… und handeln lokal
Frauenorganisationen FEMNET e.V. und Soroptimist International im Interview
Eigentlich hat jede dieser Organisationen ihr ganz eigenes Interview verdient. Dass beide viel zu berichten haben, zeigte sich im Austausch mit Dr. Ulla Stüßer, die als Präsidentin des SI-Clubs Bonn Siebengebirge heute für alle drei Bonner Clubs spricht, und Katharina Edinger, verantwortlich für die Pressearbeit bei FEMNET e. V., schnell. Es hätten auch gut zwei Seiten werden können. Darum ist unsere Interviewseite dieses Mal so vollgepackt. Aber keine Panik vor so viel Text. Lesen lohnt sich!
Stellen Sie sich kurz vor. Was ist der Schwerpunkt Ihres Engagements?
FN: Ganz grob bewegt sich FEMNET als gemeinnütziger Verein im Textilbereich. Wir setzen uns insbesondere für Rechte von Frauen ein. In vielen Produktionsländern für unsere westlich genutzte Kleidung sind die Arbeiterinnen in den Fabriken zu über 80 bis 90 % Frauen. Sie leiden am meisten unter den schlechten Arbeitsbedingungen. Das sind die Frauen, für die wir uns schwerpunktmäßig einsetzen.
SI: Soroptimist International ist eine lebendige, dynamische Organisation für berufstätige Frauen von heute. Durch Bewusstmachen, Bekennen und Bewegen schaffen wir Möglichkeiten, um das Leben von Frauen und Mädchen mit Hilfe unseres globalen Netzwerkes positiv zu verändern. Wir wollen dazu beitragen, dass Frauen und Mädchen Gerechtigkeit und Gleichberechtigung erleben, in einer sicheren und gesunden Umwelt leben, Zugang zu Bildung haben, Führungsfähigkeiten und praktische Fertigkeiten entwickeln sowie an allen Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen der Gesellschaft teilhaben können.
Wir sind als Serviceorganisation im lokalen, nationalen und internationalen Umfeld tätig und nehmen aktiv an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen der Gesellschaft teil. Die Pflege von Freundschaft und gegenseitige Hilfe ist ein wesentliches Element unseres Zusammenseins.
Wo sehen Sie bei Ihren Themen die Probleme?
FN: Frauen in den Fabriken der Textilindustrie werden massiv ausgebeutet. Sie müssen viel zu lange arbeiten. Es sind in extremen Fällen fast schon sklavenähnliche Bedingungen. Wie z. B. in Spinnereien im südindischen Tamil Nadu, wo dann gezielt junge Frauen angeworben werden. Durch Einbehaltung der Löhne und Isolation sind sie gezwungen weiterzuarbeiten. Es kommt regelmäßig dazu, dass Frauen während der Arbeit beleidigt, angegangen, teilweise sogar sexuell belästigt werden.
Es handelt sich dabei um ein strukturelles Problem: Die Industrie kann dort in großen Mengen auf billige Arbeitskräfte zurückgreifen. Mit niedrigen Löhnen und Umweltstandards drückt sie die Kosten und steigert die Profitmarge. Dabei machen bei den meisten Kleidungsstücken die Lohnkosten nur ein paar Cent des Preises aus. Größere Brocken sind die Margen der Marken oder das Marketing. Die Preisstruktur dieser „Fast Fashion Mode“ ist schlicht nicht nachhaltig.
Das ist ein Konsummodell, das auf einer Wegwerf- und Massenkultur fußt und wir als Gesellschaft tragen die Folgekosten.
SI: Wir unterstützen laufende Projekte, die unserer Satzung entsprechen, sprich schwerpunktmäßig Frauen und Mädchen fördern. Dazu wird seitens der Institution, die wir fördern, ein Antragsformular ausgefüllt, das bspw. Sinn und Zweck, Inhalte und Laufzeit beinhaltet. Denn wir müssen uns auch gegenüber den Sponsoren und dem Finanzamt rechtfertigen. Die Entscheidung über eine finanzielle Unterstützung trifft unser Club mit dem clubeigenen Förderverein einvernehmlich.
Aktuell versuchen wir einen Chor der internationalen Begegnungen zu gründen, in dem Migrantinnen und Bonner Bürgerinnen gemeinsam singen. Denn jede Kultur hat Musik, nutzt die menschliche Stimme, hat ihr eigenes Liedgut. Das gemeinsame Singen fördert Gemeinschaft. Wenn ein Chor Lieder aus allen Herren Länder singt, weckt das das Interesse am anderen, am Fremden und macht neugierig. Viele der Flüchtlinge, insbesondere Frauen, kennen aus ihren Herkunftsländern keine selbstbestimmte Freizeit. In diesem Fall vernetzen wir uns mit Institutionen, werben im persönlichen Umfeld und bringen uns auch selbst ein.
So würden wir uns natürlich auch Chorleiterinnen aus Bonn wünschen, die die Idee mit uns nachhaltig in Bonn verankern. Für uns sehr bedauerlich ist, dass über uns in der Presse wenig bis gar nicht berichtet wird. So kennen uns und unsere Arbeit nur wenige.
Was unternehmen Sie konkret gegen diese Missstände?
FN: Unsere Arbeit basiert auf drei Säulen: Die erste Säule ist unsere politische Arbeit. Sprich, dass wir uns mit Kampagnen und Advocacyarbeit für Gesetzesänderungen stark machen, die Kampagnenarbeit von Partnerorganisationen unterstützen und auf Unglücke hinweisen, um so den herstellenden Unternehmen ihre Verantwortung bewusst zu machen.
FEMNET ist auch Mitglied bei der „Kampagne für saubere Kleidung“: Hierbei handelt es sich um ein internationales Netzwerk aus verschiedensten Organisationen weltweit, die sich für bessere bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie einsetzen.
Schwerpunkt Nummer zwei ist unsere Bildungs- und Beratungsarbeit. Diese bezieht sich auf die Menschen hier. Sie können als Konsumentinnen Verantwortung übernehmen, in dem sie nachhaltig einkaufen. Wir begleiten bspw. auch Kommunen dabei, ihren Einkauf im großen Stil umzustellen. Wir treten an Studierende heran und leisten Aufklärungsarbeit.
Säule drei ist unsere solidarische Arbeit. Das beinhaltet, dass wir vor Ort in den Produktionsländern, schwerpunktmäßig Indien und Bangladesch, Projektpartner unterstützen. Wir sammeln hier Spenden, die dann dort dafür eingesetzt werden, um bspw. Rechtshilfe zu finanzieren. Denn nur, wenn die betroffenen Arbeiterinnen bei Arbeitsrechtsverletzungen auch klagen können, haben sie eine Chance auf Entschädigung.
Aktuell – das haben Sie im Frauenmuseum gesehen – haben wir für eines unserer ersten Partnerprojekte gemeinsam mit betroffenen Frauen vor Ort eine Kampagne gegen Gewalt an Frauen etabliert.
SI: Unser Club fördert zurzeit folgende Großprojekte: Mittels Benefizkonzerterlösen unterstützen wir “Bonner Frauen in Not” z. B. für die Einrichtung von Frauen nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus. Mit einer Filmmatinée veranstaltet von allen drei Bonner Clubs, konnten wir KARO e. V. unterstützen; Frau Schauer wird am 21. Mai 2019 an unserem Clubabend referieren. Interessierte sind nach Anmeldung über unsere Homepage herzlich eingeladen.
Unser drittes Blenderkochbuch haben wir zugunsten der Initiative „Ein Herz für Pundo“ im letzten Jahr herausgegeben. Der Erfolg unseres ersten und zweiten Kochbuchs für Benefiz war für uns alle überraschend, denn sie konnten mehrmals nachgedruckt werden. Einer Marktsättigung vorzubeugen, entwarfen wir nach ein paar Jahren die Nummer drei. Das Blenderkochbuch „Der Klügere kocht nach“ ist seit einigen Monaten erhältlich. Ausdrücklich nur über unsere Homepage, denn sonst wäre der Benefiz nicht so hoch wie er ist. Darauf sind wir stolz.
Wir unterstützen ein kenianisches Dorf, in dem eine 50 zu 50 Hilfe realisiert wird. Das Dorf muss sich zur Hälfte einbringen und es finden jährliche Kontrollen statt. Dank dieses Konzeptes gibt es mittlerweile Kindergarten, Grundschule und regelmäßige ärztliche Versorgung. Es wird Saatgut zur Selbstversorgung beschafft und was aus unserer Sicht besonders wichtig ist: Es gibt nun die von uns finanzierten Aufklärungskurse für Mädchen.
Unser aktueller Programmschwerpunkt auf europäischer Ebene heißt: Soroptimist Invest in Education. Unsere Werte und Ziele bei unserer Arbeit sind Menschenrechte für alle, Weltweiter Friede und internationale Verständigung, Förderung des weiblichen Potentials, Integrität und demokratische Entscheidungsfindung, ehrenamtliche Arbeit, Vielfältigkeit und Freundschaft, Verbesserung der Stellung der Frau, hohe ethische Werte, Menschenrechte für alle und Förderung von Gleichheit, Entwicklung und Frieden.
Was sind Ihre größten Erfolge bzw. haben Sie Best-Practice-Beispiele?
FN: In elf Jahren ist viel passiert. Unsere Vorsitzende Frau Dr. Gisela Burckhardt hat bspw. Aktien großer Firmen wie Hugo Boss oder Zalando gekauft, um die Vorstände und Chefetagen auf deren Hauptversammlungen mit den Missständen konfrontieren zu können. Ein Resultat ihres Auftritts bei Hugo Boss 2017 war die Offenlegung der Lieferkette. Nur mit dieser Transparenz konnten NROs und Gewerkschaften die tatsächlichen Bedingungen nachhalten.
Ein weiteres Beispiel war in 2018 die Transparenzinitiative der Kampagne für saubere Kleidung (#gotransparent). Da sind über 70 Tausend Unterschriften zusammengekommen. Diese Aktion war unter anderem an Primark gerichtet und forderte diese auf, die Lieferketten offen zu legen. Sieben Tage nach der Übergabe in Köln waren die Lieferdaten veröffentlicht.
Noch ein schönes Beispiel ist das Beschaffungsprojekt hier in Bonn. Das Amt für Stadtgrün hat den eigenen Einkauf umgestellt. Sie beziehen bei ihrer Beschaffung von Arbeits- und Schutzbekleidung soziale und ökologische Kriterien mit ein. Daraus konnte viel gelernt werden, was bspw. die Ausschreibungstexte angeht. Nun adaptieren das auch weitere Städte und es ist möglich, sich bei uns als Botschafterin und Multiplikatorin ausbilden zu lassen.
Ein Beispiel, das wir in Bezug auf faire Lieferketten gerne nennen, ist die Fair Ware Foundation, die Standards (weiter-)entwickelt, um bessere Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Unternehmen werden Mitglied und lassen nicht nur einzelne Produkte überprüfen, sondern bspw. auch ihre Einkaufspraktiken. Wer neben dem Schwerpunkt der Arbeitsbedingungen auch Umweltbedingungen berücksichtigen möchte, dem kann ich unseren Siegelführer sehr ans Herz legen oder unseren Einkaufsführer, den Fair Fashion Guide.
SI: Nachhaltige Hilfe über finanzielle Zuwendungen und Bewusstmachen im persönlichen Umfeld konnten und können wir sicher in neuerer Zeit für die Initiativen Karo und Pundo leisten. Die Verantwortlichen geben uns regelmäßig Auskunft über den aktuellen Zustand vor Ort, was uns motiviert, weiter dran zu bleiben.
Ein neues Projekt von uns ist die Unterstützung des Bonner Vereins für Pflege und Gesundheitsberufe e. V., die zunehmend Migrantinnen ausbilden. Was letztlich auch eine win-win- Situation für unsere Gesellschaft bedeutet. Hier sehen wir mögliche Hilfe bei der finanziellen Unterstützung von speziellem Lehrmaterial, pädagogischem Spielzeug für die Kinderbetreuung, o. ä., denn uns ist an einem nachhaltigen Effekt gelegen.
Wie engagieren Sie sich bei Umwelt- oder Klimaschutzthemen?
FN: Arbeitsbedingungen und der Umweltschutz sind natürlich miteinander verschränkt. Wir setzen uns bspw. für den richtigen Umgang mit Chemikalien ein. Das ist sowohl im Baumwollanbau, als auch beim Färben von Stoffen oder beim Konfektionieren ein riesen Thema. Beim Klimaschutz greifen am ehesten die nachhaltigen Anbauweisen, z. B. beim Anbau von Biobaumwolle.
Wobei da auch ganz viel in unserem Verantwortungsbereich als Konsumenteninnen liegt. Das momentane Konsummodell der Fast Fashion geht einfach auf Masse. Die Mode am Markt ist unheimlich schnelllebig. Also einfach mal Sachen aussuchen, die nicht sofort kaputt gehen oder sogar reparieren. Oder mal zum Kleidertausch gehen, den unsere ehrenamtliche Gruppe hier in Bonn regelmäßig veranstaltet.
SI: Wir sind gerade dabei den SI-Umweltpreis vorzubereiten. Denn natürlich treibt auch uns die Sorge um das Weltklima als eines der zentralen Zukunftsthemen der Menschheit um. Daher wollen wir einen Preis für Kindergarten/ Grundschule/Kitas bzw. weiterführende Schulen für die beste Idee/Projekt/Aktion zur Verbesserung des Klimas im Raum Bonn ausloben. Insofern freut es uns, dass die so oft als unpolitisch eingeschätzte Jugend sich nun für Ihre Zukunft engagiert. Diesen Enthusiasmus wollen wir wertschätzend aufgreifen. Die Gespräche dazu laufen, drücken Sie uns also die Daumen.
Was tun Sie für die Bonnerinnen?
FN: Global denken, lokal handeln! Neben der individuellen Konsumebene – dazu haben wir gutes Infomaterial auf unserer Internetseite – sind wir in verschiedenen Bonner Netzwerken tätig. Da gibt es regelmäßig Veranstaltungen wie z. B. die Rundum Fair von der Fairtrade Town Steuerungsgruppe, die im September wieder in Bonn stattfinden wird. Im Rahmen unserer Speakers Tour hatten wir 2018 auch Aktivistinnen aus Myanmar und Bangladesch zu Gast, die hier in der VHS berichtet haben.
Für Bonnerinnen stellen wir Informationen zu Verfügung. Wir gehen an Schulen und machen dort Bildungsarbeit. So erfährt jeder, wie konkret etwas verändert werden kann. Inzwischen gibt es immer mehr Anbieter von fairer Kleidung; auch hier bei uns. Preislich gibt es viel Auswahl, da sind öko-faire Labels durchaus mit anderen Marken vergleichbar. Natürlich können sie mit den Dumpingpreisen der „Fast Fashion“-Anbieter nicht mithalten, dafür steckt dahinter aber auch keine massive Ausbeutung, sondern sie engagieren sich für bessere Arbeitsbedingungen und den Schutz der Umwelt.
SI: Wir haben u. a. schon mehrfach die diversen Frauenhäuser unterstützt, ebenso „Azade“ (interkultureller Mädchentreff), für obdachlose Frauen Frühstücke ermöglicht und Weihnachtspäckchen gepackt. Wir informieren über unsere Arbeit beim internationalen Frauentag im Frauenhaus und knüpfen dort neue Kontakte bzw. frischen bestehende auf. Dabei erfahren wir auch von Nöten und Ideen, wo wir uns einklinken können und werden.
Wir bereiten gerade eine Kampagne zur Förderung der Wahlbeteiligung bei der Europawahl vor. Eine Unterstützung demokratischer Parteien hilft uns in Europa, aber auch vor Ort. Aktuell unterstützen wir mit einer clubübergreifenden Gruppe beim „Bonner Nachtlauf“ am 19. Juni Bonner Grundschulen, wobei zu sehen ist, dass wir selber auch Freude am Tun für die anderen haben.
Wie können sich die Bonnerinnen bei Ihnen einbringen?
FN: Wir freuen uns über Unterstützung bei unseren Protestaktionen wie bspw. bei einer Aktion, bei der wir H&M aufgefordert haben, existenzsichernde Löhne zu zahlen. Wir waren vor H&M und haben ein kleines Aktionstheater gemacht. In diesem Jahr kann man sich gerne bei Aktionen zur Eröffnung von Primark einbringen. Dazu haben wir uns mit verschiedenen Bonner Initiativen vernetzt. Gemeinsam wollen wir ein Zeichen dafür setzen, dass wir uns ein nachhaltiges Bonn anders vorstellen.
Außerdem kann jeder Femnet als Mitglied unterstützen. Darüber freuen wir uns natürlich auch. Denn erst durch finanzielle Unterstützung wird unsere umfangreiche Arbeit ermöglicht. Wir haben einen offenen Treff einmal im Monat, der ehrenamtlich organisiert und betreut wird. Hier planen wir bestimmte Aktionen und Kampagnen, wie auch das Gedenken an den schrecklichen Unfall in Rana Plaza. Außerdem möchten wir zur Unterstützung bei der Aktion Blaue Hände #gegenGewalt aufrufen.
SI: Helfen tut uns ein reger Zuspruch bei unseren Benefizveranstaltungen und unserer Europa-Kampagne. Vielleicht machen die Leser*innen mit oder erzählen anderen, auch von unserer Umwelt-Preis-Idee. Auch freuen uns über neue (junge) Mitglieder.
Vielen Dank an beide Interviewpartnerinnen für die angenehme Zusammenarbeit!
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