Mode-Revolution in Bonn

1. September 2019 | Gesellschaft, Nachhaltigkeit, Verena Mandt | 0 Kommentare

Fast-Fashion vs. Gemeinwohl-Ökonomie

Die öko-faire Modebranche und ihre Unterstützer setzen sich weiterhin für eine faire Wirtschaftsordnung und umweltfreundlich Herstellung ein. Dabei spielen zunehmend auch Faktoren abseits der Produktion eine Rolle, gestützt von der Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie.

Verena Mandt

Anlässe wie die Neueröffnung der Fast- Fashion-Kette Primark am Bonner Hauptbahnhof zeigen die Diskrepanz in der Bevölkerung beim Thema Mode. Während die einen Kleidung für die ganze Familie zu Minimalpreisen feiern, schließen sich zahleiche NGOs zu gemeinsamen Aktionen gegen die Fast-Fashion-Industrie zusammen. Ihre Kritik: Unzureichende oder gar keine Sicherheitsstandards, Ausbeutung der Arbeiter bis hin zu moderner Sklaverei, Verstöße gegen Menschenrechte, mangelnde Transparenz in der Lieferkette, Umweltverschmutzung in der Produktion und durch unnötige Transportwege.

Die Liste ist lang und noch lange nicht vollständig. Gemeinnützige Organisationen wie z.B. der Bonner Frauenrechtsverein Femnet arbeiten schon lange daran, über die Schattenseiten der Modeindustrie aufzuklären und alternative Möglichkeiten aufzuzeigen. Die Aufklärung der Konsumenten über Missstände in der Modeproduktion und ökologisch-faire Alternativen, z.B. in Form von Einkaufsführern für Bonn und Köln sowie im Rahmen von diversen Veranstaltungen, ist dabei nur ein Teil der Arbeit.

Auch öffentliche Institutionen werden beraten, wie sie mehr Nachhaltigkeit bei zukünftigen Beschaffungen umsetzen können und es finden zunehmend Veranstaltungen zur Aufklärung der Modestudenten an Unis und Fachhochschulen statt, um das Thema auch auf Hersteller-Ebene präsent zu machen. Darüber hinaus unterstützt Femnet gewerkschaftliche Organisationen von Textilarbeiterinnen in Indien und Bangladesch dabei ihre eigenen Rechte durchzusetzen.

Faire Mode in Bonn auf dem Laufsteg

Trotz aller bisherigen Bemühungen besteht immer noch viel Unklarheit über die existierenden Textilsiegel und “Grüner” Mode haftet bei vielen noch das Image an unmodern und wenig schick zu sein. Dass letzteres nicht stimmt, beweist die jährlich im Rahmen der fairen Woche stattfindende Veranstaltung Rundum Fair, die neben einem kostenlosen fairen Frühstück und einem fairen Stadtrundgang auch eine faire Modenschau beinhaltet. Mit dabei sind dieses Jahr die drei in Bonn ansässigen Modegeschäfte Maas Natur, Kiss the Inuit und La Creole, von denen die ersten beiden bereits in den letzen Ausgaben vorgestellt wurden, sowie das Kölner Label Shipsheip.

Fair & grün seit 1976

Mit nachhaltiger Mode abseits der Massen beweist La Creole seit über 40 Jahren, dass fair und ökologisch produzierte Kleidung mehr als ein Marketingkonzept ist. Gründerin Hanna Schetting, die aus der Entwicklungshilfe kommt, bot bereits 1976 in ihrem ersten Ladenlokal an der Uni Handarbeiten aus Südamerika, Indien und Indonesien an, die sie von ihren Reisen mitbrachte. Nun in der zweiten Generation von ihrer Tochter Katja Schetting geführt, umfasst das Sortiment des Ladenlokals in der Bonner Friedrichstraße eine Mischung kleiner deutscher und europäischer, überwiegend skandinavischer Designer und Green Fashion Labels. Dabei finden viele Naturmaterialien wie Leinen, Seide, Baumwolle, Hanf und Wolle Verwendung, aber auch Upcycling-Kleidung aus getragenen indischen Saris ist mit dabei.

Nachhaltig ist La Creole dabei auf zweierlei Weise: zum einen in Bezug auf Herstellung, Material und Langlebigkeit der Produkte, zum anderen durch persönliche, oft jahrzehntelang bestehende Beziehungen zu Herstellern, Kundinnen und Mitarbeiterinnen, die von einem fairen und ehrlichen Umgang geprägt sind. Dabei schätzen de Kunden v. a. die aufrichtige und fachkundige Beratung. Neben der Teilnahme an der fairen Modenschau am 28. September auf dem Münsterplatz, bietet La Creole jedes Jahr zur fairen Woche (in 2019 vom 23. bis 28.09.) die Aktion “Nur in gute Hände abzugeben” an. Hier können bei Le Creole gekaufte Stücke als Second-Hand-Ware abgegeben werden, der Verkaufserlös wird dann mit dem nächsten Einkauf verrechnet. Darüber hinaus unterstützt das Unternehmen seit einigen Jahren die Andheri-Hilfe, die Hilfe zur Selbsthilfe in Indien und Bangladesch bietet.

Mode soll Spaß machen – ohne schlechtes Gewissen.

Das ist das Ziel von Alma & Lovis, ein weiteres Bonner Label, das 2011 von den zwei Modedesignerinnen Elke Schilling und Annette Hoffman mit dem Wissen um die Missstände der Textilindustrie und der Vision, die Textilindustrie zu verändern, gegründet wurde. Dabei war und ist ihnen soziale Fairness ein Hauptanliegen. Ihre Kollektionen, die mittlerweile in zwei Geschäften in Köln und Bonn sowie online erhältlich sind, umfassen in erster Linie außergewöhnliche und langlebige Kleidungsstücke wobei v.a. natürliche Fasern mit besonderen Eigenschaften und exklusive Materialien wie z.B. Leinen, Hanf oder Alpaka-Wolle Verwendung finden.

Die Produktion der Kleidung ist sozial und fair. Das garantiert neben dem GOTS-Zertifikat eine enge, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Lieferanten und Produzenten und deren regelmäßige Überprüfung auf ökologische und soziale Standards. Darüber hinaus ist die Verantwortung gegenüber der Umwelt und den beteiligten Mitarbeitern ein zentraler Aspekt: hierzu zählt z.B. die effiziente Nutzung der eingesetzten Rohstoffe aber auch die Verarbeitung der Rohstoffe direkt vor Ort, um Transportwege zu minimieren. Seitens der sozialen Verantwortung tritt Alma & Lovis für gerechte Entlohnung, Einhaltung der Menschenrechte und Arbeitssicherheit ein. Außerdem sollen ihre Kleidungsstücke weder die Gesundheit der Konsumenten noch der am Herstellungsprozess beteiligten Personen gefährden.

Ein Schritt weiter: Die Gemeinwohl-Ökonomie

Die Vorstellung der beiden Bonner Modegeschäfte zeigt, dass zu einem nachhaltigen Unternehmen mehr als ökologische und sozialverträgliche Produktion gehören. Auch der Umgang mit Kunden und Mitarbeitern sowie Beziehungen zur Gesellschaft sind heutzutage zentrale Aspekte bei der Bewertung und Selbstausrichtung eines Unternehmens und sind geprägt vom Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie.

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein alternatives Wirtschaftsmodell, das auf gemeinwohl-fördernden Werten basiert und sich als Veränderungshebel auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene versteht. Auf wirtschaftlicher Ebene bietet es konkret umsetzbare Alternativen für Unternehmen verschiedener Größen und Rechtsformen. Dabei soll der Zweck des Wirtschaftens und die Bewertung von Unternehmenserfolg anhand von gemeinwohlorientierten Werten erfolgen. Auf politischer Ebene sieht es sich als Motor für rechtliche Veränderungen mit dem Ziel ein gutes Leben für alle Lebewesen zu gewährleisten. Zentrale Werte sind dabei Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Gemeinwohl-Ökonomie als Initiative der Bewusstseinsbildung für Systemwandel zu sehen und strebt die Vernetzung mit anderen, ähnlichen Initiativen an. Die zugrundeliegende Vision ist die einer Wirtschaft in Einklang mit ethischen Werten.

Der Autor des Buches “Gemeinwohl-Ökonomie” und Mitbegründer der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung C. Felber kritisiert an der gegenwärtigen Wirtschaftssituation: “Das Geld ist zum Selbstzweck geworden statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: ein gutes Leben für alle.” Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie hingegen ist eine Wirtschaft, die dem Wohle aller dient und dabei im Rahmen der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ökosysteme und der Grenzen des Planeten bleibt. Arbeit soll sinnstiftend sein und genug Freiräume für Familie, Kinder, ältere Menschen sowie für Kultur und persönliche Weiterentwicklung bieten.

Des Weiteren wird eine Landwirtschaft, die fruchtbare Böden und Biodiversität fördert, Tiere achtet und Flüsse und Meere sauber hält, angestrebt. Leider zeichnet die moderne Modeindustrie oft ein sehr gegenteiliges Bild und zwar nicht nur in Bezug auf die Produktionsbedingungen, auch die Bedingungen für Mitarbeiter im Einzelhandel bleiben oftmals hinter den Vorstellung der Gemeinwohl-Ökonomie zurück. Umso erfreulicher ist es, dass sich immer mehr Unternehmen der Idee der Gemeinwohl-Ökonomie anschließen.

Seit der Gründung des Vereins zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie in 2011 haben bereits über 300 Unternehmen in Europa und Amerika eine Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht. Diese basiert auf einer Matrix, die die Werte Menschenwürde, Solidarität & Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz & Mitentscheidung den Berührungsgruppen Lieferanten, Eigentümer & Finanzpartner, Mitarbeitende, Kunden & Mitunternehmen und gesellschaftliches Umfeld gegenüberstellt. Anhand dieser Punkte werden die Unternehmen bewertet. Zudem muss ein Gemeinwohlbericht, der all diese Punkte nochmal detailliert beleuchtet, die Umsetzung der Gemeinwohlwerte kontrolliert und Entwicklungspotenziale aufzeigt, erstellt werden. Dieser wird dann extern geprüft und veröffentlicht.

Die Erstellung dieses Berichtes ist ein sehr intensiver und arbeitsreicher Prozess, wie Katharina Partyka, Inhaberin von Kiss the Inuit, zu berichten weiß. Erst Anfang des Jahres hatte sie die Gemeinwohlzertifizierung erhalten. Dennoch hat sich der Aufwand gelohnt, denn er schafft nicht nur mehr Transparenz, sondern zeigt auch weitere Entwicklungsmöglichkeiten auf. So führte er im Fall von Kiss the Inuit z.B. zur Einrichtung einer Tausch-Ecke für gebrauchte öko-faire Kleidung. Auch Maas Natur hat bereits einen Gemeinwohlbericht veröffentlicht. Nun bleibt zu hoffen, dass noch viele weitere (Bonner) Unternehmen hierdurch inspiriert werden, ihr eigenes unternehmerisches Handeln zu überdenken, und vielleicht sogar selbst einmal einen Gemeinwohlbericht erstellen.

Die Informationstour durch die ökofairen Modegeschäfte findet in der BUZ 6/19 ihren Abschluss.

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