Klimawandelbedingte Naturkatastrophen an der Ahr und am Nil ein Jahr danach

7. November 2022 | Interview, Gesellschaft, Nachhaltigkeit, Ökologie, Ralf Wolff | 0 Kommentare

Klimakrise inzwischen überall

Julia Oberdörfer, Andreas Spaeth, Ralf Wolff

Ziel des Textes ist, Aufmerksamkeit für die Gerechtigkeitsfragen beim Klimawandel hier sowie im Globalen Süden zu schaffen. Die klimatologische Forschung hat Erkenntnisse über Veränderungen des interkontinentalen Wettersystems, wodurch extreme Wetterereignisse hervorgebracht werden.

Ausgangslage/Klimaforschung

Die Klimakrise wird auch hier bei uns nach mehreren Hitzesommern immer erfahrbarer. Zwei Großereignisse als Folge der Klimakrise aus dem letzten Jahr zeigen aber, wie unterschiedlich wir darüber informiert werden und unsere Medien damit umgehen. Wir erinnern uns alle an die Fluten im Ahrtal im Juli 2021, jedoch über die Hochwasserereignisse am oberen Nil im Oktober 2021 wurde in deutschen Medien gar nicht berichtet.

Die mittlere globale Oberflächentemperatur stieg laut Umweltbundesamt im Zeitraum 1880 bis 2020 um mehr als 1,2 ° Celsius an. Dies legt nahe, auch einen Anstieg der Niederschlagsmengen zu erwarten, da Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann, je wärmer sie ist. Das heißt jedoch nicht, dass es überall zu vermehrtem Regen kommen muss. Regionale Unterschiede bewirken, dass es anderorts im Gegenteil trockener werden könnte als zuvor.

Die Attributionsforschung beschreibt einen erst jungen Teil der Klimatologie und untersucht anhand von Klimamodellen, inwiefern diese menschengemachte Klimakrise die extremen Wetterereignisse, wie zum Beispiel Starkregen, wahrscheinlicher auftreten lässt.

Dr. Friederike Otto, Physikerin und Klimatologin am Grantham Institute – Climate Change and the Environment und Mitbegründerin der Attributionsforschung, äußerte sich im Podcast „Was jetzt? Flutkatastrophe im Ahrtal“ zur Flut und nannte die Klimakrise als Ursache. Die Wahrscheinlichkeit für solch ein Ereignis sei durch die Klimakrise verdoppelt, sagte sie. Außerdem warnte sie davor, dass diese Wahrscheinlichkeit mit fortschreitender Klimakrise weiter ansteigen würde.

Im interkontinentalem Wettersystem bewirkt die Klimakrise eine schnellere Erwärmung der Arktis als des Altlantiks, wodurch die Höhenwinde (Jetstreams) verlangsamen und stärker mäandrieren. Dies führt dazu, dass Tiefdruckgebiete nicht weiterwandern, sondern ihre gesamte Wassermasse stationär abregnen.

Auch in Ostafrika beobachten die Klimatologen ein häufigeres Auftreten von regionalen Starkregenereignissen. Frau Dr. Wainwright, eine Kollegin von Dr. Otto, berichtete uns über Starkregen in der Region des Victoriasees einschließlich Uganda und Südsudan in den Regenzeiten April und Oktober 2020. Die Rekordregenereignisse über dem Victoriasee bewirkten Überschwemmungen am oberen Nil. Die erhöhten Oberflächentemperaturen des Indischen Ozeans und der daraus entstandenen Wolkenbewegung führten zu diesem stationären Abregnen. Attributionsforschung zu Starkregenereignissen sind hier noch notwendig.

Die Klimakrise und deren Folgen betreffen also auch die Sahelregion in Afrika. Dahinter stehen folgende Beobachtungen: In der Sahelregion gibt es immer längere Trockenperioden, die zu massivem Viehsterben wegen Weide- und Wasserproblemen und damit zu Landkonflikten mit Binnenflüchtlingen führen. Die oft nomadischen Bewohner*innen haben keine Chance auf eine Wiederherstellung (recovery) ihrer gewohnten Lebensumstände. Zunehmende Wüstenbildung bedeutet Verlagerung der Weideland- und Ackerbaugrenze nach Süden.

Öffentliche Wahrnehmung

Aus der unterschiedlichen Wahrnehmung von durch die Klimakrise bedingten Naturkatastrophen ergeben sich wichtige Fragen zur globalen Gerechtigkeit.

Im historischen Rückblick seit der Industriellen Revolution müssen wir feststellen, dass der Globale Norden durch den Treibhausgas-Ausstoß der Hauptverursacher der Klimakrise ist.

Eine Verknüpfung von Fragen der globalen Gerechtigkeit findet bei der Berichterstattung über humanitäre Katastrophen im Globalen Süden nicht statt. Humanitäre Hilfe zum Beispiel durch Nahrungsmittel- und Wiederaufbauhilfen wird nach solchen durch die Klimakrise bedingten Naturkatastrophen ohnehin nicht gewährt.

Es obliegt den Nichtregierungsorganisationen so gut wie möglich aus den wenigen Spendenmitteln Katastrophenhilfe zu leisten. An einer Vielzahl anderer Klimakrise bedingter ähnlicher Naturkatastrophen, die kaum Aufmerksamkeit hierzulande finden, kann man folgendes generelles Bild zur Wahrnehmung des Informationsauftrags unserer Medien in dieser Hinsicht ableiten:
Die große Gefahr, dass weite Regionen im Globalen Süden völlig unbewohnbar werden, spielt bisher bei der Berichterstattung zur Klimakrise eine zu geringe Rolle. Ein politischer Durchbruch bei Kompensationsleistungen und Übernahme der Verantwortung für die Klimakrise bedingten Folgen im Globalen Süden ist in weiter Ferne. Zum Vergleich stehen hier Zahlen der Geberländer für diese sogenannten ‚Loss and Damage‘ Kompensationen (unvermeidbare Schäden durch die Klimakrise im Globalen Süden, verursacht durch den Globalen Norden) von 100 Milliarden jährlich im Raum. Allein im Ahrtal sind Kompensationen notwendig, die weit über einem möglichen deutschen Beitrag in den ‚Loss and Damage‘ – Fonds liegen.

Im Gegensatz der nicht vorhandenen Berichterstattung über klimakrisebedingte Überschwemmungen im Südsudan, berichteten die überregionalen Medien über die Auswirkungen an der Ahr ausgiebig. Die mediale Präsenz des Ahrtals in Bezug auf den schwierigen Wiederaufbau hat leider inzwischen nachgelassen. Der bisher geleistete Wiederaufbau der Infrastruktur kann mitnichten in vielen Orten die Daseinsversorgung vollständig sicherstellen. Aber gerade die durch den Krieg in der Ukraine hervorgebrachte Wahrnehmung/Diskussion der Energiekrise böte an, mit den Ahrtalern in Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung ins Gespräch zu kommen. Ins Gespräch zu kommen und zu erörtern; wie sie den Wiederaufbau einer zukunftsfähigen resilienten Infrastruktur angehen und realisieren wollen.

Verschiedene Bücher und Reportagen sind bisher erschienen, die die Geschehnisse widerspiegeln und Impulse setzen, was in Zukunft anders laufen muss. Zum Beispiel war die unkoordinierte Spontanhilfe in der Not erstmal gut. Jedoch hätte der Staat hier die Koordination innehaben sollen. Der durch den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler viel zu spät ausgerufene Katastrophenfall hatte den übergeordneten Katastrophenschutz zu lange hinausgezögert. So hatte der Katastrophenschutz des Landes Rhein-Land-Pfalz und des Bundes im Kreis Ahrweiler nicht die Zuständigkeit zu helfen.

Die außerordentlichen Schadenslagen an Ahr/ Erft haben hierzulande viele Schicksale nach sich gezogen, an welchen die Medienvertreter beispielsweise Gerechtigkeitsfragen aufzeigen sollten. Inwiefern auch globales klimagerechtes Handeln die Brücke von der Ahr/Erft an den oberen Nil schlagen kann, ist ein interessantes, nicht zu vernachlässigendes Thema.

Gerechtigkeitsfragen an der Ahr und am oberen Nil

Die Umsetzung des vollmundig versprochenen Soforthilfeprogramms an Betroffene mit/ohne Versicherung im Ahrtal erfolgt bislang schleppend, da die Landesgesetzgebung die Bürokratiehemmnisse nicht erkannte und die Auszahlung der Gelder wie sonst üblich betrachtet. Erst auf Nachdruck der Betroffenen wurden vor kurzem Anlaufpunkte (sog. Infopoints) eingerichtet, um die Betroffenen direkt bei ihren Problemen mit der Antragstellung zu unterstützen. Diese Verschleppung/ Verzögerung der Auszahlung der staatlichen Gelder bewirkt zudem noch ein weiteres Bürokratiehemmnis bezüglich der Millionen von Hilfsgeldern an Aktion Deutschland hilft e. V. und andere Hilfsorganisationen, da das Prinzip der Nachrangigkeit bei der Gewährung von zweckgebundenen Spenden festgelegt ist. Die Spendenorganisationen dürfen erst auszahlen, wenn die staatlichen Gelder bewilligt sind. Hiermit werden den Spender*innen die versprochene Umsetzung ihrer Hilfen verweigert und die Betroffenen können die Spenden nicht zeitnah erhalten.
Beim Wiederaufbau entsteht die Frage, ob die alte Bebauung entsprechend wiederhergestellt werden kann. Die Rückhaltefähigkeit des ufernahen Talbodens und des Einzugsgebiets verlangt für zukünftige Überschwemmungen eine Risikozone, in welcher nicht mehr bebaut oder neu aufgebaut werden darf.
Ein Jahr nach der Katastrophe an der Ahr dürfen finanzkräftige Wohnbauinvestoren nahe dem Ufer weiterbauen. Dagegen wird finanzschwachen Betroffenen, mitunter ohne Versicherung gesagt, ihr Grundstück sei in der Risikozone und nichts mehr wert, obgleich es vor dem Ereignis großen Wert hatte. In der Reportage „Angst nach der Ahrflut – Neue Fehler beim Wiederaufbau?“ des Magazins REPORT MAINZ vom 13.05.2022 äußerte sich der Geograph Dr. Thomas Roggenkamp zum Wiederaufbau und hielt die geplante erneute Versiegelung vor allem im ufernahen Bereich der Ahr für viel zu weitgehend. Ebenso sei die Eingrenzung des besonderen Gefahrenbereichs zu optimistisch gewählt.
Im Falle des Nilhochwassers wird die globale Ungleichheit besonders deutlich. Weder zeigte sich in diesem Fall der Ölkonzern verantwortlich für die entstandenen Schäden noch greift bei diesem Desaster eine ausgleichende Kompensation aus dem Globalen Norden, wie in den ‚Loss and Damage‘ Vorgaben der Vereinten Nationen vorgesehen. Typischerweise werden so Betroffene im Globalen Süden mit den Folgen der klimakrisebedingten Naturkatastrophen allein gelassen und verarmen dadurch noch stärker. Vertreibung wegen Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und Flucht im und außer Landes sowie nach Europa werden dadurch gefördert.
Zudem ist die Rohstoffgewinnung und die Verlagerung von energieintensiven und umweltschädlichen Industrien in den Globalen Süden eine weitere Ursache der Klimakrise. Verbunden mit extremer Armut, die keine klimaschonende Lebensweise ermöglicht, sehen wir eine Situation, die in eine weiter fortschreitende Klimakrise führen wird, wenn wir nicht im Globalen Norden unsere Verantwortung für die durch die Klimakrise bedingten Schäden im Globalen Süden anerkennen.
Der im Südsudan operierende Ölkonzern müsste zum Beispiel für die in der Landwirtschaft entstandenen Schäden und für die Gesundheitskosten der betroffenen Anwohner*innen aufkommen.

An die Klimakrise angepasste Infrastruktur schaffen

Stellvertretend für die bisher erschienenen Bücher und Reportagen über die Schicksale an der Ahr haben wir mit dem Buchautor und Ahrtaler Andy Neumann Kontakt aufgenommen. Während sein erstes Buch „Es war doch nur Regen“ ein Bericht über seine persönliche Betroffenheit und die seines nahen Wohnumfelds ist, regt er mit seiner Denkschrift „Vergiss mal nicht!“ an, aus den Geschehnissen zu lernen. Seine Denkschrift ist ein Plädoyer für einen staatlich gelenkten Katastrophenschutz und wirbt zudem dafür, den Wiederaufbau klimakrisenfest zu gestalten (s .Seite 7).
Ein erster Ansatz für eine klimakrisenfeste Infrastruktur nach der Flut wurde von Scientists for Future vorgestellt und vom Kreistag Ahrweiler beschlossen. Das Impulskonzept „Aus Ahrtal wird SolAHRtal“ soll zu einem Wiederaufbau der Energie-Infrastruktur mit erneuerbaren Energien führen und dazu beitragen, die fossilen Energiequellen abzulösen. Eine so neu gestaltete Energieinfrastruktur könnte Modellcharakter für klimaneutrale Infrastruktur anderer Talbesiedlungen erlangen. Mit dem SolAHRtal-Konzept ist im Ahrtal echter Wiederaufbau angestrebt. Es bietet den Ahrtalern die Perspektive für eine zukunftsfähige Infrastruktur, für die es sich lohnt im Tal wohnen zu bleiben.
Betroffene von Naturkatastrophen im Globalen Süden werden aber mit den Zerstörungen allein gelassen und können kaum auf zukunftsfähige Infrastruktur hoffen, die ihnen ermöglicht, von fossilen Energien oder Holzeinschlag unabhängig zu sein. Am oberen Nil wurde einzig und ausschließlich die Infrastruktur für die Ölförderung wieder hergestellt. Der Wiederaufbau der Infrastruktur von Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Straßen oblag der einheimischen Bevölkerung.

Auswirkungen an der Ahr


Im Juli 2021 gab es im Ahrtal eine heftige Überschwemmung als Folge von tagelangem Starkregen. Dies führte unter anderem zu 42.000 Betroffenen, davon 134 Tote. Zwei Menschen gelten noch immer als vermisst. 8.800 Häuser, 103 Brücken, 17 Schulen und über 4.500 Autos wurden beschädigt oder vollkommen zerstört.
15 Pflegeeinrichtungen hat es ebenfalls schwer getroffen. Es kam zu Hunderten von entwurzelten Bäumen und insgesamt zu circa 300.000 Tonnen Sperrmüll. Die Infrastruktur ist nach dieser Jahrhundertflut gänzlich zerstört. Strom- als auch Wasserversorgung waren lange Zeit nicht gegeben und die Straßen unbefahrbar.

Eisenbahnbrücke Altenahr in Trümmern Bild: Dr. Thomas Roggenkamp | GIUB, Uni Bonn

Auswirkungen am Oberen Nil

Im Oktober 2021 gab es im Südsudan eine ungewöhnlich heftige Überschwemmung des Nils als Folge von Starkregen, wie sie mit der fortschreitenden Klimakrise häufiger auftreten.
Insgesamt waren davon 835.000 Opfer betroffen, Tausende Hektar Farmland wurden zerstört, etwa 800.000 Rinder ertranken. In der Folge waren durch Eintrag giftiger Chemikalien aus der Erdölgewinnung im Bereich der Ölfelder am Nil bei Paloich umfangreiche Umweltschäden aufgetreten und die Ernten wurden dadurch vergiftet. Spätfolgen für Menschen und Tiere gab es bereits bei früheren ähnlichen Ereignissen, wie Experten vor Ort berichteten.

Überschwemmte Schule am oberen Nil, Paloich Foto: Isaac Michar Mei | Malakal, Südsudan

Informationsquellen

Jahrestag Ahr am Geographischen Institut Bonn, 12.07.22//Magazin Report Mainz, 13.05.22//Arte-Dokumentation, 16.08.22//Grantham Institute – Climate Change and the Environment, London//Bücher Andy Neumann//Podcast: Was jetzt? Flutkatastrophe im Ahrtal, 16.07.22//Persönliche Mitt. von Isaac Michar Mei, Malakal (Südsudan)

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