Schwerpunkt Baukultur

8. März 2021 | Nachhaltigkeit, Ökologie | 0 Kommentare

Konsequenz, Fantasie und Sensibilität

„Eine unbequeme Wahrheit“ – so hieß der Film mit dem US-Politiker Al Gore, mit dem das Thema Klimawandel vor 15 Jahren den Mainstream erreicht hat. Unbequem wird es auch, wenn heute Umwelt- und Klimaschutz mit Fragen von Architektur und Städtebau zusammentreffen. Es gilt, sich auf umfassendere Perspektiven einzulassen und konkurrierende Ziele gegeneinander abzuwägen. Für die neue Bonner Ratskoalition, die mit großen ökologischen Ambitionen angetreten ist, wird das nicht einfach.

Alexander Kleinschrodt

Das erste Problem ist schon der Ort, an dem der Bonner Rat tagt: das Stadthaus. Viele wären froh, wenn „der Betonklotz“ einfach verschwände. Steht nicht seit Jahren in den Zeitungen, er sei ein Energiefresser, also alles andere als grün? Am Energieverbrauch ließe sich durchaus etwas ändern: Der mit dem Stadthaus in vieler Hinsicht vergleichbare HVB-Tower in München hat nach einer Sanierung das Nachhaltigkeitszertifikat LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) in Platin erhalten, steht also nach gängigen Standards sehr gut da.
Vor allem aber könnte man mit diesem Vorgehen riesige Mengen an Energieaufwand, CO2-Emissionen und Müll einsparen, die mit Abbruch und Neubau nach bisherigem Schema einhergehen würden, was bisher noch viel zu selten geschieht. „Erhalte das Bestehende!“, das sei „der neue Imperativ des Bauens angesichts der Klimakrise“, sagt Susanne Watzeck, die Präsidentin des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Das Wissen darum verbreitet sich langsam. Sogar im vor kurzem verabschiedeten Koalitionsvertrag der Bonner Ratsmehrheit heißt es schon: „Sanierung hat Vorrang vor Neubau.“ Ob das auch beim Stadthaus gilt wird zeigen, wie belastbar solche Aussagen sind.

Gut Wohnen mit kleinem Fußabdruck

Ganz oben auf der Agenda der neuen Ratskoalition steht zwangsläufig das Schaffen von Wohnraum. Also doch wieder „Bauen, Bauen, Bauen“? Klimafreundliche Alternativen hat der Publizist Daniel Fuhrhop aufgezeigt. Er hat eine Liste mit 100 Werkzeugen für „mehr Platz im Bestand“ vorgelegt, die zum Teil schon erfolgreich praktiziert werden – von der Eigentümerinnenberatung bis zum „Wohnen für Hilfe“. Die Ratskoalition hat solche Instrumente offenbar im Blick, aber es ist hier wirklich Fantasie gefragt. Selbst bei einem Umbau des Stadthauses beispielsweise könnten innerstädtische Wohnflächen entstehen, unter anderem durch eine Randbebauung an der Maxstraße oder gar durch eine Umrüstung von einem der fünf Bürotürme – Stichwort: mehr Home Office – für Wohnzwecke, wie es manche der vielen schon vorliegenden Studien vorgeschlagen haben. Tatsachen geschaffen hat währenddessen ein privater Investor in Beuel: Er hat das voreilig schon zur „Ruine“ erklärte Hochhaus am Platanenweg saniert und so fast 250 Appartements bereitstellen können. Wenn doch gebaut werden soll, dann werden verstärkt nachhaltige Bautechnologien eingesetzt werden müssen, gefragt sind ökologisch vertretbare Materialien und Verfahren der Kreislaufwirtschaft. In dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen „Klima-Handbuch für Kommunen“ wird festgestellt, dass „eine konsequente Verabschiedung von Richtlinien im rechtlich möglichen Umfang der Bebauungspläne in diesem Bereich viel bewirken“ könne. Die geplante Stadtentwicklungsgesellschaft und das städtische Wohnungsbauunternehmen VEBOWAG sollten dabei ebenfalls eine Rolle spielen, denn gerade öffentliche Auftraggeber „müssen ihre Rolle als Pioniere des ökologischen Bauens stärken“, wie der BDA fordert. Würden beim Bauen die realen Umweltkosten eingepreist, dann wäre der Einsatz von Stahl und Zement schon rein ökonomisch weniger attraktiv. Und um die Latte noch ein wenig höher zu legen: Was jetzt gebaut wird, sollte dann auch so solide und attraktiv sein, dass es lange haltbar ist.

Der Boden als Stellschraube

Fehlt nur noch der Baugrund – aber wo findet man den? Der Koalitionsvertrag enthält dazu den Grundsatz „Innen- vor Außenentwicklung“, also innerstädtisches Flächenrecycling und Nachverdichtung anstelle der Neuausweisung von Baugebieten. Das deckt sich anscheinend perfekt mit den Zielen der „Volksinitiative Artenvielfalt NRW“, deren Initiatorinnen eine Reduzierung des Flächenverbrauchs als zentrale Stellschraube sehen, um den Verlust von Tier- und Pflanzenarten zu stoppen.
Trotzdem fällt es selbst Umweltbewegten oft schwer zu akzeptieren, wenn sich durch Maßnahmen der Innenentwicklung gewohnte Wohnumfelder verändern. Deshalb gilt es genau zu unterscheiden zwischen tatsächlichen Baulandreserven und solchen Flächen, die bereits wichtige Funktionen für die Stadtbevölkerung, das Mikroklima und urbane Ökosysteme übernehmen. Die Qualität von Baukultur zeigt sich nicht zuletzt daran, ob mit Nachverdichtung so sensibel umgegangen wird, dass sie konsensfähig werden kann.
Gelingt es, die vielfältigen Konflikte zu entschärfen, die aus der notwendigen Transformation kommunaler Baupolitik hervorgehen können, dann wird sich das auf mehreren Ebenen auszahlen: durch eine lebenswerte, auf spannende Weise aus sich selbst heraus weiterentwickelte Stadt und durch einen Klima- und Umweltschutz, der nicht an entscheidender Stelle zahnlos bleibt.

Erschienen in der BUZ 2_21

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