Essen und essen lassen

1. Januar 2018 | Gesellschaft | 0 Kommentare

Leitartikel BUZ 1-2018

Streitpunkt Ernährung – Warum eigentlich?

Abends kein Brot mehr. Kaffee ist ungesund. Wir kaufen nur noch biologisch. Vegan ist der einzig wahre Lebensstil. Chia-Samen sind supertoll. Kaffee ist irgendwie doch wohltuend. Bio ist auch nicht perfekt. Ich will aber mein Schnitzel. Und Sauerkrautsaft heilt…einfach alles. Verdirbt Ihnen das viele Gerede über Do und Don’t beim Essen auch so langsam den Appetit? Wir leben im Zeitalter der allgegenwärtigen Kochshows, der Freizeit-Gourmets und Hobby-Ernährungsberater*innen und Otto Normalverbrauchender sieht sich plötzlich zu Statements zu Superfood und Hausmannskost gezwungen. Oh ja, Goji-Beeren, hm find ich super. Was zum Geier sind Goji-Beeren?!

Streitpunkt Ernährung – dabei ist die Definition laut Lebensmittellexikon ziemlich einfach: Ernährung bedeutet in erster Linie den Körper zur Erhaltung der Lebensfunktion mit der ausreichenden Menge an Energie, Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien zu versorgen. Zack fertig.

Schön wär’s. Denn das unscheinbare Wörtchen ‚ausreichend‘ birgt Diskussions- und Interpretationspotential explosiven Ausmaßes. Wie damals in der Schule, als die lieben Eltern die 4 in Mathe doch nicht für so ausreichend hielten und per pädagogischer Maßnahme die Reise nach England an die Verbesserung der Mathenote koppelten. Eltern ey. In der Definition des Begriffs ‚ausreichend‘ trennt sich nämlich die Spreu vom Weizen:
Der Allvater der deutschen Sprache, Konrad Duden, sagt dazu: „Den Erfordernissen entsprechend, genügend.“ Da seht ihr’s, Eltern, es genügt!
Doch Moment. Die Definition der Schulnote 4 lautet wie folgt: „Die Leistung zeigt zwar Mängel auf, doch entspricht im Ganzen noch den Anforderungen.“ Pff Mängel; sowas können sich doch nur Eltern ausdenken. Mut zur Lücke!

Zurück zum Essen: Die pragmatische Herangehensweise über die Definition an ein derart emotionsgeladenes Thema hat uns erstmal nicht weiter gebracht. Auch in der BUZ-Redaktion sind die Geschmäcker verschieden und unsere Schreiberlinge haben nach Vergabe des Schwerpunkts „Ernährung“ ihr ganz eigenes Süppchen gekocht. Das entstandene Themenbuffet zeigt die Komplexität des Ganzen, in der Einheit jedoch eine gesunde Ausgewogenheit. So kämpft sich in unserer Kolumne die Autorin durch den Ernährungsdschungel und zieht ihr persönliches Fazit aus dem Diäten- und Ratgeberchaos. Hier unterhalten sich zwei Freunde über die Vegan-Fachmesse. Dort bespricht unser Rezensent das Buch „Fleisch essen?“ und da berichtet eine interessierte arte-Schauende über die Sendung zu Umwelthormonen (Nur Print!). Ein weiterer Artikel betrachtet die globale Nahrungsverteilung und -entwicklung und stellt Alternativen vor.

Ein Thema sei hier hervorgehoben, das der Autorin dieser Zeilen besonders am Herzen liegt:
Jede*r Deutsche wirft pro Jahr 82 kg Lebensmittel weg, die eigentlich noch gut sind. Das entspricht zwei vollgepackten Einkaufswagen. Nochmal: Pro Kopf! Bei einer vierköpfigen Familie macht das acht volle Einkaufswagen. Und egal, wie man die Statistiken dreht und wendet, Parameter anpasst und die Industrie einbezieht: Verursacht wird der Wahnsinn von uns Konsumierenden. Unsere Reporterin berichtet und zeigt Lösungsvorschläge: ‘Wegwerfen vermeiden’.
Unsere Themenpizza ist reichlich belegt. Bei aller Ausgewogenheit tritt die Beschäftigung mit veganer Ernährung etwas in den Vordergrund. Vermutlich weil Veganismus noch immer mit den größten Vorurteilen zu kämpfen hat. „Der vegane Lebensstil ist ungesund, da fehlen Nährstoffe. Vegan Lebende sind belehrend und halten sich für moralisch überlegen. Alles Körnerfresser und Hippies.“ – um nur einige zu nennen. Vorurteile entstehen aus Unwissen oder Fehlinformation, aus Desinteresse oder mangelnder Kommunikation. Weil wir uns nicht anhören wollen „Was die Redaktion nicht kennt, frisst sie nicht!“ beschäftigen wir uns damit. Wir reden mit vegan Lebenden, stellen Fragen und kosten hier und da. Und siehe da, das sind Menschen, die atmen, schlafen und essen. Und Letzteres gar nicht mal so schlecht.

Ein abschließendes Statement und eine womögliche Ernährungsempfehlung können und wollen wir nicht liefern. Jede*r muss das Süppchen auslöffeln, dass er oder sie sich eingebrockt hat. Der Appell sich mit dem eigenen Lebensstil auseinander zu setzen, ergeht dennoch. Wir sind alle keine Inseln und was wir essen hat Einfluss auf Menschen, Tiere und Umwelt – in globalem Ausmaß. Noch einen Essenskalauer gefällig? Ich hab noch einen: Es wird nix so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Ich interpretier das heute mal so: Es ist schon ein Privileg und Erste-Welt-Problem, dass wir uns hier im warmen fetten Wohlstand der westlichen Welt derartige Gedanken machen können. Während um uns herum Menschen hungern, übertragen wir Kochshows in die Welt. Vielleicht senden Sie beim nächsten Biss in Käsebrötchen, Wurststulle oder Hummussemmel einen Dank ans Schicksal (oder wen auch immer Sie für das Große, Ganze verantwortlich machen), auf diesem behüteten Fleckchen Erde leben zu können.

Kathrin Schlüßler

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