Nostalgie – Das Grüne Band entdecken

17. August 2024 | Nostalgie, Susanna Allmis-Hiergeist | 0 Kommentare

Von Tschechien bis an die Ostsee

Der ehemalige festungsmäßig abgeschirmte Grenzstreifen zwischen den beiden deutschen Staaten hat es als Biotopverbund in sich. Was für die Bürger auf beiden Seiten des Zauns äußerst bedrohlich war, bot während vier Jahrzehnten hervorragende Rückzugsräume für seltene Tier- und Pflanzenarten. Und diese als Grünes Band bekannte Route läßt sich nun mit etwas Abenteuerlust auch durchgängig erwandern.

 

Sie lesen einen Artikel aus der BUZ Juli/August 2016.


Susanna Allmis-Hiergeist


Neuntöter in freier Natur zu beobachten ist nicht leicht, aber dank ihrer etwas merkwürdigen „Essgewohnheiten“ kann man zumindest ihre Siedlungsspuren mit etwas Glück in den dornigen Gebüschen des Grünen Bandes entdecken. Um ein Nest Jungvögel groß zu ziehen, benötigt das Brutpaar ungefähr neun Kilogramm Mäuse, eine gewaltige Beschaffungsleistung. Doch die Mäusejagd im ehemaligen Kfz-Sperrgraben hinter dem Grenzzaun war ergiebig und die Schlehengebüsche in den Brachen des sogenannten vorgelagerten Hoheitsgebietes der DDR boten ausreichend Dornen und somit eine Art Vorratskammer, um die Beute nestnah aufzuspießen.

Weil das sogenannte Niemandsland zwischen Ost und West nicht sehr systematisch gepflegt wurde und Gehölze und Sträucher nur sporadisch entfernt wurden, entwickelte sich der Bereich zu einer vielfältigen Mischung aus offenen und verbuschten Zonen – übersichtlich mit der gleichzeitigen Möglichkeit der Deckung und daher von vielen Vögeln und anderen tierischen Bewohnern geschätzt. Heute vernetzen sich entlang der ca. 1300 km langen ehemaligen Grenze unterschiedlichste Landschaften wie Feuchtgebiete, Heide, Magerrasen und Mischwälder zu einem Biotopverbund, der seit 1989 den Namen „Das Grüne Band“ trägt und zum Nationalen Naturerbe Deutschlands gehört. Hier finden über 1200 bedrohte Pflanzen- und Tierarten wie das Braunkehlchen, das Birkhuhn, der Schwarzstorch und eben auch der Neuntöter einen weitgehend geschützten Lebensraum.

Wandern am Grünen Band

Auch wenn das Grüne Band als Streckenwanderung komplett beschrieben ist (siehe Kasten), gibt es für praktische Fragen wie die abendliche Zimmersuche kein durchgängiges Patentrezept. Touristische Regionen wie Harz und Thüringer Wald sind gut markiert und es stehen ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung. In weniger gut erschlossenen Gebieten heißt es auch einmal improvisieren, in der Ortswirtschaft fragen, irgendwo findet sich meist doch noch ein leerstehendes Kinderzimmer.
Die Grenzwanderung von Hof bis zum Ostseestrand läßt sich in 60 Etappen mit einer täglichen Gehzeit von ungefähr 6 Stunden einteilen. Dabei führt der Weg zu fast 40% über die Lochbetonplatten der ehemaligen Kolonnenwege, 20% machen Straßen aus und beim Rest geht man bequemer auf Wald- und Feldwegen. Aber Achtung: besser nicht von den befestigten Wegen abweichen, denn die verminten Zonen wurden zwar bestmöglich geräumt, aber ein Restrisiko bleibt dennoch. Umgekehrt zeichnen diese Wege aus ganz anderen Gründen auch Abweichungen vom ehemaligen Grenzverlauf nach. Trotz aller Anstrengungen der Naturschützer sind über 10% des Grünen Bandes bedroht oder bereits zerstört, entweder durch kreuzende breite Straßen, die für Tiere unüberwindbar sind, oder durch ausgedehnte, oft ohne Genehmigung umgepflügte landwirtschaftliche Flächen, die den Wanderer zu Umwegen zwingen. Der BUND bietet auf seiner Homepage symbolische Anteilsscheine an, mit deren Erlös die Öffentlichkeitsarbeit zum Erhalt des Grünen Bandes gestärkt werden soll.

Das Grüne Band Europa

Fast zehnmal so lang wie das deutsche Grüne Band ist das Grüne Band Europa (European Green Belt), das seit 2014 den Erhalt der durch den Kalten Krieg entstandenen, weitgehend naturnah belassenen Grenzstreifen quer durch Europa sichern soll. Es reicht vom Eismeer im Norden Norwegens bis zum Schwarzen Meer an der Grenze zur Türkei und steht unter der Schirmherrschaft der International Union for Conservation of Nature (der Weltnaturschutzorganisation). Hauptziele sind auch hier der Erhalt bedrohter Tierarten und die barrierefreie Vernetzung einzelner Habitate, um Wanderungsbewegungen und den Austausch von Populationen zu ermöglichen. Der BUND hat für dieses Projekt eine Regionalkoordination für die Länder Mitteleuropas übernommen.

Anders als das Grüne Band Deutschland ist das europäische Band wandertechnisch kaum als Ganzes erschlossen. Hier kann noch Pionierarbeit geleistet werden. Und wenn man die Nahbrille des Projektes ein Stück weit verlässt: Gerne würde man die Idee der Durchlässigkeit des Grünen Bandes Europa auch als ein versöhnliches Signal an die krisenbedingten Wanderbewegungen unserer Zeit verstehen.

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