Deutsche Tierheime am Limit
Appelle, Aktionen und Argumente des Deutschen Tierschutzbundes, ein Brandbrief an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und ein Gespräch im Bonner Tierheim zeigen, wie sehr deutsche Tierheime an ihre Grenzen gekommen sind.
Carmen Planas
„Die Tierheime sind am Limit!“, konnte man auf den Schildern der Demonstrant*innen vor dem Kanzleramt in Berlin lesen. Wenige Tage vor dem Welttierschutztag am 4. Oktober hatte der Deutsche Tierschutzbund so auf die dramatische Lage der Tierheime aufmerksam gemacht. Unterstützt wurde der Dachverband der Tierheime dabei von Vertreter* innen mehrerer Landestierschutzverbände und Tierschutzvereine. Bund, Länder und Kommunen seien alle dem Tierschutz verpflichtet, der seit 20 Jahren als Staatsziel im Grundgesetz stehe, so Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Scharf kritisierte er: „Sie alle wissen um die dramatische Lage der Tierheime, handeln aber trotz unzähliger Appelle und Warnungen seit Jahren nicht. Die Tierheime sind Ausputzer politischen Versagens, Tierschützer werden zu Bittstellern degradiert und die notleidenden Tiere im Stich gelassen.“
„Zu viele Schnauzen für zu wenig Hände“
Einer der eindringlichsten Appelle ging diesen Sommer mit dem Brandbrief „Zu viele Schnauzen für zu wenig Hände, die Tierheime sind am Ende“ durch die Medien. Dieser Brief von Bündnis Schattenhund wurde Ende Juli als Online-Petition auf den Weg gebracht und richtet sich an Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, sowie an Désirée Ariane Kari, Tierschutzbeauftrage der Bundesregierung. „Wir Tierschützer*innen haben aufgefangen, gemahnt und appelliert, doch jetzt brechen wir unter der Last der in Not geratenen Tiere zusammen“, heißt es in der Petition. Die Zahl der Hunde, die jährlich in Tierheimen nicht aufgenommen werden könnten, bewege sich bereits im vierstelligen Bereich. Die Tendenz: steigend. Die Situation sei derzeit so dramatisch, dass Hundebesitzer ihre Tiere von Tierärzten töten ließen oder sie selbst töten würden. „Wir brauchen einen runden Tisch für Tierschutz, jetzt!“, so Bündnis Schattenhund und fordert in zahlreichen Bereichen Verbesserungen. Es geht etwa um den Welpen- und Hundehandel, insbesondere im Internet, um die Importkontrolle von Hunden, die Durchsetzung des Qualzucht- Verbots, existenzsichernde Finanzierungsmodelle von Tierheimen oder um „die Stärkung der Städte und Kommunen, um bestehende Gesetze und Verordnungen zum Schutz der Tiere entsprechend umzusetzen“.
Bonner Tierheim extrem voll
Rund 117.000 Unterschriften gibt es schon für die Online-Petition. Zahlreiche deutsche Tierheime unterstützen den Brandbrief, auch das Bonner Tierheim Albert Schweitzer. In einem Gespräch berichtete Vereinssekretärin Natalie Vöpel im September: „Wir haben den Brandbrief mitunterstützt und die Petition mitunterzeichnet. Und wir verbreiten sie auch in den sozialen Medien und auf unserer Homepage. Denn wir kennen die Situation, die im Brandbrief geschildert wird. Wir sind im Moment extrem voll, insbesondere im Bereich der Katzen. Aber auch der Bereich der Hunde ist voll und zum Teil mit schwierigen Hunden, die aus diversen Gründen bei uns gelandet sind. Teilweise sind es Fundhunde oder durchs Amt beschlagnahmte Tiere, die zu uns kommen. Aber auch Abgabetiere sind dabei, wobei wir auch da schon soweit sind, dass wir mehr oder weniger einen Abgabestopp haben.“ Anfang Oktober informierte das Bonner Tierheim darüber, dass „auf unbestimmte Zeit“ keine Fundkatzen mehr aufgenommen werden können. Doch grünes Licht gab es wieder für die Aufnahme von Fundhunden.
Zukunft der Tierheime
Das Bonner Tierheim werde von vielen engagierten Ehrenamtlichen und mit Spenden sehr unterstützt, berichtet Natalie Vöpel. Auf die Frage, wie die Zukunft der Tierheime für sie aussehen sollte, meint sie: „Unsere Tierheime sollten auch zukünftig in der Lage sein können, die Tiere, die wenn auch nur vorübergehend kein adäquates Zuhause haben, artgerecht versorgen und liebevoll umsorgen zu können. Die Bedürfnisse der Tiere stehen dabei im Vordergrund. Damit Tierheime dies leisten können, muss es eine Regelung für die finanzielle Absicherung der Vereine geben. Die aufopferungsvolle und zum Teil sehr zehrende Arbeit des Personals muss gewürdigt werden. Aber auch die Gesellschaft muss sich darüber bewusst werden, dass Tiere keine Konsumgüter sind, die um eigene Bedürfnisse zu befriedigen, nach Belieben an- und wieder abgeschafft werden können. Tierheime können kein Auffangbecken für verantwortungslose Entscheidungen einzelner Menschen sein.“
Folgen der Corona-Pandemie für Tierheime
Während der Corona-Pandemie etwa hatten sich viele Menschen ein Haustier zugelegt, dass danach anscheinend nicht mehr so recht in ihr Leben passte. Auf diese Weise wurde vor allem eine hohe Anzahl an Hunden ins Tierheim abgeschoben. Viele von ihnen sind auch durchaus problematische Tiere, da sie oftmals übers Internet bezogen wurden. Im anonymen Netz ist es schwierig, seriöse Angebote von unseriösen zu unterscheiden. Man weiß also nicht, wie die Tiere gehalten werden oder ob die Welpen zu früh von ihren Müttern getrennt werden, so dass ihr Immunsystem nicht ausreifen kann.
„Mangelhaft“ für die Versprechen der Koalition
„Wir führen für den Onlinehandel mit Heimtieren eine verpflichtende Identitätsüberprüfung ein“, heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Zu diesem Versprechen sei noch nichts passiert, meint der Deutsche Tierschutzbund, der unter www.jetzt-mehr-tierschutz.de die Tierschutz- Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag auflistet und ihre Umsetzung kontrolliert. Auch beim Versprechen „Tierheime werden wir durch eine Verbrauchsstiftung unterstützen“ sei derzeit kein Land in Sicht. „Nach zwei Jahren Legislatur ist kein einziges Tierschutzversprechen von SPD, Grünen und FDP so umgesetzt worden wie versprochen, mit Ausnahme der Einsetzung einer Bundestierschutzbeauftragten. Das ist extrem bedauerlich. Aus Tierschutzsicht bekommt die Koalition zur Halbzeit nur ein Mangelhaft“, kommentierte Tierschutzbundpräsident Schröder, als er im September die Halbzeitbilanz der Ampel zum Thema Tierschutz präsentierte
„Tierheime helfen. Helft Tierheimen!“
Mit seiner Kampagne „Tierheime helfen. Helft Tierheimen!“ macht der Deutsche Tierschutzbund kontinuierlich unter www. tierheime-helfen.de auf die Lage der Tierheime und deren wichtige Arbeit aufmerksam. Hier ist unter anderem zu lesen: „Da aufgrund der Inflation und der angespannten wirtschaftlichen Situation infolge des Ukraine- Krieges auch die Spendenbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger spürbar sinkt, droht dem praktischen Tierschutz in Deutschland der härteste jemals erlebte Herbst und Winter.“ Bei diesen Worten fragt man sich unwillkürlich, wie es aussieht mit unserer Verpflichtung mehr für Tiere zu tun.
Unsere Verantwortung für Tiere
Natalie Vöpel vom Bonner Tierheim meint dazu: „Wir haben als Gesellschaft die Verpflichtung, Verantwortung für alle Tiere zu übernehmen. Sowohl für diese, die vom Menschen aus den verschiedensten Gründen domestiziert wurden, aber auch für Wildtiere, die sich ihren Lebensraum mit uns teilen. Wir haben uns selbst das „Recht“ gegeben, Tiere zu unseren Bedingungen zu halten, und rücken in ihren natürlichen Lebensraum vor, also haben wir auch dafür Sorge zu tragen, dass die Tiere ein artgerechtes Leben ohne Leid leben können.“
Tierschutzbildung in der Schule
Für zukunftsfähige Tierheime braucht es also eine stetige gesamtgesellschaftliche Diskussion, die das Verhalten des Menschen zu den Tieren in den Mittelpunkt rückt. Für dieses Verhalten wünschte sich Albert Schweitzer nichts weniger als „Ehrfurcht vor dem Leben“. Er glaubte auch, dass diese Ehrfurcht der Humanität mehr Tiefe geben würde. Doch ob man der Ethik von Schweitzer folgen möchte oder nicht – darum geht es nicht. Vielmehr ist er ein prominentes Beispiel für einen Menschen, der sich auch im Bereich „Tierschutz“ darum bemüht hat, Verständnis um Zusammenhänge zu entwickeln und Erkenntnisse zu gewinnen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist sicherlich Natalie Vöpels Wunsch, „dass Tierschutzbildung einen festen Platz an unseren Schulen bekommt, damit bereits die Kleinsten einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Tier erlernen“. Im Tierheim Albert Schweitzer wurde die Zusammenarbeit mit Bonner Schulen bereits begonnen.
HILFE FÜR DAS TIERHEIM BONN
Unter https://tierheimbonn.de steht in der Rubrik „Helfen & Spenden“, wie Privatpersonen dem Bonner Tierheim helfen können. Beschrieben wird etwa, wie man Geld spenden kann oder welche Sachspenden dringend benötigt werden. Unter „Aktive Mithilfe“ erfährt man, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, um Hunde auszuführen oder Kleintierstreichler*in zu werden. Auch Unterstützer*innen für die Infostände des Tierheims und handwerklich begabte Menschen werden gesucht. Das Tierheim betreibt auch das Sammelsurium, einen Second-Hand-Laden auf der- Brüdergasse 11 in der Bonner Innenstadt.
KONTAKT
- Deutscher Tierschutzbund e.V.
Bundesgeschäftsstelle
In der Raste 10
53129 Bonn
Telefon: 0228-60496-0 (Mo-Fr: 8-18 Uhr)
Infoservice-Sprechstunde zu allgemeinen Tierschutzfragen und -anliegen:
Telefon: 0228-60496-73 (Mo–Fr: 9 –15 Uhr)
- Tierschutz Bonn und Umgebung e. V.
Tierheim Albert Schweitzer
Lambareneweg 2
53119 Bonn
Infotelefon: 0228 – 636 995 (Mo: 14-17 Uhr, 18-21 Uhr; Di-Fr: 10–12 und 18–21 Uhr; Sa: 18–21 Uhr; So: 13–19 Uhr)
Öffnungszeiten: Freitag und Samstag, 14–17 Uhr
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