Zwischenruf
Dr. Manfred Fuhrich
Ist eine Erfolgskontrolle zur Halbzeit sinnvoll? Beim Fußballspiel kann man zur Halbzeit nur ahnen, wer gewinnen wird. Das Spielergebnis hängt nicht davon ab, wie viel Tore in der ersten Halbzeit gefallen sind. Und in der Politik? Nun, da dauern die Spielzüge viel länger. Und noch ein Unterschied: beim Fußball dokumentieren die gefallenen Tore den Erfolg. Im politischen Alltag gibt es zwar auch agile Gegner, es fehlt aber der Schiedsrichter, dafür viele Bälle. Man bleibt lieber im Vagen; denn es gilt: Je abstrakter die Ziele, desto schwieriger ist die Erfolgskontrolle und desto leichtfüßiger kann ein Erfolg behauptet werden.
Was ist gemessenes Glück?
Global: Die Vereinten Nationen führen regelmäßig ein Glücksranking durch. Der „World Happines Report“ verwendet Bewertungskriterien, die auf Statistiken beruhen und nicht – wie bei diesem Thema zu vermuten wäre – auf abgefragte subjektive Gefühle individuellen Glücks. Zu den sehr komplizierten Indikatoren zählen zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt – wer hätte gedacht, dass dies Glück beinhalten kann. Aber auch der soziale Zusammenhalt, die gesunde Lebenserwartung, die freie Entfaltung der Persönlichkeit gehören dazu. Immerhin glänzen in den Top Ten nur europäische Staaten; auf Platz 1 liegt Finnland im Jahr 2022. Deutschland konnte sich von Platz 17 auf Platz 14 verbessern. Doch was sagt das wirklich?
https://de.wikipedia.org/wiki/World_Happiness_Report
Zurück zur kommunalen Ebene, wo alles konkreter ist. Fragen wir also nicht nach Glück, sondern nach Lebensqualität. Der General-
Anzeiger vermeldete stolz, dass Bonn in einem bundesweiten Städte-Ranking immerhin auf Platz 19 vor Köln auf Platz 27 lag, eben wegen Lebensqualität. Ein Erfolg, wenn ja, wessen? Ein Beweis klugen kommunalen Handelns?
https://ga.de/news/panorama/staedteranking-bonn-bekommt-gute-noten-fuer-lebensqualitaet_aid-64133965
Die Lebensqualität in Bonn wird also besonders positiv bewertet. Zum ersten Mal wurde auch ein Ranking speziell zum Thema Nachhaltigkeit erstellt, hier ist Bonn mit Platz 17 die am besten bewertete Stadt in NRW. Ein Erfolg der Stadtspitze, wer hat da mitgeholfen?
https://www.radiobonn.de/artikel/staedteranking-2020-gute-und-schlechte-nachrichten-fuer-bonn-790660.html
Man muss die Erwartungen senken, dann erhöhen sich die Erfolge. Zu dieser Dramaturgie gehört, dass man unangenehme Faktoren ausblendet. So zählt die Deutsche Bundesbahn bei der Verspätungsbilanz die ganz ausgefallenen Züge gar nicht mit. Was nicht losfährt, kann auch nicht später ankommen. Logisch. Bei der Statistik der Haltestellen schummeln manche kommunale Verkehrsbetriebe auch mal gern. So werden einzelne Haltestellen mehrfach gezählt, wenn mehrere Linien die Haltestelle anfahren. Es zählen dann die möglichen Bus-und-Bahn-Halte und nicht die Stellen. Für uns Fahrgäste zählen aber auch die Pünktlichkeit und Häufigkeit der Busse.
Wer viel misst, misst viel Mist
Zur Erfolgsbewertung sind Indikatoren unverzichtbar. Doch bereits die Auswahl von Messgrößen beeinflußt die Aussagekraft hinsichtlich des Erfolges. Letztlich lassen die Auswertungen der Daten einen Interpretationsspielraum zu. Ein Beispiel: So stellt sich die Frage, ob ein hoher Anteil an Wohngeldempfänger*innen positiv ist oder eher negativ zu bewerten ist. Das Urteil kann sehr unterschiedlich ausfallen: einerseits positiv, denn das belegt die hohe Fürsorgeleistung des Staates für Haushalte mit geringem Einkommen. Andererseits drückt ein hoher Anteil an Wohngeldempfänger*innen auch aus, dass der lokale Wohnungsmarkt in problematischer Schieflage ist, weil ein großer Teil der Bevölkerung nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft die Mietkosten aufzubringen.
Die Deutsche Umwelthilfe führte vor über 20 Jahren bundesweite Wettbewerbe hinsichtlich Nachhaltigkeit in der kommunalen Praxis durch. https://www.duh.de/zukunftsfkommune/. Bereits vor der Jahrtausendwende wurden in einem groß angelegten Forschungsprojekt des Bundes in vier Modellstädten über 24 Indikatoren für eine nachhaltige Stadtentwicklung im Praxistest erprobt und die Ergebnisse in über 30 Referenzstädten überprüft. Auch die Stadt Bonn war beteiligt.
https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/sonderveroeffentlichungen/2005undaelter/DL_Kompass.pdf
je abstrakter die Ziele desto vager die Erfolgmeldungen
Die Stadt Bonn partizipierte von den bundesweiten Initiativen für eine indikatorengestützte Erfolgskontrolle mit dem Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Der aktuelle Nachhaltigkeitsbericht der Stadt Bonn offenbart die gesteckten Ziele. Als Beispiel sei erwähnt, dass der Stadtrat im Jahr 2019 beschlossen hat, dass der Anteil des Umweltverbundes auf 75 Prozent gesteigert werden soll, und zwar bis zum Jahr 2030. Dieser Wert bietet eine Chance zur konkreten Erfolgkontrolle. Recht vage bleibt dagegen der Satz: „Rad- und Fußverkehr auch in den Wohngebieten stärken“. Nicht nur bezüglich Mobiltät, sondern auch für andere Handlungsfelder werden Ziele und Maßnahmen aufgeführt. Überzeugend ist der umfassende Ansatz des Konzeptes. Gleiches galt bereits für die Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Bonn. Es bleibt letztlich abzuwarten, wie und wann diese Vorstellungen wirklich umgesetzt werden. Erst dann wird eine Erfolgskontrolle möglich sein. Doch der Fortschritt ist bekanntlich eine Schnecke.
https://www.bonn.de/themen-entdecken/uno-internationales/bonner-nachhaltigkeitsstrategie.php
Die Erfolge liegen in den Taten, nicht in den Ankündigungen. Kommunale Erfolge werden dann andere Generationen von Akteuren für sich verbuchen, egal in welcher Konstellation des Stadtrates die politischen Beschlüsse dazu getroffen worden sind. Die Wirkung von politischen Entscheidungen stellt sich nämlich häufig erst langfristig ein. Es gilt der Spruch: „Der Erfolg hat viele Väter“, aber nur eine Mutter.
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