Glyphosat bis 2033 EU-weit verlängert

24. Juni 2024 | 2024, Ausgabe, Ausgabe 3 / 2024 Klimaextreme, Melanie Alessandra Moog | 0 Kommentare

Agrochemie auf dem Acker

In diesem Jahr steht ein Jubiläum an, das die Gemüter spaltet: Seit 50 Jahren ist der Wirkstoff Glyphosat in Deutschland zur Unkrautbekämpfung im Einsatz – und er wird es auch in Zukunft bleiben. Das Breitbandherbizids gilt als einer der sichersten Bestandteile weltweit eingesetzter Spritzmittel. Rund 4000 Tonnen der Phosphonsäure werden jährlich auf deutschem Boden vergossen oder als Salz ausgebracht: Es ist ein großindustriell, aber auch von Hobbygärtnern häufig genutztes Mittel, das etwa im Produkt Roundup enthalten ist. Während es im Bioanbau verboten ist, fungiert es in der konventionellen Landwirtschaft oft im Zusammenspiel mit genmanipulierten Nutzkulturen routinemäßig als Pflanzenschutzmittel bzw. Unkrautvernichter.


Melanie Alessandra Moog


Durch Glyphosat erübrigt sich das mechanische Entfernen von Ackerwildkräutern. Es trage damit zu einer Verringerung des CO2-Ausstoßes, einer sicheren Ernte und damit zur Reduzierung immenser Kosten für Wirtschaft und Umwelt bei..

In Deutschland entwickelt sich die Haltung zum Ackergift Glyphosat teils kritischer. Die ungewissen Auswirkungen auf Mensch und Natur rücken immer wieder in den Fokus. Seit 2023 verzichtet die DB auf Glyphosat zur Instandhaltung der Bahngleise. Der Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung, Cem Özdemir, plante, Glyphosat hierzulande zum Jahresbeginn 2024 gänzlich zu verbieten.

Dieser Beschluss wurde hinfällig, denn die EU-Zulassung von Glyphosat ist mittlerweile bis 2033 verlängert. Deutschland hatte sich bei der Abstimmung enthalten, da die Bundesregierung keinen internen Konsens fand. Besonders die FDP sprach sich gegen ein Verbot aus.

Die Europäische Kommission selbst machte den Vorschlag zur Verlängerung der Genehmigung. Im Fachausschuss (SCoPAFF) und im Berufungsausschuss musste von mindestens 15 Mitgliedstaaten mit einer Mindestbevölkerungszahl von 65 Prozent eine qualifizierte Mehrheit zustande kommen. Österreich. Luxemburg und Kroatien stimmten im EU-Parlament gegen die Zulassung von Glyphosat. Eine Mehrheit für oder gegen die Weiterbewilligung kam letztlich nicht zustande, weshalb die EU-Kommission die Entscheidung eigenständig fällte.

Grundlage hierfür war eine eigens veranlasste dreijährige Analyse zu dem Mittel, gefolgt von einer Peer-Review. Tausende Studien und Fachartikel flossen unter der Leitung von Guilhem de Seze in die Risikobewertung ein. „Es handelt sich um die umfassendste und transparenteste Bewertung eines Pestizids, die die EFSA und die EU-Mitgliedstaaten je durchgeführt haben“ heißt es vonseiten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Das überraschende Ergebnis dieser Untersuchung: Glyphosat sei unbedenklich.

(Un)abhängigkeit der Studien ?

Der ausdrückliche Verweis der EU-Behörden auf die Transparenz der Untersuchung ist besonders erfreulich im Hinblick auf nur vermeintlich unabhängige Studien zu Glyphosat aus der Vergangenheit, die, wie sich herausstellte, verdeckt von Monsanto selbst finanziert worden waren, in Deutschland etwa unter der Leitung von Prof. Michael Schmitz.
Der Agrarökonom, Hochschullehrer und Lobbyist nahm über 20 Jahre eine beratende Funktion für das Bundeslandwirtschaftsministerium wahr und bekleidete als Gutachter für die DfG eine Schlüsselposition. Im Bundestag wurde er ebenfalls zu agrarwirtschaftlichen Themen angehört. Sein Verein für Agrobusinessforschung agierte unter der Adresse der Universität Gießen, die sich im Nachgang von dieser Forschungstätigkeit distanzierte. Die Firma Bayer CropScience bezweifelt eine Voreingenommenheit der Methoden und Ergebnisse der damals erfolgten Glyphosat-Studien, die zu einem befürwortenden Ergebnis gekommen waren.

Diskrepanz in der Riskobewertung

Die Europäische Chemikalienagentur ECHA prüfte neben Gesundheitsrisiken durch Glyphosat für den Menschen, darunter Karzinogenität, Genotoxizität, Reproduktions- und Entwicklungstoxizität, auch Umweltrisiken. Konkrete Hinweise auf eine Gefahr durch Glyphosat habe man nicht.
Doch wie kommt es zu den auffälligen Diskrepanzen in der Risikobewertung, die sich nicht nur beim BMEL, sondern auch bei Umweltverbänden, in diversen Universitätsstudien und bei der WHO auftun?

Sie stuft Glyphosat seit 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. In der Tat muss sich der Leverkusener Chemiekonzern Bayer CropScience stellvertretend für das zugekaufte Tochterunternehmen Monsanto in den USA wiederholt vor Gericht verantworten und hohe Schmerzensgelder an vermeintlich durch das Herbizid geschädigte Personen zahlen, auch wenn der Zusammenhang zwischen Glyphosat und Lymphdrüsenkrebs noch nicht erwiesen ist.

An der Ulmer Universität wurden embryonale Schädigungen von Amphibien durch Glyphosat nachgewiesen. Und es gibt weitere bedenkliche Erkenntnisse. Prof. Dr. Maria Finck von der Universität Kassel beteiligte sich in Kooperation mit mehreren internationalen wissenschaftlichen Instituten an einer Übersichtsstudie zur Beeinträchtigung des Mikrobioms – mit alarmierendem Fazit bezüglich der Gesundheit von Mensch und Tier. Diese Studie stand den europäischen Entscheidungsträgern noch vor der Weiterbewilligung von Glyphosat im vergangenen Jahr zur Verfügung. Das BMEL bewertet „die erneute Verlängerung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat auf EU-Ebene kritisch und als nicht gerechtfertigt“.

Ungeklärte Fragen

In ihrem Abschlussbericht räumte die ESFA tatsächlich Lücken ein: „Zu den Fragen, die nicht abgeschlossen werden konnten, gehören die Bewertung einer der Verunreinigungen in Glyphosat, die Bewertung des ernährungsbedingten Risikos für Verbraucher und die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen.“

Das Problem: Ein Mangel an Daten und harmonisierten Methoden. „In Bezug auf Biodiversität stellten die Sachverständigen fest, dass die Risiken im Zusammenhang mit den repräsentativen Verwendungszwecken von Glyphosat komplex und von mehreren Faktoren abhängig sind. […] Insgesamt lassen die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu diesem Aspekt der Risikobewertung zu, und Risikomanager können Maßnahmen zur Risikominderung in Betracht ziehen.“ Es ist fraglich, ob Vorsichtsmaßnahmen in der Anwendung nach eigenem Ermessen ausreichen, auch deshalb, weil bezüglich der Ökotoxikologie für „12 von 23 vorgeschlagenen Verwendungen von Glyphosat ein hohes langfristiges Risiko für Säugetiere ermittelt wurde.“

Mögliche Schäden durch Glyphosat

Für den Menschen könnte Glyphosat im Sikkationsverfahren besonders schädlich sein, wenn Nutzpflanzen kurz vor dem Erntezeitpunkt besprüht werden. Eine Reduzierung der Gefahren ist durch das Beizverfahren naheliegend, das besonders in Frankreich Verwendung findet.
Hierbei wird das Saatgut gezielt mit einer Mischung aus Herbiziden und anderen Substanzen, wie chemischen Düngemitteln, Insektiziden und Fungiziden, vorbehandelt und dann ausgebracht, sodass das Gift gezielt anhaftet. Bei Trockenheit und Wind kann es in diesem Verfahren bei Lichtkeimern jedoch zur staubartigen Verbreitung von Beizmitteln in Nachbargebiete kommen, was vermutlich zu großflächigem Artensterben führt.

Glyphosat stört als nicht selektives Totalherbizid die Vielfalt der Fauna, bewirkt also die Reduktion nektarhaltiger Wildpflanzen und damit die Anzahl an wertvollen Bestäubern, was sich letztlich auch für die Landwirtschaft rächt, ob Bio oder konventionell. Daneben leiden in der natürlichen Nahrungskette auch Vögel und andere Populationen. Auch beobachten wir, wie Unkräuter Resistenz gegen Pestizide entwickeln, sodass es Anpassungen in Konzentration und Zusammensetzung bedarf.
Angesichts der Tatsache, dass wir das größte Artensterbens der Menschheitsgeschichte beobachten, gestalten sich die offenen Fragen und Lücken im Fall Glyphosat als schwer hinnehmbare Variablen unzureichender Risikobewertung.

Fachleute sind aufgrund des vielfach in der Natur, besonders im Wasserkreislauf vorkommenden Abbauprodukt AMPA besorgt, das allerdings nicht immer von Glyphosat, sondern auch von anderen Chemikalien herrühren könnte, etwa aus Waschmitteln. Trotzdem wird vor der Belastung des Grundwassers gewarnt. Ein Nachweis des Totalherbizids Glyphosat ist auch im menschlichen Urin möglich – es ist ein Breitbandantibiotikum, das wir ganz besonders reichhaltig aus Weizen und Hülsenfrüchten aufnehmen.

Glyphosat & Co weltweit

Im globalen Süden existieren weniger strenge Anwendungsverordnungen für Glyphosat, zudem werden noch giftigere Abfallprodukte im Pflanzenschutz eingesetzt, die durch Agrochemiekonzerne wie BASF und Bayer produziert werden. Diese dürfen hier allerdings aufgrund geltender Gesetze nicht verwendet werden und im EU-Ausland lukrativ abgesetzt werden.

Die Einnahme von Rückständen auf Lebensmitteln – noch dazu im Cocktail mit anderen Spritzmitteln – ist in ihrer pathogenen Wirkung nicht ausreichend erforscht und holt letztlich auch uns wieder ein, wenn wir mit derart behandelten Feldfrüchten unsere Supermarktregale füllen. Wir vergiften dabei nicht nur uns selbst, sondern Menschen und Ökosysteme weltweit. Bauern in Drittwelt- und Schwellenländern verlieren in neokolonialistischen Strukturen alte Kultursorten, die Teil des Menschheitserbes sind, und auch traditionelle Wirtschaftsweisen der Ernährungssouveränität, sodass nicht nur die biologische, sondern auch die biokulturelle Diversität schwindet.

Bayer liefert nicht nur Agrochemie, sondern auch Pharmazeutika, als Gegenmittel. Eine Studie zu „Doppelstandards“ des Konzerngiganten vonseiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) zeigt, dass die Monopolstellung mit Wirkstoffpatenten ein wachsendes Milliardengeschäft ist. Die RLS vermutet, dass zehntausende Menschen außerhalb der EU pro Jahr an Pestizidvergiftung sterben. Der Export hochgefährlicher Pestizide aus der EU sollte verboten und der Einsatz von Glyphosat, Panther 24 & Co stärker reguliert werden. Die Wirtschaftskraft, die durch Subventionierung, Steuererleichterung und Lobbyarbeit der agrochemischen Industrie noch immens steigt, darf nicht über den Pestizideinsatz entscheiden.

Ökologische Perspektiven

Wie geht es nun weiter? Die in Deutschland unweigerlich veranlasste Eilverordnung des BMEL zur Wahrung der EU-Konformität muss bis zur Jahresmitte von dauerhaften Regularien abgelöst werden. Die geplante Verschärfung der nationalen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung bildet eine Möglichkeit der graduellen Einschränkung. Bereits jetzt ist Glyphosat auf befestigten Wegen und seit 2011 auch zur Pflege öffentlicher Grünflächen verboten. Ähnliches könnte künftig für Haus- und Kleingärten gelten, um „die Biodiversität besser zu schützen“, so das BMEL. Kann die konventionelle Landwirtschaft Ackergifte ausschleichen und bis 2033 Alternativen finden? Für die Intaktheit unserer Lebensräume, besonders zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, der Bodenorganismen und der Speicherung von CO2 im Boden bietet sich eine regenerative Wirtschaftsweise an, die sowohl im Garten als auch auf dem Feld auf das Pflügen und Pestizide verzichtet. Besonders für Privatleute gilt: „Unkräuter“ haben nicht nur einen biologischen Nutzen, sondern auch einen Platz in der Kräuterküche und Naturheilkunde – diese können wir ernten, statt sie radikal abzutöten. Durch Mischkulturen steigern wir Erträge und Biodiversität, während organischer Mulch nicht nur der Vorbeugung von Austrocknung und Bodenerosion dient, sondern auch der effektiven Vermeidung von unerwünschten Beikräutern – ganz ohne mühevolles Umgraben und Pestizideinsatz.

Mehr von Melanie Alessandra Moog

 

 

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Beitrag teilen

Verbreite diesen Beitrag!