurde.

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