Gemeinsam planen in Bonn
August 2018, es ist vollbracht. 51,94 Prozent der Bonner Wähler*innen haben bei der Bürgerbefragung gegen das auch vom OB umworbene Zentralbad gestimmt. Im Nachhinein stelle ich mir eine gewisse Verblüffung bei den Verfechtern in der Politik und bei den SWB vor, die schon 6,7 Millionen Euro an Berater- und Architektenhonoraren für das Projekt ausgegeben hatten. Dennoch hatten Phantasie, bezirksübergreifende Kooperation und ein langer Atem diesen Erfolg möglich gemacht.
Zwei Jahre später, die Wahl des/der Oberbürgermeister*in steht an: Auf welche Weise sie die Bürger*innen über die gesetzlichen Standards hinaus beteiligen möchten, werden die Kandidat*innen von den Umweltverbänden gefragt. Gute Frage, aber was sind denn hier in Bonn die Standards?
Gesetzlich verpflichtend ist die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel im Rahmen von längerfristig angelegten Raumordnungsverfahren oder der Bauleitplanung. Rechtzeitige Mitwirkung der Öffentlichkeit fördere hier den Interessenausgleich und liefere bessere und schnellere Ergebnisse. So die Theorie. Eine Garantie, die städtischen Entwicklungslinien in gesellschaftlich sinnvolle Bahnen zu leiten, ist dieses formell verankerte Verfahren dennoch oft nicht.
Auch der informelle Bereich der bürgerschaftlichen Mitwirkung ist in Bonn eine feste Größe. Im Jahr 2014 wurden im kommunalen Raum „Leitlinien für die Bürgerbeteiligung“ formuliert, die das angestrebte Zusammenwirken von Bürger*innen, Politik und Verwaltung beschreiben. Hieraus leiteten sich lokale Institutionen und deren Kommunikationsprozesse ab. Eine zentrale Rolle spielt der „Ausschuss für Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und Lokale Agenda“. Er beschließt, für welche städtischen Vorhaben eine Bürgerbeteiligung eingeleitet wird. Bei einem positiven Votum wird das Projekt in eine Vorhabenliste Bürgerbeteiligung aufgenommen, die der Ausschuss in ihrem „Schicksalsweg durch die Instanzen“ und in den Rat begleitet. Auch alle Bonnerinnen und Bonner können ein Anliegen oder eine Beschwerde an den Ausschuss herantragen. Der gibt dann eine Empfehlung an die übergeordneten Gremien ab – das kann gut gehen, aber bei politisch stark polarisierten Debatten werden über diesen Weg die politischen Mehrheitsverhältnisse selten neu gemischt.
Moderierend zur Seite gestellt ist dem Ausschuss ein Beirat Bürgerbeteiligung, in dem die Einwohnerschaft, die Politik und die Verwaltung paritätisch vertreten sind. Dritter im Bunde ist eine Koordinierungsstelle für die bürgerschaftlichen Belange in der Verwaltung, die mit den städtischen Akteuren und den jeweils involvierten Fachämtern praktikable Lösungen vorantreiben soll.
Wie geht es besser?
Das alles hat Sie bisher nicht zu einem entschiedenen Eintreten für ihre kommunalen Herzensangelegenheiten motiviert?
Um Verbesserungspotentiale aufzuzeigen, hat die Stadt Bonn in 2019 eine Studie in Auftrag gegeben, welche die bisherigen Erfahrungen mit den Leitlinien Bürgerbeteiligung in Bonn evaluieren sollte. Hierzu wurden Interviews mit den im Beirat vertretenen Gruppierungen geführt und zudem die Bonner Herangehensweise mit der in fünf ausgewählten Referenzstädten verglichen. Nach den mittlerweile vorliegenden Ergebnissen monierte insbesondere die Bonner Verwaltung, dass sie das gewählte Konstrukt als zusätzliche Arbeitsbelastung empfinde. Die Gesprächspartner in den Refenzstädten Heidelberg, Mannheim, Darmstadt, Wiesbaden und Dortmund äußerten sich zwar ähnlich, legen aber genau aus diesem Grund in Teilen nicht zu großes Gewicht auf ein ausgefeiltes Regelwerk. In Heidelberg, Darmstadt und Mannheim stehen auf den Einzelfall zugeschnittene, projektbezogene Beteiligungsformate im Vordergrund. Dortmund hebt die Rolle seiner Stadtbezirke hervor, deren Bewohner*innen kontinuierlich über Masterpläne in die Veränderungen ihrer Quartiere eingebunden werden.
In Konsequenz kommen die Verfasser der Studie zu dem Schluss, dass auch in Bonn mehr offene Formate erprobt werden sollten, in denen zum Beispiel Ratsmitglieder und Quartiersbewohner*innen Themen setzen und Zielvorstellungen austauschen. Hieraus lässt sich ein Perspektivenwechsel ableiten: angestrebt wird keine „von oben“ geregelte Beteiligung, sondern ein auf Eigeninitiative der Einwohnerschaft angelegter Prozess, in dem bürgerschaftliche Kompetenz und Expertise Projekte mit voranbringen.
Allen eine Stimme geben
Wichtige Konsequenz der Analyse ist auch eine Ausrichtung künftiger Konzepte auf schwer zu erreichende Zielgruppen. Insbesondere Kindern und Jugendlichen solle eine Stimme verliehen werden. In Darmstadt wurde die „Beteiligung vor Ort“ mit einem speziell dazu ausgestatteten Lastenrad quasi „befördert“.
Viele dieser neuen Ideen sind in Bonn im Mitwirkungsprozess „Bonn4Future – Wir fürs Klima“ bereits angelegt. Ein klimaneutrales Bonn könne nach Meinung des Vereins „Bonn im Wandel“ nur Wirklichkeit werden, wenn Ideen und Motivation mittels Aktionstagen, Klimaforen und der Arbeit von Multiplikatoren direkt vor Ort Verstärkung finden. Dazu sollen Pilotstadtteile als Vorreiter an den Start gehen und dann als lernendes Netzwerk über das gesamte Stadtgebiet ausstrahlen. Der Bürgerausschuss Bonn hat einem entsprechenden Antrag bereits zugestimmt.
Ein ebenfalls großes Rad können Bürger*innen mit dem Instrument des Bürgerbegehrens in Gang setzen. In Bonn müssen dazu mindestens 10.000 Unterschriften gesammelt werden. Folgt die Gemeindevertretung dem Anliegen des Begehrens nicht, wird innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid unter Stimmberechtigung aller Bonner*innen durchgeführt. Zur Zeit läuft bei uns das Bürgerbegehren „Radentscheid“ zur Verbesserung der Bonner Fahrradinfrastruktur. Mit über 15.000 Unterschriften hatte es bis Mitte Juli das geforderte Quorum längst erfüllt.
Dass Bürger-Power sich lohnt, zeigt die eingangs erwähnte Auseinandersetzung über ein Bäderkonzept. Im Nachgang zum Bürger- entscheid wurden unter wissenschaftlicher Moderation sogenannte Planungszellen aufgesetzt, die ein Bürgergutachten zur Gestaltung der Bonner Bäderlandschaft erstellt haben. Das Ergebnis sieht für jeden Bonner Stadtbezirk ein eigenes Hallenbad und die Erhaltung aller vorhandenen Freibäder vor. Lesen Sie weiter auf Seite 12, wie sich unsere OB-Kandidat*innen die künftige Bürgerbeteiligung in unserer Stadt vorstellen.
Erschienen in der BUZ Ausgabe 5_20
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