EIN GUTES LEBEN FÜR ALLE
Verena Mandt
Was wie ein Werbeslogan für eine politische Partei klingt, ist tatsächlich das Ziel einer weltweit wachsenden Bewegung, die wirtschaftliches Denken komplett revolutionieren möchte. Die praktische Umsetzung findet dabei verschiedene Formen. Während sich Unternehmen mithilfe von Gemeinwohl-Bilanzen kritisch selbst hinterfragen und Transparenz schaffen, stellt die solidarische Landwirtschaft die klassische Rollenverteilung von Produzent und Konsument grundsätzlich in Frage. In allen Fällen jedoch soll die gemeinsame Wirtschaftskraft dazu genutzt werden, möglichst viel Positives für alle – Mensch und Umwelt – zu bewirken.
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)
Sie versteht sich als nachhaltiges Wirtschaftssystem mit dem Ziel eine ethische Wirtschaftskultur zu etablieren. Ihre zentralen Werte sind Menschenwürde, ökologische Verantwortung, Solidarität und soziale Gerechtigkeit,demokratische Mitbestimmung und Transparenz.
Teilnehmende Unternehmen erstellen hierzu eine Matrix, in der sie die fünf Berührungsgruppen Lieferanten, Eigentümer und Finanzpartner,
Mitarbeitende, Kunden und gesellschaftliches Umfeld auf diese Werte überprüfen undentsprechend Punkte vergeben. Das Ergebnis ist die Gemeinwohl-Bilanz, eine neue wirtschaftliche Kennzahl, die den Beitrag des Unternehmens zum Gemeinwohl transparent und vergleichbar macht.
Im Gegensatz zu anderen Zertifikaten ist der Prozess der Gemeinwohl-Bilanzierung jedoch auch als Überprüfungstool für Unternehmen zu werten, um herauszufinden, wo sie gerade stehen und was sie noch besser machen können. Ein Aspekt, der auch Susanne Blazejewski, Professorin an der Alanus Hochschule Alfter, dazu brachte, eine Kooperation der wirtschaftlichen Studiengänge mit GWÖ-Beratern und interessierten Unternehmen ins Leben zu rufen. In einem Praxismodul übernahmen die Studierenden die Erstellung der Bilanzen von jeweils einem von drei Bornheimer Unternehmen. Die Berichtsentwürfe wurden am 30.01. präsentiert und werden nun mithilfe von zertifizierten GWÖ-Beratern überprüft und validiert. Sowohl für die Studierenden als auch für die Unternehmen war der vorausgegangene Prozess, der mehrere Interviewrunden beinhaltete, ein sehr intensiver. Dabei wurde deutlich, dass die Gemeinwohl-Ökonomie für alle Branchen geeignet ist, wenn auch jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden muss bzw. darf. „Es gibt kein Schema X, individuelle Lösungen für Nachhaltigkeit sind gefragt,“ fasst auch Studentin Renata Meyer ihre Eindrücke von der Zusammenarbeit mit der Bornheimer Immobilienagentur Dalitz zusammen. Diese gehörten neben dem Bäckereibetrieb Nelles und dem Biohof Apfelbacher zu den ersten Unternehmen, die sich auf dieses Projekt eingelassen haben. Ihr klares Fazit: Die Arbeit lohnt sich. So ist es auch keine Überraschung, dass sich bereits weitere Unternehmen für eine Wiederholung der Kooperation gemeldet haben.
Auch die Hochschule selbst könnte vielleicht bald eine Gemeinwohl-Bilanz erhalten, zumindest wenn es nach Rektor Hans-Joachim Pieper geht. Zwar ist die Hochschule, deren BWL-Studiengang unter dem Motto „Wirtschaft neu denken“ steht, bereits auf einem guten Weg, doch gebe es auch noch einige Ansatzpunkte für Verbesserungen, etwa im Bereich der Stromversorgung, der Mobilität oder der Mensa.
2010 in Wien gegründet umfasst die zivilgesellschaftliche Organisation der Gemeinwohl-Ökonomie mittlerweile über 4.000 Mitglieder aus 35 Ländern. 1014 Unternehmen haben in der Zeit eine Bilanz erstellt. Sicher ein Erfolg, den man feiern könnte. Doch die Forderungen der GWÖ richten sich auch an die Politik. Zukünftig sollten bei der Bewertung von Wohlstand nicht nur finanzielle Aspekte betrachtet werden. Vielmehr solltegeprüft werden, welche gesamtgesellschaftliche Leistung ein Unternehmen erbringt. Gleiches gilt für die Betrachtung auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene. Hier setzt die GWÖ mit dem Gemeinwohlprodukt einen Gegenpol zum herkömmlicherweise betrachteten Bruttoinlandsprodukt. Während letzteres nur Produktion und Verkauf von Gütern und Dienstleistungen betrachtet, bewertet das Gemeinwohlprodukt ökologische Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Teilhabe, Chancengleichheit, Lebensqualität und den Beitrag zur Gesellschaft.
Vom Konsumenten zum Produzenten.
Einen Schritt weiter geht das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi). Hier schließen sich mehrere Haushalte mit einem (oder mehreren) landwirtschaftlichen Betrieb(en) zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zusammen und übernehmen einen Teil der Aufgaben, die normalerweise in den Bereich des produzierenden Betriebes fallen würden. Neben der Vorfinanzierung der Betriebskosten sind dies auch Entscheidungen darüber, was und wieviel angebaut wird und welche
Investitionen getätigt werden. Je nach SoLaWi fallen zu den jährlich festgelegten, meist monatlich zu zahlenden Beiträgen auch Arbeitsleistungen für die Mitglieder an. Im Gegenzug erhalten diese die gesamte Ernte.
Diese Form des bedarfsorientierten Wirtschaftens hat sowohl für die Verbraucher*innen als auch für die produzierenden Betriebe und nicht zuletzt für die Umwelt gravierende Vorteile. Für die produzierenden Betriebe steht vor allem die finanzielle Sicherheit im Vordergrund. Landwirtschaftliche Betriebe sind in der Regel abhängig von Subventionen und Weltmarktpreisen, nicht selten zu Lasten von Tieren oder Böden. Durch die gesicherte Abnahme und Finanzierung entfällt der finanzielle Druck und es bleibt mehr Handlungsraum für Tier- und Naturschutz. Die SoLaWi kann somit eine wichtige Rolle bei der Existenzsicherung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe spielen und so die lokale Wirtschaft stärken. Die Konsument*innen auf der anderen Seite können sich über völlige Transparenz, gute Qualität und frische, regionale Lebensmittel freuen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Vermeidung von Verpackungsmaterialien und CO2 durch die kurzen Transportwege, was vor allem der Umwelt zugute kommt.
Darüber hinaus steht auch das solidarische Miteinander im Mittelpunkt dieser Wirtschaftsform. Nicht nur die Ernte, sondern auch Verantwortung, Risiko und Kosten werden geteilt. Um Finanzschwächere nicht auszuschließen, bieten viele SoLaWis das Prinzip des solidarischen Bietens an. Hierbei wird ein Richtwert vorgegeben, der sich aus der Summe der anfallenden Kosten aufgeteilt auf die Ernteeinheiten ergibt. Für die SoLaWi Bonn/Rhein Sieg, die 2013 als Teil der Initiative Bonn im Wandel entstanden ist, liegt dieser z. B. bei 97,50 €/Monat für das kommende Erntejahr. Kann jemand diese Summe nicht aufbringen, bietet er oder sie weniger. Finanzstärkere Mitglieder können dann freiwillig mehr bieten, um die Differenz auszugleichen, die Gesamtsumme muss schließlich erreicht werden.
Wer noch Interesse hat, im neuen Wirtschaftsjahr (Beginn Anfang März) mitzumachen, kann sich unter info@solawi-bonn.de melden. Auch das Teilen einer Ernteeinheit mit einem anderen Haushalt ist möglich. Die Ausgabe der Ernte erfolgt wöchentlich (im Winter alle zwei Wochen) über eines der acht Depots im Verteilgebiet, das von Bornheim bis Hangelar und Friesdorf reicht. Angebaut werden die Lebensmittel auf dem Hof des Bio-Gemüsebaubetriebs Tönneßen in Bornheim Roisdorf auf eigens dafür gepachteten Feldern. Diese werden allerdings nicht von dem Betrieb selbst, sondern von bei der SoLaWi angestellten Gärtner*innen bewirtschaftet. Unterstützende Aufgaben, wie zum Beispiel das regelmäßige Gießen der Jungpflanzen im Sommer, übernehmen auf freiwilliger Basis aber auch die Mitglieder.
Gemeinschaft statt Profit
Mitanpacken, das müssen und wollen auch die Mitglieder des ‚Köllektiv‘, einer Genossenschaft in Köln, die vor etwa einem Jahr mit dem Ziel gegründet wurde, einen eigenen Supermarkt zu eröffnen, in dem Gemeinschaft, Mitbestimmung und Nachhaltigkeit gelebt werden. Das Prinzip der genossenschaftlichen Supermärkte ist ziemlich einfach. Die Genossenschaft kauft Lebensmittel zu Großhandelspreisen ein und verkauft sie zum Selbstkostenpreis an ihre Mitglieder weiter. Diese müssen dafür regelmäßige Dienste im Supermarkt übernehmen. Im ‚Köllektiv‘ ist dies aktuell eine 3-Stunden-Schicht alle vier Wochen, die Tätigkeiten hängen dabei von den persönlichen Fähigkeiten der Mitglieder ab. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich freiwillig in AGs und Projekten einzubringen. Ziel der Kölner Genossenschaft ist es, dass sich alle Menschen ökologisch und fair produzierte Lebensmittel leisten können, ohne dass Mensch oder Tier hierfür ausgebeutet werden.
Während man in Köln noch auf der Suche nach einem geeigneten Ladenlokal ist, zeigen SuperCoop in Berlin und FoodHub München bereits, dass das Konzept funktioniert. Der Weg zum eigenen Ladenlokal war jedoch auch bei diesen nicht ganz einfach. In München wurde zunächst eine Einkaufsgemeinschaft gegründet, die sich von ausgewählten Biobauern aus der Region beliefern ließ, bevor dann schließlich im Juli 2021 der Supermarkt eröffnet werden konnte. In Berlin richtete man erstmal einen Online-Shop mit diversen Abholstellen ein, bis der ideale Standort und eine geeignete Immobilie gefunden wurden. Dank kräftiger Unterstützung durch eine Crowdfunding-Kampagne konnte auch hier schließlich im September 2021 ein Supermarkt eröffnet werden. Mittlerweile liegen die Mitgliederzahlen von beiden Genossenschaften im vierstelligen Bereich, Tendenz steigend.
Hohe Mitgliederzahlen bedeuten hier nicht nur viele helfende Hände. Da jedes Mitglied Genossenschaftsanteile erwerben muss, um der Genossenschaft beizutreten, steigt somit auch das zur Verfügung stehende Kapital. Um Köllektivista zu werden, wie sich die Kölner Genossen selbst bezeichnen, müssen mindestens zwei Anteile zu je 50 € erworben werden, ggf. in Ratenzahlung. Dafür sind die Mitglieder dann auch Miteigentümer*innen und können demokratisch mitentscheiden. Wer sich für eine Mitgliedschaft im Köllektiv interessiert, besucht am besten einen der regelmäßig stattfindenden Infoabende. Termine und weitere Infos gibt es unter https://www.koellektiv.org.
0 Kommentare