Lebensraum Wiese
Insektenexpertin und Naturfotografin Ute Köhler arbeitet mit dem städtischen Bauhof in Linz am Rhein daran, aus Zierbeeten und Rasenflächen nachhaltige, insektenfreundliche Lebensräume zu schaffen. Ausgewählte Pflanzen der heimischen Flora sollen besonders das Überleben spezialisierter und gefährdeter Arten sichern.
Melanie Alessandra Moog
Liebe Ute, welche Schritte unternimmt die Stadt Linz am Rhein aktuell für den Insektenschutz?
Wir haben den Beschluss gefasst, eine naturnahe Stadt zu werden und uns gleichzeitig dem Netzwerk Blühende Landschaft angeschlossen. Wir vom stadteigenen Bauhof legen nach und nach neue Naturbereiche auf öffentlichen Flächen an, was oft recht aufwändig vorbereitet werden muss. Vom Entfernen des vorherigen Bewuchses bis hin zum teilweisen Bodenaustausch. Diese Neuanlagen müssen genau kontrolliert und gepflegt werden. Der Wiesenaufbau erfolgt, je nach Bedarf, mit Schröpfschnitten. Wir kontrollieren, dass sich keine invasiven Neophyten festsetzen und übernehmen die Pflege und Mahd mit dem Balkenmäher, den die Stadt Linz eigens dafür angeschafft hat. Bei Neuanlagen und auch auf bestehenden Flächen bringe ich meine langjährigen Erfahrungen und Kartierungsarbeiten ein: Die Insektenarten, die ich hier in Linz erfasse, werden in all unseren Biotopen weiter gefördert. Mit jeder neuen Art säen wir gezielt die jeweils geeigneten heimischen Pflanzenarten, besonders um gefährdete Arten zu fördern. So fördern wir gleichzeitig auch die meisten generalistisch lebenden Arten.
Was sind generalistisch lebende Arten?
Generalistisch lebende Arten sind auf keine speziellen Blüten angewiesen, was allerdings nicht automatisch heißt, dass sie in ihrer Existenz nicht bedroht sind. Oftmals fehlt es generell an Blühendem – und zwar vernetzend, denn Wildbienen beispielsweise können nur kleinere Strecken fliegen, meist nur im Radius zwischen 150 m und 900 m. Ein weiterer Grund, dass auch viele generalistisch lebende Wildbienen in ihrem Bestand gefährdet sind, sind mangelnde Unterschlüpfe, wie zum Beispiel karge und magere Bereiche an Steilhängen, Lehm- und Lösswände, lückige Bodenstellen und ähnliches. Es fehlt ihnen schlichtweg an geeigneten Nistplätzen. Da helfen leider auch vereinzelte Insektenhotels wenig.
Wie charakterisieren sich die Beete, die du betreust?
Auf Magerstandorten haben wir die höchste Biodiversität, d. h. auf nährstoffarmen Böden lebt die höchste Anzahl an Blühpflanzen und Insektenarten. Deshalb sind in Linz am Rhein schon zahlreiche Magerstandorte entsprechend bepflanzt worden. Hier erweitern wir zusätzlich noch ständig mit sogenannten Anschlussbiotopen, wie zum Beispiel Sandarien, Wasserstellen, Totholz, Lesesteinhaufen usw..
Welche Pflanzengesellschaften wachsen dort, nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt und wie stehen sie in Beziehung zur Insektenwelt?
Je nach Bodenart und Vorbereitung wachsen die Pflanzengesellschaften unserer heimischen Kalkmagerrasen, Trockenrasen oder auch die der klassischen Fett- bzw. Frischwiesen. Das sind Pflanzengesellschaften, die sich gegenseitig erhalten und genau das ist es, was in der freien Landschaft so fehlt. Denn wir haben in Deutschland gerade mal noch zwei Prozent artenreiches Dauergrünland, was es unseren Insekten sehr schwer macht zu überleben. Solche Naturräume brauchen wir wieder, und zwar vernetzt.
Welche sind aktuell für dich die wichtigsten Pflanzen und ihre „passenden“ Insekten?
Um das zu beantworten, unterscheide ich Pflanzenarten für sonnige und trockene Bereiche. Da ich nun schon einige Insektenarten in Linz und auch in meinem eigenen Garten am Mittelrhein erfasst habe, kann ich auch grobe Pflanzenempfehlungen für die Region geben. Beginnend mit den meisten unserer heimischen Stauden: Die haben eine „Doppelfunktion“ – sie sind nicht nur Pollen- und Nektarspender, sondern gleichzeitig auch noch Eiablagepflanzen (Raupenfutter) für viele Schmetterlingsarten. Beispiele für tolle Stauden sind die Ackerwitwenblume und die Taubenskabiose: Sie ziehen die Knautien-Sandbiene an, eine spezialisiert lebende Wildbiene, aber auch zahlreiche andere Insektenarten.
Auch die Moschusmalve ist toll, und zwar nicht nur optisch, sondern besonders als Futter und Ablageplatz für den Malvendickkopf. Das ist ein kleiner Tagfalter, der auf Malvengewächsen für seinen Nachwuchs sorgt. Gleichzeitig ist diese Malvensorte eine gute Pollenpflanze für Wildbienen. Das Taubenkropfleimkraut versorgt vor allem die Nachtfalterarten.
Besonders spannend sind auch unsere Glockenblumenarten, darunter die Rundblättrige und die Pfirsichblättrige Glockenblume sowie die Knäuelglockenblume:
Sie dienen spezialisiert lebenden Wildbienenarten, aber auch zahlreichen anderen Insekten. Der Natternkopf ist eine zweijährige Wildstaude, die unter anderem für diverse Wildbienen spezialisiert ist, ebenso wie die Resede. Unser Fenchel wiederum ist die Eiablagepflanze für den wunderschönen Schwalbenschwanz, als Raupenfutter-Pflanze, und ist zugleich Nahrung für zahlreiche weitere Insektenarten. Auch der Hornklee ist geeignet, weil er der Eiablageplatz des Hauhechelbläulings und ein guter Nektarspender, vor allem für Hummeln, ist. Auf dem gewöhnlichen Sonnenröschen legen viele Schmetterlingsarten ab, zugleich ist es die Lieblingspollenpflanze einiger Wildbienenarten. Als immergrüner Bodendecker macht er sich sehr gut im naturnahen Beet. Der Hufeisenklee hat besonders viel Nektar zu bieten. Auch die Schwarze Königskerze, Karthäusernelken, Schlüsselblumen, Disteln und den Wiesenstorchschnabel setze ich gern ein. Die Küchenschelle ist einer meiner Favoriten als Frühblüher, für die früh im Jahr fliegenden Insektenarten. Auch die ungemähten Gräser sind wichtige Eiablagepflanzen und Raupenfutter für zahlreiche Schmetterlingsarten, wie zum Beispiel Schafschwingel, Zittergras und das Wollige Honiggras.
Was sind die größten Vorteile gegenüber Zierbeeten oder monotonen Graswüsten?
Zum einen können naturnahe Beete zu Hotspots für gefährdete Arten aus Flora und Fauna werden, indem man gezielt seltene Pflanzenarten einbringt. Zum anderen sind sie sehr pflegeleicht. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit müssen sie nicht mehr bewässert werden. Man sollte nur dafür sorgen, dass immer ein paar offene Bodenstellen für die Insekten vorhanden sind. Die Beete werden maximal zweimal pro Jahr beschnitten, um eine Nachblüte zu fördern. Insekten sind anspruchsvoll und wählerisch: Schmetterlinge beispielsweise möchten gern an frischem Grün ablegen.
Woher beziehst du das Saatgut?
Vom regionalen Saatguthersteller Rieger Hofman, der sowohl fertige Mischungen als auch Einzelsaatgut anbietet.
Wie hat sich deine Leidenschaft für den Insektenschutz entwickelt?
Im Garten und bei der Naturfotografie habe ich mich in das Thema verliebt! Vor 30 Jahren begann ich, mich einzuarbeiten und in Zülpich nahe Köln öffentliche Grünflächen insektenfreundlich zu renaturieren. Ich habe unterschiedlichen Wiesentypen, je nach Bodenart und auch durch das Anlegen von sogenannten Magerstandorten bzw. Magerbeeten Raum gegeben. Je größer und vielfältiger die Vernetzung dieser Biotope wurde, umso mehr Arten konnte ich in dieser Zeit dokumentieren und erfassen. Manchmal habe ich auch spekuliert, welche gefährdeten Arten die umliegenden Naturschutzgebiete beherbergen – und so manche Art konnte ich dadurch später auch auf unseren Wiesen ansiedeln und erfassen. Darunter gab es auch so manche gefährdete Insektenart – einen schöneren Erfolg kann es nicht geben! Wenn ich an die Wildblumenwiesen meiner Kindheit zurückdenke und sie mit dem heutigen Landschaftsbild vergleiche, das immer mehr an Vielfalt verarmt, ist es wirklich traurig und alarmierend.
Welchen Rat gibst du Menschen, die mehr für Insekten tun möchten?
Auf jeden Fall auf heimische Bepflanzung achten! Denn nur sie bietet unseren Insektenarten das, was sie brauchen. Es kommt nicht darauf an, dass etwas blüht – sondern was da blüht!
Wie ist dein Werdegang im Bereich Insektenschutz?
Vor über 30 Jahren habe ich angefangen, mich intensiv mit den Pflanzenarten der gemäßigten Klimazone zu beschäftigen. Über die Naturfotografie, den eigenen Garten und Lesearbeit konnte ich mir viel Wissen über die Zusammenhänge unserer heimischen Natur aneignen. Damals war ich sehr erschrocken darüber, dass es kaum noch diese wunderschönen Wildblumenwiesen gab, wie ich sie noch von früher kannte. Das musste sich ändern! Und so kam es, dass ich in Zülpich eine erste öffentliche Fläche in eine Wildblumenwiese verwandelte. Die daraus resultierenden Erfolge spornten mich an, genau da weiterzumachen. Mit ehrenamtlichen Mitstreitern renaturierte ich viele weitere Flächen, mit wiederum tollen Erfolgen. Wir haben es geschafft, dass sich nicht nur immer mehr Insektenarten, sondern auch gefährdete Insektenarten auf unseren Biotopen angesiedelt haben. Einen größeren Erfolg kann es nicht geben! Auch das Interesse der Menschen im Umfeld und weit darüber hinaus ist gewachsen. So habe ich die Facebook-Gruppe „Lebensraum Wiese“ erstellt, die bald 10.000 Mitglieder zählt. Hier können sich Neueinsteiger beraten lassen, Gleichgesinnte sich austauschen, bestehende oder neue Projekte zeigen oder einfach nur Bilder von all den wunderschönen heimischen Wiesen teilen. Wer Lust auf einen tollen Austausch hat, ist dort herzlich willkommen!
Ich bewundere diese großartige Arbeit von Ute Köhler und ihrem Team.
Das brauchen wir in allen Städten und Dörfern.