Kommerzielle Werbung von nachhaltigen Produkten
Soulfood, Selbstfindung, Kräuterwanderung oder Minimalismus: Wie passen diese Begriffe zum doch eher absatzgetriebenen und gewinnmaximierenden Marketing? Bei Firmen, die eher Reparaturen empfehlen als neu zu kaufen, kleidet es sich sogar etwas ironisch. Oder?
Bei der Internetsuche nach „spirituellem Marketing“ ploppen Beraterinnen und Berater wie Melinda Cange, Jürgen Grunau oder Ursula Podeswa mit ihren Portalen, Magazinen und Blogs auf. Mit Tipps, eigenen Geschichten und Infos zum Thema wollen sie unter anderem den Heil- und Gesundheitsberufen zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell verhelfen. „Weil es Sinn macht, energetische Prinzipien in dein Marketing einfließen zu lassen“, schreibt beispielsweise Melinda in ihrem Blog. Sie spricht dort von zwei „Welten“, die sie auf eine authentische Weise zusammenbringt.
Auch Jürgen lässt auf seinem Heilerportal kein gutes Haar am „normalen“ Marketing: „Da geht es rein um Zahlen, um das Sammeln von Informationen, […] um Geschwindigkeit […] und zum Teil wird mit großer Dreistigkeit vorgegangen.“ Auch er zeigt Mittel und Wege auf, wie „kosmische“ Gewerbetreibende für ihre Kundinnen und Kunden „klar und kraftvoll sichtbar“ werden.
Ursula attestiert in ihrem Magazinartikel ihrer Klientel gar „psychische Blockaden gegen Erfolg“. In ihrem Dafürhalten gehörten zum spirituellen Marketing zusätzlich ethisches Vorgehen, eine Übereinstimmung der Seelenwege von Anbieter*innen und Kunden*innen sowie eine Win-win-Kommunikation. Demnach gibt es Gewerbetreibende, die es als moralisch und ethisch für unvertretbar halten, Gewinn zu erzielen.
Als Kommunikationswissenschaftler und PR-Berater möchte ich nach so viel Diskreditierung gerne eine Lanze für das Marketing brechen. Bereits von Beginn an bedeutete erfolgreiche Vermarktung eines Produktes oder einer Dienstleistung die authentische Darstellung. Nur wer zu ihrer oder seiner Arbeit steht, aus Überzeugung handelt und im Idealfall den Beruf zur Berufung gemacht hat, schafft es, begeisterte Abnehmerinnen und Abnehmer zu gewinnen und vor allem zu halten.
Dass es dabei oft weit auseinanderklaffende Differenzen zwischen Sagen und Tun gibt, liegt nicht am Marketing als Instrument. Vielmehr ist es der Versuch von schwarzen Schafen, ihre minderwertigen Produkte gegen die Konkurrenz ins bessere Licht zu rücken. Um bei dieser Metapher zu bleiben: So lassen sich die Guten und ihre Überzeugungsprodukte oft in den Schatten stellen. Obwohl es das bessere Produkt, die schlagfertigeren Argumente, das nachhaltigere Wirtschaften, die fairere Lieferkette und die glücklicheren Angestellten sind, wählt die Kundschaft dann doch das meist günstigere Alternativprodukt.
Ein Überblick
Ein kleiner Einblick ins „normale“ Marketing-Einmaleins anhand eines Gedankenspiels kann also nicht schaden: Wir, Sie und ich, produzieren Kräutertee. Das grundlegendste Absatzmodell beschreibt vier Ps – was sich natürlich auf englische Begriffe bezieht, die übersetzt in Klammern zu lesen sind: Product (Produktpolitik), Price (Preispolitik), Placement (Platzierungspolitik) und Promotion (Kommunikationspolitik; manchmal auch als Werbung bezeichnet).
Wir sind also eine Bio-Teemanufaktur aus Deutschland: Genossenschaftlich organisiert, bio-zertifiziert, aus dem schönen Pommerland. Einen Teil unserer Zutaten bauen wir selbst an. Den anderen Teil beziehen wir von ebenfalls bio-zertifizierten und uns vertrauten Kräuterhöfen. Wir sind ein Team aus elf Frauen, drei Männern und mittlerweile über einhundert Genossinnen und Genossen. – Diesen Teeproduzenten gibt es übrigens wirklich: Kräutergarten Pommerland.
Das erste P, über das sich unwillkürlich alle Gewerbetreibenden Gedanken machen, ist das Produkt oder die Dienstleistung selbst. Je überzeugter wir von dem sind, was wir anbieten, desto besser. Warum aber sollten wir nicht für unser Produkt einstehen? Wir haben die Kräuter selbst angebaut, unter Schweiß angepflanzt, großgezogen und geerntet. Wir haben nächtelang nach den richtigen Mischungen gesucht, viel ausprobiert und auch Fehler gemacht, bis unsere ersten vier Sorten herausgearbeitet waren. Aber danach ist das erste P nicht fertig. Wir können jetzt nicht aufhören, darüber nachzudenken. Vielmehr erweitern wir ständig das Sortiment. Etablieren, was gut ankommt, kategorisieren, verbessern, variieren. Und ja, lieber Jürgen, da geht es um Zahlen und Infos. Denn egal, wie gut wir unser Produkt finden, unserer Kundschaft soll es auch gefallen.
Der Preis
Der Preis ist das zweite P. Sonderangebote, Pakete wie ein Osterspezial mit kleiner Eiervase und Kräutern oder Aktionen wie Gewinnspiele gehören genauso dazu, wie das Ermitteln des Preises selbst. Jürgen, auch hier gehört Forschung dazu. Natürlich können wir ausrechnen, was wir verdienen müssen, um über die Runden zu kommen. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die Konkurrenz. Wir sind ja schließlich nicht die einzigen, die Tee produzieren. Unser Klassiker Sonnengruß kostet 7,48 Euro pro 100 Gramm. Der Bremer Gewürzhandel nimmt für ein vergleichbares Produkt von Yogitea 8,29 Euro. Der Bio-Tee im Teekanne-Onlineshop kostet 9,90 Euro und die Bio-Ingwer-Kräutertees im Tee-Gschwendner Onlineshop gar über 12 Euro im Schnitt.
Die Platzierung
Zur Platzierung als drittes P gehören Verpackung und Vertrieb. Jetzt müssen wir aufpassen, denn sogar die authentischsten Marken nehmen ihre Verantwortung spätestens hier nicht mehr so ernst. Da kommt das nachhaltige Bio-Produkt oftmals in die billigste, nicht abbaubare Plastikpackung und ist dann beim Supermarktriesen um die Ecke zu haben. Nein, so leicht geben wir unsere Integrität nicht auf. Also kommt unser Tee im organischen Pappkartonkleid mit Bio-Farbdruck daher. Drinnen hält eine wiederverschließbare und -verwertbare Tüte aus Baumharz, Bio-Ölen und Hanf unseren Tee frisch und lecker. Zu bekommen gibt es unsere Produkte nur in unserem Online-Shop oder im Hofladen frisch abgefüllt. Wir versenden außerdem nur mit Dienstleistern, die ihre Paketzustellerinnen und -zusteller fair bezahlen und Elektroautos zur Auslieferung benutzen.
Die Kommunikation
Das letzte P – und damit scheinen unsere drei Beraterinnen und Berater vom Anfang am meisten Unwohlsein zu verbinden – ist die Kommunikation rund um unseren Betrieb und unsere Produkte. Wir tun schon Gutes, jetzt müssen wir nur noch darüber reden. Dafür gibt es so viel mehr Möglichkeiten als Fernsehwerbung. Weil damit auch immer viel Arbeit verbunden ist und wir uns ja zu allererst auf unsere Produktion konzentrieren wollen, entscheiden wir uns zu diesem Mix: Sponsoring des lokalen Sportvereins, regelmäßige Kräuterwanderungen mit Produktionsbesichtigung auf dem Hof, einen Blog zu Kräuteranbau im Netz, der von Social-Media-Kanälen flankiert wird, Gründung einer Initiative für den Kräuterteeanbau in Deutschland, Pressearbeit mit regionalen und überregionalen Ratgeberredaktionen für Gesundheit und einen regelmäßigen Videoblog/Podcast über die Arbeit auf dem Hof.
Auch nachhaltige, ökologische, kosmische oder spirituelle Betriebe betreiben Marketing. Von Anfang an und zum Teil unbewusst denken sie einzelne Aspekte mit. Dabei ist Marketing nicht nur Werbung, sondern vielmehr das komplette integrierte Handeln rund um die eigene Marke und das eigene Produkt oder die eigene Dienstleistung. Es muss alles zusammenpassen, um einen konsistenten und konsequenten Eindruck zu hinterlassen. Wer also keinen Gewinn mit der eigenen Unternehmung erzielen will, aber trotzdem wertgeschätzt und wahrgenommen werden möchte, hat ebenfalls Möglichkeiten: Crowdfunding, Stiftungen, gemeinnützige Vereine.
Dafür braucht es allerdings keine neue Form oder Ausprägung des Marketings. Denn die kommunikative Werkstatt ist voll mit passenden Werkzeugen, die auch jetzt schon zu einem spirituellen Betrieb passen. Es kommt lediglich auf die Auswahl und die Umsetzung an. Wer sich damit etwas gezielter und bewusster auseinandersetzt, muss keine Angst vor dem eigenen Erfolg haben.
Dieser Artikel erschien in der BUZ-Ausgabe Mai/Juni 2020.
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