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Eigentlich ist das im Standortauswahlgesetz festgelegte öffentliche Beteiligungsformat „Fachkonferenz“ zur Suche eines Atommüllendlagers mit dem dritten Beratungstermin am 6./7.8. 2021 abgeschlossen. NGOs, Gebietskörperschaften, Wissenschaftler*innen und unabhängige Bürger*innen haben über einen Zeitraum von neun Monaten engagiert diskutiert und werden in Kürze einen gemeinsamen Abschlussbericht vorlegen. Wir berichten, wie es weiter geht.
Susanna Allmis-Hiergeist
Was bisher geschah: In der Phase 1 der Endlagersuche sollen Standortregionen identifiziert werden, die für eine übertägige Erkundung in Frage kommen. In einem ersten Schritt dieser Phase 1 hatte die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) einen „Zwischenbericht Teilgebiete“ vorgelegt, der über 50 Prozent der bundesrepublikanischen Fläche als endlagertauglich ausweist. Dabei wurde die geologische Bewertung der sehr unterschiedlich großen Gebiete auf weite Strecken mit gesteinsspezifischen Referenzdaten aus der Literatur durchgeführt; von den Regionen gelieferte „echte Daten“ zum Beispiel aus Bohrungen wurden mitunter gar nicht berücksichtigt. Auf dieses etwas substanzreduzierte Werk hatte man nun das für Phase 1 vorgesehene erste öffentliche Partizipationsformat im Auswahlverfahren, die Fachkonferenz, angesetzt.
In drei Beratungsterminen wurde von Oktober 2020 bis August 2021 von der Öffentlichkeit selbstorganisiert diskutiert und protokolliert. Entgegen der Skepsis auch aus den eigenen Reihen wird es einen gut strukturierten Abschlussbericht geben: Drei Kapitel zur Eignung der drei Wirtsgesteine Salz, Ton und Kristallin sowie eine Art Stichwortverzeichnis, bei dem die Vorträge und Wortprotokolle hinsichtlich einzelner Themen analysiert und relevante Passagen den Stichworten zugeordnet werden. Diese verdichtete Version und auch die Langversion der Protokolle sind unter dem am Artikelende stehenden Link einsehbar.
Eine Million Jahre im Blick
Der Betrachtungszeitraum für die sichere Einlagerung des Atommülls soll eine Million Jahre betragen. Damit werden 40.000 Generationen mit der wenige Jahrzehnte währenden Nutzung der Atomkraft belastet. Erdgeschichtlich sind in diesem Zeitraum neben dem menschengemachten Klimawandel auch zyklische Klimaphänomene wie Eiszeiten und Gletscherbildungen in unseren Breitengraden zu erwarten. Daher kontrastierten Expert*innen der Fachkonferenz die gelobte plastische Toleranz und die Selbstheilungskräfte des Tons mit den Risiken der massiven Verformung durch das Gewicht und die Scherkräfte eiszeitlicher Gletschermassen. Nebenbei: Die Schweiz erkundet zur Zeit drei potenzielle Endlagerstandorte in Tongestein unmittelbar an der Grenze zu Deutschland.
Und die weitere Beteiligung der Öffentlichkeit?
Bis zur Festlegung der übertägig zu erkundenden Standorte, also bis zur Ausfilterung weniger Regionen aus den bisher ausgewiesenen 90 Teilgebieten, wird es voraussichtlich noch mehrere Jahre dauern, in denen keine weitere gesetzlich beschriebene Beteiligung zwingend ist. Nicht wenige Teilnehmende waren der Meinung, dass man den mageren Knochen des Zwischenberichts Teilgebiete gar nicht hätte aufgreifen dürfen, sondern auf eine Verschiebung der Partizipation bis zum Vorliegen eines konkreteren Arbeitsstandes hätte dringen müssen. Frühzeitig wurde daher beim Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung ein kontinuierlich weiterarbeitendes Folgeformat eingefordert.
Beim dritten Beratungstermin signalisierte das BASE grundsätzliche Zustimmung, stellte allerdings die Selbstorganisation in Frage, und der breite fachliche Diskurs soll in Form von kleinen Arbeitsgruppen quasi ins „Hinterzimmer“ (Juliane Dickel vom BUND) verbannt werden. Nach einigem Hin und Her konnte man sich immerhin mit einigen, ein mögliches Einvernehmen bis Oktober 2021 auszuloten und in einer öffentlichen Konferenz zur Entscheidung zu bringen.
Gibt es keine Einigung, verliert nicht nur die Umwelt. Auch das Umweltministerium setzt ohne Not die Expertise und die Akzeptanz der breiten Öffentlichkeit aufs Spiel. Die selbstbewusste Community der Konferenzteilnehmer* innen wird andere Wege finden, ihre Ideen und Kritikpunkte öffentlich zu machen. Und selbst die an der Standortsuche arbeitenden Abteilungen der BGE schienen zeitweise gar nicht unglücklich über den fachlichen Austausch mit der Fachkonferenz zu sein.
Siehe unter:
https://endlagersuche-infoplattform.de/fachkonferenz
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