Die Umweltpsychologin Nicola Moczek über Motivationen im Naturschutz
In Deutschland engagieren sich etwa 30,9 Mio Menschen freiwillig. So steht es in der Kurzfassung zum 4. Deutschen Freiwilligen – survey aus dem Jahr 2014 auf der Internetseite des Bundesministeriums für Familien. Demnach stieg die Quote der über 14-Jährigen um knapp 10 Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2009 auf 43,6 %. Allerdings entfallen davon nur 3,5 % auf Umwelt-, Natur- und Tierschutz.
Tobias Landwehr
Die Umweltpsychologin Nicola Moczek hat sich im Rahmen eines Citizen-Science-Projekts des BUND mit den Motiven der freiwilligen Helferinnen und Helfer beschäftigt. Ihre Ergebnisse veröffentlichte die Zeitschrift Natur und Landschaft im Heft 4 des 93. Jahrgangs (2018) unter dem Titel „Motivationen für freiwilliges Engagement im Citizen-Science-Projekt ‚Wildkatzensprung‘“.
Eine Woche lang stand ich mit Frau Moczek über E-Mail und Telefon in Kontakt. Das Ergebnis dieser äußerst angenehmen und konspirativen Zusammenarbeit ist das folgende Interview. Aus Platzmangel können wir nicht alle Facetten dieses komplexen Themas ausleuchten. Im Kasten „Zum Nachlesen“ finden Sie daher weiterführende Informationen, die sich zu lesen lohnen.
Warum ignorieren Menschen die Signale der Erde wie den Verlust der Artenvielfalt oder andere Katastrophen, obwohl sie etwas dagegen tun könnten?
Ich finde zunächst einmal nicht, dass Menschen die Signale ignorieren. Ganz im Gegenteil sehe ich auf vielen Ebenen sehr viele aufrichtige Bemühungen und Aktionen, beispielsweise etwas für den Klima-, Natur oder Umweltschutz zu tun. Hier kommen jetzt aber einige Besonderheiten zum Tragen, die das Handeln erschweren: Aktionen bringen nicht sofort positive Ergebnisse, und wenn, dann sind sie nicht für jede*n erfahrbar. Es ist das Handeln sehr vieler sehr unterschiedlicher Menschen nötig, an vielen Stellen dieser Erde.
Wie werden Interessierte zu Aktiven? Spielt dabei das soziale/politische Umfeld eine Rolle?
Das soziale und politische Umfeld ist sehr wichtig. Psycholog*innen bezeichnen das als die „soziale Norm“. Sie hat einen wesentlichen Anteil daran, wie wir uns verhalten und zwar im privaten Umfeld, aber auch in der Öffentlichkeit, z. B. in einem Umweltschutzverband. Gerade im Naturschutz bietet der organisationale Kontext einen wichtigen Rahmen. Dort wird festgelegt, welche Maßnahmen in der freien Natur sinnvoll sind und wie und wo sie umgesetzt werden können und dürfen. Wenn ich nämlich außerhalb meines Gartens aktiv werden möchte, kann ich nicht einfach so loslegen und beispielsweise Tierkameras aufhängen oder Schutzhecken pflanzen.
Was motiviert Menschen, aktiv zu werden?
Die Bereitschaft, sich aktiv für die Natur und die Umwelt einzusetzen, hängt von vielen unterschiedlichen Motiven ab. Ich habe erforscht, warum sich Menschen ehrenamtlich über einen längeren Zeitraum in einem naturwissenschaftlichen Forschungsprojekt engagieren. Einige Motive sind gemeinwohlorientiert, andere selbstdienlich – meistens ist es eine Mischung.
Können Sie das Projekt kurz vorstellen?
In dem vom BUND koordinierten Projekt sammelten über 750 Freiwillige Haarproben der Europäischen Wildkatze. Auf über 100 Untersuchungsflächen in Deutschland wurden mehr als 1.600 Lockstöcke aufgestellt und mit Baldrian präpariert. Genau wie unsere Hauskatzen reagieren auch die Wildkatzen positiv auf den Geruch und reiben sich an den Stöcken. Dabei hinterlassen sie Haare, die konnten gesammelt und im Genlabor analysiert werden. Dazu wurden im vierjährigen Projektzeitraum durch die Ehrenamtlichen über 26.000 Kontrollen durchgeführt – diese enorme Leistung hätte niemals ohne sie erbracht werden können.
Warum engagieren sich Menschen für so ein Projekt?
Wie eben schon kurz angedeutet gibt es nicht das eine Motiv. Jeder hat andere Gründe mitzumachen. Aber es lassen sich Muster erkennen. Wissenschaftliche Neugierde, der Wunsch nach Qualifizierung und Wissenserwerb (theoretisch und praktisch) und ein dazu passendendes Methodentraining zeigten sich als die stärksten Motive in diesem Projekt. Und da haben wir einen Dreiklang: Die wissenschaftliche Neugierde und der Wunsch an einem großen Forschungsprojekt mitzuwirken ist ganz überwiegend gemeinnützig. Denn es geht um die Lebensbedingungen einer in Deutschland seltenen Tierart, für die wir eine besondere Verantwortung haben. Da wenig über die Wildkatze, ihr Vorkommen und ihre Wanderungsbewegungen bekannt war, musste das zunächst erforscht werden. Eher selbstdienlich ist das Motiv der Interessierten, im Projekt etwas Neues zu lernen, das Monitoring durchzuführen, sich durch die Tätigkeit persönlich weiter zu entwickeln.
Gibt es neben den Motiven noch andere wichtige Aspekte für freiwilliges Engagement?
Ja, denn erst der organisationale Rahmen ermöglicht das Engagement: Die gesamte Planung und Koordination, die Erlaubnis in die Wälder gehen zu dürfen, das Methoden- und Verhaltenstraining der Teilnehmenden. Ohne diesen Rahmen hätte das Engagement nicht stattfinden können. Anders als bei vielen anderen Umweltschutzmaßnahmen, die auch im privaten Umfeld umgesetzt werden können, kann die Teilhabe an einem Forschungsprojekt nur mit einer Organisation gelingen. Und interessant: Gerade für Neue ist der organisationale Rahmen von besonderer Bedeutung.
Welchen Einfluss haben die Medien darauf, ob sich Menschen für Umwelt, Klima und Natur engagieren oder nicht?
Die Aufgabe der Medien sollte es sein, auch komplizierte Zusammenhänge so zu vermitteln, dass sie jede*r nachvollziehen kann und sie im besten Fall einen Anstoß für einen selbstbestimmten Entscheidungsprozess auslösen („ich kann etwas tun!, ich tue etwas!“). Umweltpsycholog*innen empfehlen hier das „nudging“, das sind kleine Schubser, die zu Handlungen anregen, die auch ohne viel Nachdenken umzusetzen sind. Das passt besonders gut für den privaten Bereich des Verhaltens. Aber Achtung: Die Grenze zur Manipulation ist schmal. Das sehen wir u. a. an der Werbung, die uns ebenfalls zu Handlungen motivieren möchte, die aber allesamt nicht zu „weniger“, sondern zu „mehr“ Verbrauch anregen sollen. Wir stehen da täglich unter Dauer-Beschuss – in der Flut an Kaufanreizen geht der Umwelt- und Naturschutz oft unter.
Gibt es noch andere Methoden als das „Nudging“, um Menschen davon zu überzeugen, sich für die Natur einzusetzen?
Oft ist die Einladung zu einem spannenden Projekt der Auslöser für den Start des Engagements. In unserer Studie zeigte sich, dass die eine Hälfte der Teilnehmenden von anderen angesprochen wurde und die anderen selbst nach einer neuen ehrenamtlichen Aufgabe gesucht hatten. Gerade boomen Angebote im Bereich Citizen Science – das sind Forschungsprojekte, in denen auch Amateure mitforschen können. Die Bandbreite ist riesig und es sind extrem spannende Fragen dabei: Singen Nachtigallen in Dialekten? Welche Straßenbäume kommen mit der Hitze besser zurecht? Und viele weitere Fragen aus Archäologie, Gesundheit, Klima, Kultur, Natur, Stadt, Technik, Wetter. Da ist für jeden was dabei. Bei einigen Projekten muss man sich vor Ort mit anderen treffen, viele sind aber auch ortsunabhängig und können mit Smartphone oder Computer unterstützt werden. Reinschauen lohnt sich: buergerschaffenwissen.de.
Erstmal dabei, wie motivieren sich die Aktiven immer wieder neu?
Viele Menschen, die sich über längere Zeiträume ehrenamtlich engagieren, kommen früher oder später an den Punkt, dass sie müde werden. Besonders im Naturschutz ist es oft schwer, Erfolge auch persönlich zu erleben. Die Kommunikation der Wirkung der freiwilligen Arbeit ist daher ausschlaggebend. Projektkoordinierende sollten zeitnah und regelmäßig Statusmeldungen sowohl zum persönlichen Beitrag als auch zum übergeordneten Gesamtziel geben.
Was empfehlen Sie Aktiven, die dennoch an ihrem Einsatz zweifeln und überlegen, aufzuhören?
Es ist durchaus legitim, das Engagement auch einmal ruhen zu lassen oder sich ganz neuen Aufgaben zuzuwenden. Bei dem Wildkatzenmonitoring gab es für manche keine Erfolge an ihren Lockstöcken. Die dann aufgestellten Wildtierkameras zeigten aber, dass nachts rund um den Lockstock sehr viele andere Tiere zu Besuch sind, Dachse, Marder, etc. Sie sind für uns Menschen in aller Regel nicht sichtbar. Die Auswertung der Fotos hat die Ehrenamtlichen begeistert und motiviert, sich weiter für den Lebensraum Wald einzusetzen, auch wenn dort noch keine Wildkatzen leben.
Haben Sie vielleicht noch Praxisbeispiele aus der Bonner Umgebung?
Auch in der Gegend um Bonn wurde das Wildkatzenmonitoring durchgeführt. Dr. Christine Thiel-Bender hat für den BUND das Projekt koordiniert und die freiwillig Engagierten angewiesen und unterstützt. Sie lebt in Bonn. In NRW unterstützen das Projekt oft auch Kooperationspartner wie das Bündnis Heideterassen in der Wahner Heide.
Auf die Frage nach Motivationen, sich freiwillig an Naturschutzprojekten zu beteiligen, bestätigte mir Frau Thiel-Bender in einem kurzen Gespräch Frau Moczeks Punkte. „Es kommt darauf an, die Aufgaben klar zu kommunizieren und eine verlässliche Ansprechperson zu sein“, erklärte mir die studierte Biologin. Viele „neue“ Freiwillige hätten zu Beginn ein falsches Bild davon, was Naturschutz eigentlich bedeutet. „Wenn klar ist, was es zu tun gibt und was eigentlich das Ziel ist, ist die Motivation sehr hoch.“
Trotzdem habe auch sie bei manchen Projekten mit zu wenig Engagement zu kämpfen. „Ohne ehrenamtliche Unterstützung wären viele Erkenntnisse gar nicht zu gewinnen.“ Ob sich jemand freiwillig meldet, läge vielleicht auch am Image des Gutmenschen. In der Tat, wenn ich so an die Massenmedien denke, dann erscheinen Greenpeace, BUND und NABU oftmals als Spielverderber und Aktivisten in Funk und Fernsehen.
Und hier eröffnet sich gleich weiterer Inhalt für einen neuen Artikel. Sowohl Frau Moczek als auch Frau Thiel-Bender hielten es unabhängig voneinander für eine schöne Idee, dieses Thema einmal direkt mit Engagierten zu behandeln. Beide kennen hier im Bonner Raum viele Freiwillige, die sicherlich für ein Interview bereitstünden. So könnten wir die Fragen nach Motiven, Motivationstiefs und Wege daraus sowie der Selbst- und Fremdwahrnehmung von einer persönlicheren Sicht heraus beleuchten.
Bleibt mir nur noch, mich ausdrücklich bei Nicola Moczek für ihre Zeit und Muße über eine ganze Woche hinweg zu bedanken. Die Zusammenarbeit war wertschätzend und äußerst angenehm. So empfinde auch ich, als freiwillig engagierter Reporter, mein Ehrenamt als motivierend und finde immer wieder Gründe, weiterzumachen.
Zur Person:
Die Diplom-Psychologin Nicola Moczek gründete 1997 gemeinsam mit Riklef Rambow PSY:PLAN und ist seither Geschäftsführerin. Von 2004 bis 2008 leitete sie als Bundesgeschäftsführerin die Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Von 2009 bis 2011 war sie Geschäftsführerin des Bundesverband Geothermie.
Aktuelle Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Motivationsforschung für freiwilliges Engagement im Natur- und Umweltschutz, Erholungsräume und erneuerbare Energien, Schnittstellen zwischen Menschen und Architektur in Arbeits- und Lernumwelten, Besucher- und Nutzerforschung, Evaluation sowie Leit-, Orientierungs- und Informationssysteme.
Zum Nachlesen:
Freiwilliges Engagement in Deutschland – Zentrale Ergebnisse des Deutschen Freiwilligensurveys 2014 https://www.bmfsfj.de/blob/93914/e8140b960f8030f3ca77e8bbb4cee97e/freiwilligensurvey-2014-kurzfassung-data.pdf
Motivationen für freiwilliges Engagement im Citizen-Science-Projekt ‚Wildkatzensprung‘ in der Zeitschrift Natur und Landschaft – 93. Jahrgang (2018) – Heft 4
https://www.bund.net/tiere-pflanzen/wildkatze/projekt-wildkatzensprung/
www.buergerschaffenwissen.de
Christine Thiel-Bender www.thiel-natur.de
www.wahnerheide.net
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