Eine Seilbahn als Teil der Verkehrswende
Seit ihrer Erwähnung im städtischen Verkehrsentwicklungsplan von 2012 gondelt die bis heute nicht gebaute Seilbahn durch so manche Bonner Köpfe. Wie ein silbergrauer Faden durchzieht sie Stadtrat, Stammtische und Stauschaffende. Zwar taucht sie zwischenzeitlich mal ab. Jetzt gerade aber, kurz vor den Kommunalwahlen, schwebt sie wieder durch die Lokalpresse – so auch durch diese Zeitung hier.
Ich will offen zu Ihnen sein. Bis heute habe ich mir keine abschließende Meinung über sie gebildet. Das Zünglein meiner geistigen Waage für Bonner Seilbahnen wankt noch. Einige Tage zeigt es auf Pro, um an anderen vielleicht doch wieder aufs Contra zu schwenken. Hin und her. Erst dafür, dann dagegen. Und in manchen Augenblicken merke ich sogar, gleichermaßen dafür und dagegen zu sein. Stadtpolitiker jedenfalls sollte ich damit jetzt besser nicht sein.
Mein erster Gedanke, als ich vor einigen Jahren von den Planungen einer Seilbahn hinauf zum Venusberg gehört hatte, klang in etwa so: „Öhm, nö!“ – Seilbahnen brachte ich nur mit Gebirgen und Skigebieten in Verbindung, keinesfalls jedoch mit einer mittelgroßen Stadt im Rheinland, deren Berg im Vergleich dann doch eher nur ein Hügel ist. Zugegeben: Genährt wurde meine Ablehnung damals von meiner relativen Wohnnähe zur vermeintlichen Seilbahntrasse. Es ging mir einzig darum, dass ich nicht jeden Tag auf trostlose Tragemasten, den Ausblick durchschneidende Drahtseile und gaffende Gondeln blicken wollte. Es ging mir aber noch keinen Deut darum, auch mal zu überlegen und zu erkennen, was denn fernab von einem touristischen Nutzen der wirkliche Sinn einer hiesigen Seilbahn sein könnte. Nein, ich war einfach erst einmal dagegen. Scheuklappen! Ende meiner inneren Diskussion. Vorerst.
Im Stau die Nase vorn
Bonn war im Jahr 2019 die staugeplagteste Stadt Nordrhein-Westfalens und belegte bundesweit immerhin Rang sieben, berichtete der General Anzeiger Anfang August. Im Schnitt mussten hier für eine mit einem Kraftfahrzeug gefahrene Strecke etwa 30 Prozent mehr Lebenszeit auf dem Asphalt zurückgelassen werden als bei freier Fahrt eigentlich nötig wären – im Berufsverkehr sogar noch einiges mehr. Weiter wie bisher sollte die Politik also nicht mehr fahren, und auch nicht der mobile Individualverkehr (MIV). Die schon lange angepriesene Verkehrswende muss endlich mal stattfinden. Bisher jedoch wird sie maximal mit verkümmernden Vorschusslorbeeren gesegnet. Oder sie wird den Bonner*innen durch zuvor im Stadtrat verwässerte Maßnahmen madig gemacht. Unnötige Verwirrung stiftete dabei zuletzt auch die über fast ein Jahr vielfach vorgenommenen Veränderungen des Bonner City-Rings. Alles daran wirkte willkürlich und inspirationslos. Mindestens für Ortsunkundige stellt die Innenstadt an vielen Stellen ein unüberschaubares und sich stetig wandelndes Rätsel dar. Zermürbend. Da fällt es nicht leicht, noch mit der nötigen Aufmerksamkeit auf Fußgänger*innen und Radfahrende zu achten.
Ambition. Revolution.
Eine Seilbahn hätte gewiss nicht den Anspruch, sämtliche Verkehrsprobleme in Bonn zu lösen. Um sie alle anzugehen, muss wohl eher eine breite Revolution her als denn hier und da ziellos gesetzte Reförmchen. Einschneidendes muss passieren. Dazu wird es nötig sein, viele der bisherigen autofreundlichen Selbstverständlichkeiten zu wandeln oder auch ersatzlos zu kappen. Das könnte im Innenstadtbereich beispielsweise recht einfach damit beginnen, dass Parkgebühren spürbar deutlich über den Preis eines ÖPNV-Tickets gehoben werden. Ein Bus- oder Stadtbahnticket der Preisstufe 1b – eine Fahrt innerhalb Bonns – kostet derzeit pro Person 3,00 Euro. Aufgrund der späteren Rückfahrt werden daraus dann 6,00 Euro. Klar also, dass das Parken in der Stadt erheblich mehr als zwei 1b-Tickets kosten sollte. Das wäre wahrlich ambitioniert. Ansonsten bleibt eine Anfahrt mit dem Auto immer attraktiver – wirtschaftlich gesehen. Lediglich samstags könnten die zeitfressenden Schlangen vor den Einfahrten der Tiefgaragen und Parkhäuser abschrecken.
Revolutionär wäre es, wenn der Innenstadtbereich sogar komplett auto- und motorradfrei werden würde. (Anwohner*innen- und Lieferverkehr ausgenommen.) Die Umstellung und Gewöhnung wären gewiss nicht so kopfschüttelträchtig wie das mehrmonatige Wechselspiel mit dem City-Ring. – Der Stadtkern würde dadurch allemal erholsamer.
Planungsstatus der Seilbahn
Jetzt taucht die Seilbahn wieder auf. Viele Verantwortliche verweisen bisher darauf, dass Bonn in den Planungen für den Bau einer innerstädtischen Seilbahn so weit fortgeschritten sei wie noch keine andere Stadt. So reden beispielsweise der amtierende Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) sowie Stadtbaurat Helmut Wiesner. Falsch ist diese Aussage nicht. Doch einerseits gibt es bisher auch nicht sooo viele deutsche Städte, die eine Seilbahn bauen möchten. (Zu erwähnen wären immerhin Berlin, München und Stuttgart.) Andererseits weichen sie damit oftmals den eigentlichen Fragen aus – zum Beispiel der Frage nach den Kosten für Planung, Umsetzung, Betrieb und Wartung. Eine Kosten-Nutzen-Analyse liege wohl bereits vor, werde von der Stadtverwaltung jedoch aus unerklärten Gründen zurückgehalten. Das wirkt verdächtig und nährt das Argument mancher Zweifler*innen, dass das Projekt Seilbahn deutlich kostenintensiver sei als bisher angenommen. Die Bürgerinitiative „Bonn bleibt seilbahnfrei“ weist in diesem Zusammenhang schon länger auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass der Hang des Venusbergs rutschgefährdet sei. Deshalb müsse dort für die Gründung und Fundamentierung der Tragemasten viel tiefer gebohrt werden als üblich, was wiederum die Kosten deutlich in die Höhe treiben würde.
Ein Gedankenspiel
Während das alles noch in Klärung ist, führe ich jetzt ein spannendes Gedankenspiel durch. Seilbahnsysteme transportieren innerhalb einer Stunde zwischen 2000 und 5000 Menschen. Die Seilbahn in Koblenz schafft nach Angaben des Betreibers stündlich sogar 7600 Personen. (Das ist natürlich nichts im Vergleich zu U-Bahnsystemen, welche in der gleichen Zeit je nach Taktung bis zu 40.000 Menschen befördern können.) Solche Seilbahnwerte klingen ja an sich vielleicht schon ganz interessant. Aber was können sie konkret für unsere verstopften Straßen bedeuten? Würde eine Seilbahn überhaupt zu einer signifikanten Entlastung führen können? Und wie sähe diese aus? Ich rechne das mal für uns durch.
Was nun folgt, ist keine komplizierte Mathematik. Im Gegenteil, ich habe die Rechnung stark vereinfacht. Daher könnte sie auch nicht als Referenz herhalten. Trotzdem beleuchtet sie ein wenig die möglichen Auswirkungen auf die täglich festgefahrene Verkehrssituation Bonns. Um meinen Worten besser folgen zu können, nehmen Sie gerne die Grafik unten zu Hilfe. Sollte Sie der Rechenweg gerade nicht reizen, lesen Sie einfach ab „Das Resümee“ weiter.
DIE AUSGANGSLAGE
Ich schätze die Dauer des Bonner Berufsverkehrs morgens und nachmittags jeweils auf circa 1,5 Stunden. Die meisten Autos sind nur mit der Fahrerin oder dem Fahrer besetzt; recht selten gibt es Fahrgemeinschaften. Angenommen, die Seilbahn könnte in einer Stunde etwa 3000 Autos „ersetzen“, so wären das auf die 1,5 Stunden Berufsverkehr gerechnet insgesamt 4500. Das hört sich noch nicht allzu viel an, und das ist es gewiss auch nicht auf die Gesamtanzahl der täglich in Bonn bewegten Pkw. Doch was für eine lärmende und lange Abgaskolonne wäre das, die sich dann eben nicht mehr täglich durch die überlasteten Straßen schieben würde?
Nebenrechnungen zum Gedankenspiel
DIE LÄNGE
Der Einfachheit halber gebe ich hierfür jedem der 4500 Autos eine Länge von vier Metern. (Der VW Golf 8 ist übrigens 4,28 Meter lang.) Da die Autos aber natürlich nicht Stoßstange an Stoßstange unterwegs sind, gebe ich jedem nach vorne und nach hinten noch 0,75 Meter freien Umgebungsraum. Somit ergibt sich in diesem Gedankenspiel je Fahrzeug eine Bedarfslänge von 5,5 Metern (4 + 0,75 + 0,75). Diese 5,5 Meter multipliziert mit 4500 Autos ergeben eine gesamte Bedarfslänge von 24,75 Kilometern; aufgerundet sind es 25.
DIE FLÄCHE
Zusätzlich zur Fahrzeuglänge (vier Meter) gebe ich jedem der 4500 Vehikel eine Breite von zwei Metern, sodass sich daraus je acht Quadratmeter Netto-Flächenbedarf ergeben.
Ähnlich wie vorhin berücksichtige ich nun für alle vier Seiten noch 0,75 Meter Raum bis zum beanspruchten Bereich der anderen Wagen und Verkehrsteilnehmenden – sowohl im fahrenden als auch im geparkten Zustand. Die Dinger sollen ja unbeschadet manövriert werden können. Der Flächenbedarf erhöht sich dadurch merklich. Es sind 19,25 Quadratmeter je Auto.
Spannend ist, welche Bedarfsfläche schließlich sämtliche Autos des Gedankenspiels einnehmen würden: rund 8,7 Hektar oder auch etwas mehr als zwölf Fußballfelder.
DAS RESÜMEE
Was denken Sie bei diesen Ergebnissen? Ich finde das Potenzial sehr beeindruckend, das Stauaufkommen in Bonn mit Hilfe einer Seilbahn – zumindest theoretisch – um knappe 25 Fahrzeugkilometer entlasten zu können. Oder etwas anschaulicher: Stellen Sie sich eine Autoschlange vom Bonner Hauptbahnhof bis zum Phantasialand in Brühl vor. Diese beachtliche Menge würde beim Stau einfach nicht mehr mitmischen. Und da es täglich mindestens zwei Stauwellen gibt, wären es sogar bis zu 50 Kilometer weniger. Das ist in etwa eine Radfahrstrecke vom Bonner Stadthaus bis zum Bahnhof von Dormagen.
Auch die Flächenersparnis wäre enorm: Fast neun Hektar müssten tagsüber nicht mehr als Stellplatz herhalten. In geeigneten Fällen könnten so je nach Standort bisher versiegelte Flächen aufgebrochen und begrünt werden. Dies wäre ein kleiner Beitrag gegen die sommerliche Aufheizung der Stadt. Insbesondere dann, wenn demnächst durch die problematische Verbreiterung der Autobahn A-“Tausendfüßler“-565 deren neue zwölf Meter hohen Schallschutzwände die fürs Stadtklima sehr entscheidende Frischluftschneise abschneiden.
Sind Sie noch da? – Ich wollten Ihnen jetzt am Ende nur sagen, das Zünglein meiner inneren Waage für Bonner Seilbahnen hat sich soeben beim Pro eingependelt. Und Ihres?
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