Deutsche Atomenergie geht in die Rückbau-Ära
Bis Ende des kommenden Jahres werden deutschlandweit alle noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke abgeschaltet. Der vor über zehn Jahren, nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, gefasste Beschluss, aus der Atomenergie auszusteigen wird final umgesetzt. Jahrzehntelange, hitzige Diskussionen zwischen Befürworter*innen, Skeptiker*innen und Gegner*innen der Atomkraft, Bürger*inneninitiativen, Protesten und Klagen finden somit ein für alle Mal ein Ende – so könnte man meinen. Doch mit dem Abschalten allein ist es nicht getan: Rückbau, Zwischenlager, Endlagersuche und Einlagerung werden noch einige weitere Jahrzehnte in Anspruch nehmen und mit Sicherheit weiterhin Platz für Auseinandersetzungen zwischen den Parteien lassen. Am Beispiel des ehemaligen AKWs in Mülheim-Kärlich kann sehr gut dargelegt werden, wie lange sich ein solcher Rückbau und alle damit verbundenen Prozesse hinauszögern können. Über 30 Jahre nach dessen Stilllegung sind Teile des Kraftwerks noch immer nicht verschwunden, der angefallene Atommüll noch immer nicht eingelagert.
65 Jahre Atomenergie
Seit den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird Atomkraft zur Energiegewinnung genutzt. Für viele gilt sie als saubere, verlässliche Alternative zur fossilen oder erneuerbaren Energie. Die Treibhausgasemissionen aus der Kohleenergie beispielsweise sind über 270 Mal so hoch wie die eines Kernkraftwerks. Bei den Emissionen der erneuerbaren Energien ist dies zwar nicht der Fall, allerdings seien sie weniger zuverlässig, die Abhängigkeit vom Wetter zu hoch, so Atomkraftbefürworter*innen. Ein weiteres Argument, das unter anderem seitens der AfD – der einzigen Partei des deutschen Bundestags, die den Atomausstieg stoppen will – als zentraler Punkt für den Weiterbetrieb der AKW gilt, ist die vermeintlich gute Wirtschaftlichkeit der Atomenergie. Lange Zeit galt sie als supergünstig – vor allem im Vergleich zu den Erneuerbaren. Doch das ist ein törichter Trugschluss: Während die Kosten für Wind- und Solarenergie in den letzten Jahren drastisch gesunken sind, stiegen die der Atomkraft insgesamt um mehr als ein Viertel an und sind damit schon seit mehreren Jahren Spitzenreiter was die Kosten der Energiegewinnung angeht (mehr als viermal so teuer wie Solar- oder Windkraft). Investitionen in Atomkraft verschlimmerten die Klimakrise, da all das Geld, was hier verschwendet wird, für wichtige Innovationen gebraucht würde, so Mycle Schneider, Herausgeber des World Nuclear Industry Status Report. Die nächstes Jahr abzuschaltenden Atomkraftwerke könnten ohnehin nicht einfach weiterlaufen, sondern würden innerhalb der nächsten Jahre ihre altersbedingten Betriebsgrenzen erreichen.
Das schlagkräftigste Argument gegen die vermeintlich klimafreundliche Kernenergie ist jedoch das Problem der Endlagerung. Dass dieses Problem sich löse und man eine Möglichkeit finden würde, die Überbleibsel aus den Kraftwerken sicher zu verstauen, weiter zu verarbeiten oder unschädlich zu machen, davon ging man lange aus. Doch nach mittlerweile fast 65 Jahren Atomgeschichte in Deutschland gibt es diesbezüglich noch immer keinen Durchbruch. Stattdessen wird unter Protesten nach einem Endlager gesucht, in dem der angefallene Müll für sage und schreibe eine Million Jahre sicher gelagert werden soll. Während zwei bis drei Generationen Nutzen aus der Kernenergie ziehen konnten, müssen nun also über 30.000 Generationen vor der ausgehenden Gefahr geschützt werden. Zum Vergleich: Die ältesten Funde des Homo sapiens sind grade einmal rund 300.000 Jahre alt. Wie die Welt und die Menschheit in einer Million Jahre in der Zukunft aussehen, ist demnach unvorstellbar. Und trotzdem verlangt die Atommüll-Thematik das Denken in einem solchen Zeitraum.
Doch was genau ist Atommüll?
Radioaktive Stoffe und Materialien werden dann als Abfall klassifiziert, wenn sie keine weitere Verwendung finden. Das heißt, wenn ihnen keine Aufgabe mehr zukommt und auch eine Aufbereitung nicht vorgesehen ist. Das charakteristische Merkmal dieser Abfälle ist das Vorhandensein instabiler Atome, deren Kerne spontan zerfallen. Die dabei ausgestrahlte ionisierende Strahlung wirkt sich negativ auf Mensch und Umwelt aus, indem sie die Zellen schädigt und deren DNA verändert oder zerstört.
Klassifizierung
Nun ist Atommüll aber nicht gleich Atommüll. Um für die unterschiedlich stark belasteten Stoffe die jeweils passenden Entsorgungs- und Einlagerungsverhältnisse zu finden, gibt es einige Klassifizierungen, mithilfe derer eine Differenzierung hinsichtlich verschiedener Kriterien stattfinden kann.
Eine international einheitliche Klassifizierung gibt es allerdings nicht und auch die der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) und der EU sind nicht bindend. Während die IAEA ihre Einteilung hauptsächlich nach Halbwertszeit und der damit einhergehenden Langzeitsicherheit auslegt, sind die Einordnungen der EU-Kommission denen in Deutschland sehr ähnlich. Hierzulande sind weder die Dosisleistung noch die Halbwertszeit die entscheidenden Größen. Maßgeblich ist die Wärmeleistung des Abfalls. Zwar werden die anfallenden Abfallmassen in schwach-, mittel- und hochradioaktiv eingeteilt, letztlich ausschlaggebend ist allerdings die Auswirkung der Wärmeleistung auf das Wirtsgestein in der jeweiligen Endlagerstätte. Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung sollen ab 2027 in das Endlager Schacht Konrad eingelagert werden. Unter diese Kategorie fallen alle schwach- und nahezu alle mittelradioaktiven Abfälle. Die Begrenzung, nach der zwischen den beiden Klassen unterschieden wird, wurde für ebendieses Lager entwickelt. Sie liegt bei drei Kelvin thermischer Auswirkung auf das umliegende Gestein. Zu beachten ist allerdings, dass nicht die Wärmeabgabe der einzelnen eingelagerten Gebinde ausschlaggebend ist, sondern deren Gesamtheit. Demnach spielt die Anordnung, in der die Abfälle eingelagert werden, eine zentrale Rolle. Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven, wärmeentwickelnden Abfall läuft noch und soll bis 2031 abgeschlossen werden.
Chronologie des Kraftwerks Mülheim-Kärlich
Nachdem Ende der 1960er-Jahre der Bau eines Kernkraftwerks im Raum Koblenz geplant wurde und man sich für den Standort Mülheim-Kärlich entschieden hatte, begann 1975 der Bau eines Druckwasserreaktors. Bereits zwei Jahre vor Baubeginn regte sich Widerstand der Bürger*innen der Region in Form von Unterschriftenlisten. Es herrschte Zwiespalt zwischen Angst vor der atomaren Gefahr und Zuversicht, ein neues hochmodernes Kraftwerk direkt vor der Haustür zu haben. Galt die Atomenergie als die emissionsarme, saubere Energiegewinnungsquelle der Zukunft, sorgte man sich damals kaum um die Entsorgung und Einlagerung des Atommülls. 1986 wurde das Kraftwerk fertiggestellt, der Probebetrieb begann. Am 1. August 1987 ging das AKW ans Netz, zwölf Jahre nach Baubeginn, begleitet von zahlreichen Klagen und Rechtsstreitigkeiten, begann die konventionelle Energiegewinnung. Am 9. September des darauffolgenden Jahres wurde das Kraftwerk nach nur 13 Monaten Regelbetrieb abgeschaltet.
Was war passiert?
Der Standort im Neuwieder Becken, das bekanntermaßen leicht erdbebengefährdet ist, ließ von vornherein keine idealen Bedingungen vermuten. Aufgrund einer unterirdischen Verwerfungslinie entschloss man sich dazu, das Reaktorgebäude einige Zehnermeter versetzt zum ursprünglich geplanten (und genehmigten) Standort zu errichten. Die hierfür fehlende Genehmigung setzte dem Betrieb des Kraftwerks Jahre später ein Ende. 1988 wurde die erste Teilgenehmigung zum Bau des AKW aufgehoben, der Reaktor musste runtergefahren werden, das Kraftwerk wurde abgeschaltet. Zwar blieb es weiterhin betriebsbereit, ans Netz ging es allerdings nicht mehr. Erst im Jahr 2000 wurde die endgültige Stilllegung beschlossen. RWE bekam seitens der Bundesregierung eine Reststrommenge zugestanden, die auf andere Kraftwerke des Betreibers umverteilt werden sollte.
2002 wurden die letzten Brennelemente ins französische La Hague abtransportiert. In der dortigen Wiederaufbereitungsanlage wurden diese in neue Brennelemente für andere Atomkraftwerke eingearbeitet. Die nicht wiederverwendeten Reste lagern heute im Zwischenlager Gorleben, bis sie eines Tages in das Bundesendlager für hochradioaktiven Müll kommen. Die sonstigen Abfälle aus der Betriebszeit lagern am Standort Asse II.
Der Rückbau der Anlage begann im Jahr 2004.
Druckwasserreaktor, Rückbau & Müll
Beim Betrachten des unten links dargestellten schematischen Aufbaus eines Kernkraftwerks wird die Komplexität der Anlage schnell deutlich. Herzstück in Mülheim-Kärlich war ein Druckwasserreaktor (DWR).
Drei wichtige Gebäude zeichnen einen solchen Kraftwerkstyp aus: das Reaktorgebäude, eine Maschinenhalle und das meist auffälligste Bauwerk der Anlage, der Kühlturm. Innerhalb dieser Gebäude befinden sich ebenfalls drei verschiedene Wasserkreisläufe. Hinzu kommen außerdem noch zahlreiche weitere Gebäude im konventionellen Bereich des Geländes.
Im Primärkreislauf innerhalb des Reaktors wird durch die Atomspaltung Energie freigesetzt, welche dort das Wasser erhitzt. Die entstandene Wärme wird durch einen Wärmetauscher in den Sekundärkreislauf übertragen, der Primärkreislauf durch die Wärmeabgabe abgekühlt. Dort kann das Wasser nun erneut in den Reaktorkern fließen und dort erhitzt werden. So bleibt der Kreislauf geschlossen und das Wasser innerhalb der Reaktorkuppel. Es findet kein direkter Kontakt zwischen Primär- und Sekundärwasserkreislauf statt. Im Sekundärkreislauf herrschen, im Gegensatz zum Primärkreislauf, herkömmliche Druckverhältnisse, wodurch das Wasser dort zu sieden beginnt. Es entsteht Wasserdampf. Durch diesen werden die Turbinen im Maschinenhaus angetrieben, wodurch im Generator Strom erzeugt wird.
An den Kühlkreislauf ist ein Kondensator angeschlossen, der diesen mit dem Sekundärkreislauf verbindet. Kaltes Rheinwasser kühlt den Sekundärkreislauf an dieser Stelle wieder ab, sodass das kondensierte, wieder flüssige Wasser zurück in den ersten Wärmetauscher im Reaktor gepumpt werden kann. Während der Kühlkreislauf die zuvor entstandene Wärme aufnimmt und sich von selbst im Kühlturm wieder herunterkühlt. Das Wasser, welches beim Abkühlen innerhalb des Kühlturms entsteht, kann demnach in den Rhein zurückgepumpt werden.
Der Kraftwerkstyp Druckwasserreaktor hat beim Rückbau einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen Reaktortypen: Durch diese Form der Kombination verschiedener Kreisläufe kann sichergestellt werden, dass lediglich das Wasser im Primärkreislauf der radioaktiven Strahlung ausgesetzt ist.
Doch auch der Rückbau der Kraftwerksbestandteile, die nicht mit der gefährlichen Strahlung in Berührung kommen, bereitet einen nicht zu unterschätzenden Aufwand.
Seit Beginn der Rückbauarbeiten konnten laut RWE schon einige für den einstigen Betrieb notwendigen Systeme entfernt und demontiert werden. Mittlerweile liegt der Fokus auf dem Abbau des Primärkreislaufs, also dem sich in der Reaktorkuppel befindlichen System. Letztes Jahr wurden die Wärmetauscher ausgebaut, im Sommer dieses Jahres hat der Abbau des Reaktordruckbehälters begonnen. Als voraussichtliche Dauer hierfür werden drei Jahre anvisiert. Anschließend wird das biologische Schild, also die Betonummantelung, die vor Strahlung schützt, rückgebaut. Bei diesen Arbeiten wird weiterer radioaktiver Müll anfallen.
Wenn all diese Schritte erledigt sind, werden als letztes die Einrichtungen, welche für die Rückbauarbeiten benötigt wurden, entfernt. Unter diese Kategorie fallen etwa Kräne und Hebeeinrichtungen, Lüftungssystem, elektrische Leitungen und Alarmierungseinrichtungen. Erst nachdem im Anschluss daran alle über 800 Räume aller Gebäudestrukturen des Kontrollbereichs auf Radioaktivität gemessen wurden, kann die zuständige Aufsichtsbehörde (das Umweltministerium in Mainz) die restliche Anlage aus dem Atomgesetz entlassen. Ab dann sind die Gebäude nur noch konventionelle Bauruinen und können nach herkömmlichem Baurecht abgerissen werden.
Insgesamt zählte die gesamte Anlage einst über 450.000 Tonnen Beton, von denen mittlerweile schon nennenswerte Teile weg sind. Die Betonmassen des abgerissenen Maschinenhauses beispielsweise, sind laut RWE zu 80-90% in die Wiederverwertung gegangen. 2019 wurde der verbleibende Teil des Kühlturms gesprengt, nachdem der obere Teil seit 2018 mit einer eigens errichteten Baggerkonstruktion abgetragen wurde. Etwa 280.000 Tonnen Beton werden beim Abriss des Reaktorgebäudes erwartet. Der Fokus der aktuellen Maßnahmen liegt allerdings nicht auf den Betonmassen, sondern auf den dort vorhandenen Einbauten: 15.000 Tonnen Rohrleitungen, Kabel, Motoren und Behälter.
Die Einbauten des Maschinenhauses wurden von einem Unternehmen der Metallrecyclingbranche aufgekauft, nach dessen Angabe sie wiederverwendet werden und schon heute beispielsweise als Neuwagen unterwegs sein könnten. Die Verpflichtung zur Wiederverwertung der zahlreichen Systeme und Einbauten ist per Kreislaufwirtschaftsgesetz geregelt.
RWE gibt in offiziellen Broschüren an, dass etwa 60% der gesamten Abfallmassen im nuklearen Bereich anfallen, davon jedoch wiederum weniger als 5% verunreinigt, das heißt radioaktiv belastet, sind. Innerhalb dieser verbleibenden verunreinigten Massen kann der größte Teil gereinigt und anschließend freigegeben werden. Mithilfe von Hochdruckreinigern wird die Menge des gefährlichen Mülls so dezimiert. Das zur Reinigung verwendete Wasser wird aufgefangen und verdampft. Im zurückbleibenden Kondensat sammeln sich die radioaktiven Partikel. Es wird als Atommüll entsorgt, das Wasser als sauberes Wasser wiederverwendet. So wird sich die Masse des schwach- und mittelradioaktiven Abfalls, welcher im Endlager Schacht Konrad eingelagert werden soll, auf 1.700 Tonnen belaufen.
Während der Rückbauarbeiten werden auf dem Gelände der meisten Kraftwerke in der Regel eigene Zwischenlager errichtet. Nicht so in Mülheim-Kärlich. Ursprünglich bestand die Hoffnung, unmittelbar mit der Einlagerung in Schacht Konrad zu beginnen; Durch die Verzögerung von dessen Errichtung ist RWE Mülheim-Kärlich allerdings auf die externen Zwischenlager Ahaus und Hanau angewiesen. Zwar gibt es nach Aussage der Pressesprecherin Frau Butz die Möglichkeit, kleine Mengen des anfallenden Mülls vor Ort zu puffern, bis sich der Abtransport lohnt. Der Bau eines eigenen Zwischenlagers ist allerdings weiterhin ausgeschlossen und würde von dem zuständigen Umweltministerium in Mainz ohnehin nicht erlaubt.
Rückbau im Vergleich
Aber wie vergleichbar ist der Rückbau des Mülheim-Kärlicher Kraftwerks (KMK) mit den anstehenden Projekten, die folgen werden, wenn bis Ende 2022 alle Atomkraftwerke endgültig vom Netz gehen?
Die Menge des anfallenden Materials aus dem konventionellen, nicht radioaktiven Bereich wird bei anderen DWR vergleichbar sein, so Butz. Siedewasserreaktoren hingegen haben einen etwas anderen Aufbau: Bei ihnen befindet sich das Maschinenhaus nicht außerhalb des radioaktiven Bereichs. Daher ist der Rückbau hier deutlich komplizierter, die Menge an belastetem Material potenziell höher. Das letzte Kraftwerk mit Siedewasserreaktor steht in Gundremmingen und ist noch bis Ende dieses Jahres in Betrieb.
Doch das KMK hat noch weitere, sehr bedeutende Vorteile gegenüber den noch laufenden oder erst kürzlich abgeschalteten Anlagen. Sowohl die außergewöhnlich kurze Betriebszeit als auch die schon zu Rückbaubeginn lange Abklingzeit von über 15 Jahren wirken sich positiv auf den gesamten Prozess aus, da die Intensität der Strahlung so schon vor Beginn der Arbeiten abnahm. Trotz dieser Vorteile zieht sich der Rückbau nun schon über etliche Jahre. Einen geplanten Endtermin gibt es nicht. Die Betreiberfirma RWE rechnet allerdings damit, das Projekt in der zweiten Hälfte des laufenden Jahrzehnts abzuschließen. Somit hätte der gesamte Vorgang insgesamt etwa 25 Jahre gedauert, die Gesamtkosten werden sich voraussichtlich auf rund 750 Millionen Euro belaufen. Übertragen auf die anderen deutschen Kraftwerke bedeutet dies, dass das Thema „Atomkraftwerke“ mit den Abschaltungen nächstes Jahr noch lange nicht abgeschlossen ist. Von der Endlagerproblematik ganz zu schweigen. Doch immerhin beginnt ein neues Kapitel.
Nachnutzung
Zwar ist der Rückbau des Kraftwerks noch immer im Gange, doch mittlerweile befinden sich nur noch sechs der 35 Hektar des Betriebsgeländes im Besitz der RWE AG. Diese wird der Energiekonzern auch bis zum tatsächlichen Ende der Stilllegungsarbeiten behalten. Auf dem Rest des Areals ist das Kapitel „Atomkraft“ abgeschlossen. Mit dem Entlassen aus dem Atomgesetz sind diese Bereiche für die konventionelle Nutzung freigegeben, es bedarf keiner Überwachung der zuständigen Behörde mehr.
Bebauungsplanänderung
Durch die jahrzehntelange Nutzung als Standort für die Energiegewinnung bietet das Gelände ideale Standortbedingungen für Industrie- und Gewerbebetriebe. Es war nicht nötig, das Grundstück für eine solche Nutzung umzuwidmen. Vor einigen Jahren wollte eine Firma das gesamte Gelände aufkaufen, trat jedoch vom Kaufvertrag zurück. Zwecks innerer Erschließung nahm die Gemeinde mittlerweile eine Bebauungsplanänderung vor. Somit war es nicht mehr nötig, eine*n Käufer*in für das gesamte Gelände zu finden. Außerdem ergab sich so auch die Möglichkeit einer Ansiedlung für kleinere und mittelgroße Firmen aus der Umgebung.
Neue Unternehmen
Vier teils aus der Region stammende Unternehmen haben Teilflächen erworben. Eine Kran- und Abschleppfirma mit ursprünglichem Sitz in Koblenz hat darüber hinaus auch Lager- und Werkgebäude des ehemaligen Kraftwerks übernommen. Ein Abrissunternehmen stammt ebenfalls aus der Region. Außerdem ist ein Logistikunternehmen auf das Gelände gezogen. Ein Infrastrukturunternehmen hat eine kleine Fläche übernommen und errichtet dort nun zu vermietende Lagerräume, so die RWE-Pressesprecherin in Mülheim-Kärlich.
Alternative Entsorgungswege
Aus den Augen aus dem Sinn. Warum mit Endlagersuche auf der Erde beschäftigen, wenn die unendlichen Weiten des Weltalls genug Platz und räumliche Distanz bieten, die dabei helfen könnten zu vergessen, dass radioaktiver Müll überhaupt einst ein Problemfeld war. So verlockend diese Idee in dem ein oder anderen Kopf auch klingen mag, so gibt es doch schlagkräftige Argumente gegen die Verfrachtung gen Sonne. Etwa zwei Prozent aller Raketenstarts scheitern. Eine viel zu große Zahl, angesichts der folgenschweren Auswirkungen, die dies bei einer mit Atommüll beladenen Rakete hätte.
1967 beteiligte sich Deutschland an dem Versenken von Atommüll vor der Küste Portugals und regte sogar aktiv zu dieser kostengünstigen Praxis an. Bis Mitte der 1990er-Jahre wurde radioaktiver Müll in Fässern verpackt in den Ärmelkanal geworfen. Die Hoffnung bestand, dass sich die Radioaktivität gleichmäßig verteilt und dadurch so stark verdünnt wird, dass keine medizinisch relevanten Mengen punktuell vorzufinden sind. Allerdings funktioniert eine solche Verdünnung nur in naiven Theorien. Darüber hinaus bestünde die Gefahr einer Anreicherung der Radioaktivität in unserer Nahrung. Sie könnte beispielsweise durch den Verzehr von Fisch in den menschlichen Kreislauf geraten.
Auch die Unterbringung des angefallenen Atommülls im „ewigen Eis“ wurde einst diskutiert. Die Wärmeentwicklung sollte dafür sorgen, dass sich die Castoren immer weiter ins Eis „hineinschmelzen“ und dort verschwinden. Die Fragwürdigkeit der „Ewigkeit“ des Eises allein ist schon Grund genug, eine solche Idee zu verwerfen.
Abgesehen davon, dass der Export ins Ausland gesetzlich verboten ist, wäre eine solche Lösung auch unter ethischen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig. Denn auch wenn sich mittels gewisser Zahlung eventuell Staaten finden würden, die bereit sind, einen solchen Deal einzugehen, wäre das Problem nur verschoben. Radioaktive Strahlung kennt keine Ländergrenzen. Die sachgemäße, sichere Entsorgung des Mülls muss oberste Priorität haben. Garantiert werden kann das am besten in Eigenverantwortung. Diese steht an erster Stelle und wird durch das Atomgesetz gesichert.
In der Theorie ist auch die Umwandlung radioaktiver Abfälle von langlebigen in kurzlebige Radionuklide vielversprechend. Doch abgesehen davon, dass die Wiederaufbereitung von Atommüll in Deutschland seit 2005 verboten ist, würde diese Praxis lediglich die Menge des zu beseitigenden Abfalls vermindern. Das Grundproblem, ein Endlager zu finden, bliebe. Auf den oftmals von Atomkraft Befürworter*innen angebrachten Verweis auf etwaige Kraftwerke, die diese Reste verwerten, sollte auch nicht allzu viel Hoffnung gesetzt werden. Seit Jahren gibt es in diesem Feld keine nennenswerten Fortschritte und inmitten der Klimakrise fehlt schlichtweg die Zeit, über Technologien in ferner Zukunft zu spekulieren, statt hierfür nötige Ressourcen anderweitig einzusetzen.
Die Option, die ohnehin bereits vorhandenen Zwischenlager weiterzuverwenden, würde die Suche und den kostspieligen Ausbau eines möglichen Endlagers hinfällig machen. Jedoch wäre das Einhalten der gewünschten Sicherheitsansprüche nicht garantiert. Abgesehen davon müsste die oberirdische Anlage instandgehalten und bewacht werden und es ist nicht absehbar, welche Maßnahmen künftige Generationen ergreifen und ob diese der von den Abfällen ausgehenden Gefahr gerecht würden.
Tiefengeologische Einlagerung
Die Alternativen zur tiefengeologischen Einlagerung des Atommülls sind also allesamt nicht zu verantworten. Doch auch der laufende Prozess des Baus, beziehungsweise der Suche, geeigneter Endlagerstätten – für schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfall – geschieht alles andere als reibungslos. Sowohl die immer wieder aufkommenden Diskussionen und Klagen rund um das gerade im Bau befindliche Lager Schacht Konrad, in dem alle bundesweit anfallenden Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung aufbewahrt werden sollen als auch die aktuelle Suche nach einem Ort, an dem der hochradioaktive Müll eine Million Jahre eingeschlossen werden soll, zeigen die Komplexität des gesamten Vorhabens.
Die bevorstehende Rückholung von Abfällen aus dem Lager Asse II weist außerdem exemplarisch Defizite in dem bisherigen Umgang mit Atommüll auf. Das Lager (in dem auch Betriebsabfälle des KMK lagern) muss geräumt werden, da dort Wasser eingedrungen war.
Es bleibt also spannend.
Erschienen in der BUZ 6_21.
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