„Der wilde Wald“


Carmen Planas


Kamerafahrt in den Wald. Es zwitschert und tockert. „Natur Natur sein lassen“ lautet der Untertitel des Dokumentarfilmes der Regisseurin Lisa Eder. Es ist die Philosophie des Hauptdarstellers, des Nationalparks Bayerischer Wald (NBW), der im Osten Niederbayerns an der Grenze zu Tschechien liegt. Er gilt zusammen mit dem benachbarten Nationalpark Šumava in Tschechien als das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas. Seit 1970 darf sich die Natur hier entwickeln, ohne dass der Mensch eingreift. Diese Idee sei aus deutscher Perspektive eine Revolution gewesen, erzählt Jörg Müller, Leiter des Sachgebietes „Naturschutz und Forschung“ des NBW. Zweifel und Kritik waren ständige Begleiter, insbesondere als der Orkan von 1990 für viel Zerstörung im Wald sorgte und dann kam der Borkenkäfer. Die Entscheidung dafür, den Borkenkäfer einfach fressen zu lassen, führte zu zahlreichen Diskussionen. Sie wurden von Demonstrationen begleitet mit Sprüchen wie „Kaputtgeschützt“, „Stoppt den Borkenkäfer“ oder „Landet der Bayerische Wald in den Müll?“. Entsetzt waren viele Menschen über die Massen an abgestorbenen Bäumen. „Man hat gedacht, der Wald stirbt“, kommentiert Christina Pinsdorf, Wissenschaftlerin am Bonner Institut für Wissenschaft und Ethik. Die Akzeptanz stieg erst dann, als man sah, dass eine extreme Naturverjüngung eintrat, die dem Wald guttat. „Wenn wir natürliche Selektion zulassen, entstehen vielleicht Wälder, die durch ihre genetischen Anlagen in einem neuen Klima überleben“, berichtet die amerikanische Entomologin Diana Six. Und gleichzeitig warnt sie davor, dass wir viele unserer Wälder verlieren würden, wenn wir nicht alles unternehmen, um den Klimawandel zu stoppen. Denn ohne den Klimawandel würde der Borkenkäfer so eine Zerstörung nicht schaffen.
Zahlreiche Experten kommen zu Wort und mit dem Hobbyfotografen Bastian Kalous durchwandern die Zuschauenden den wilden Wald und erleben durch ihn, die wohltuenden Gefühle, die ein Naturerlebnis auslösen kann. „In der Natur zu sein, macht mich zu einem ausgeglichenen Menschen“, berichtet Kalous. Die Natur zu spüren, das ginge ihm nie auf die Nerven. Es gäbe nichts Schöneres. Verschneite Tannen, Bäche und kleine Wasserfälle, umgestürzte Bäume, Luchse, Wölfe, eine Vielfalt an Käfern und Schmetterlingen, Rehe, Auerhähne, Gipfel mit spektakulären Aussichten, bemooste Felsbrocken – die Kamera hält die Schönheit des Nationalparks mit eindrucksvollen Bildern fest. Die Filmemacherin Lisa Eder zelebriert ihre Heimat in 89 Minuten. 2021 hatte der Film Deutschlandpremiere. Man wünscht ihm noch viele Zuschauer*innen, die die Botschaft mitnehmen können, dass es eine Koexistenz von Mensch und unberührter wilder Natur geben kann. Und dass diese wilde Natur auch von großer Bedeutung für uns ist. Denn „um zu verstehen, wie die Wälder sich verändern werden“, so Diana Six, „schauen wir uns am besten Gebiete an, in die der Mensch nicht eingreift“.

 

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