Befreiende Kraft der Spiritualität

9. Juni 2020 | Gesellschaft, Ausgabe 3 / 2020 Spiritualität | 0 Kommentare

Von der Achtung für uns selbst und andere

Wir möchten frei sein und mit Freiheit erlangen wir unser Glück. Doch Freiheit lässt sich nicht äußerlich erlangen und ist auch kein Geburtsrecht. Aber wie können wir Freiheit finden? Und woher kommt diese Freiheit?

Batuwangala Samiddhi

Frei zu sein, ist die Kunst, den gegenwärtigen Moment mit allen Sinnen zu erleben. Wir haben die Neigung, alles mit dem wir in Kontakt kommen, durch Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Berühren zu ergreifen und festhalten zu wollen. Doch dieses Festhalten oder Anhaften ist die Ursache, die unseren inneren Frieden und unsere Freiheit behindert und die wie ein schwerer Gegenstand auf unseren Schultern lastet. Auch unsere Hände sind dann nicht frei. Anhaftung bedeutet also, dass wir uns an diesen Gegenständen festhalten und dabei die Freiheit aus den Augen verlieren. Erst nachdem wir einen belastenden Gegenstand auf dem Boden geerdet haben, fühlen wir uns wieder frei.

Frei sein bedeutet auch, zu lernen, uns um uns selbst zu kümmern, belastende Dinge fallen zu lassen und die Hände frei verwenden zu können. Dadurch werden wir frei von gegenstandsbezogenen Wunschvorstellungen oder extremen Ideen und Ansichten. Dazu zählt auch das Festhalten von nationalistischen oder rassistischen Gedanken, die dazu führen, dass unsere ursprüngliche Güte blockiert wird. Denn durch das Anhaften an religiöse oder nationalistische Gedanken können sich Hassgefühle gegenüber anderen Menschen entwickeln. Wenn der Mensch sich jedoch von diesen belastenden und unharmonischen Gedanken befreit, findet er einen harmonischen Zustand, um heilsame Gedanken zu kultivieren und inneren Frieden zu erreichen.

Auch der Film „I Am“ zeigt, wie sich der Fokus des Geistes verändern kann. Darin wird gezeigt, wie sich die Lebensphilosophie von Hollywood-Regisseur Tom Shadyac nach einem Unfall verändert und sich sein Fokus von materiellen Dingen zu Gefühlen und Emotionen verschoben hat. Denn materielle Abhängigkeit und Egoismus behindern den Rhythmus der Natur. Schließlich sind wir Menschen nicht allein. Wir sind soziale Wesen, die sich miteinander und mit der Natur verbinden. So sind wir im Gleichgewicht mit der Natur, wenn wir frei sind von materiellen Dingen, die unseren Geist belasten.

Seine Mitte finden

Eine weitere wichtige Fähigkeit, um innere Freiheit zu erlangen, ist die Natur der natürlichen Mitte zu finden. So wie die Mutter ihr Baby hält, genau mit dem richtigen Druck, nicht zu fest und nicht zu leicht. Doch wie können wir dieses natürliche Gleichgewicht finden?

Wir besitzen das Vermögen, uns von unseren Schwierigkeiten und belastenden Gedanken nach und nach zu befreien, mittels zweier spiritueller Fähigkeiten, die uns helfen, achtsam zu sein: Erkennen und Nicht-Identifizieren.

Das Bewusstsein „Sathi“

Für das Erkennen brauchen wir „Sathi“ oder Bewusstsein, um Achtsamkeit zu entwickeln. Sathi ist die Fähigkeit, zu überprüfen, welche Gedanken und Emotionen erscheinen, ob sie heilsam oder unangenehm sind. So sagte Buddha: „Wir können im Dunkeln eine Lampe entzünden“, um damit in unser Inneres zu sehen, und unsere Gedanken und Emotionen zu erkennen. Dabei geht es um die Bereitschaft, uns selbst anzusehen. Die daraus folgende Erkenntnis führt zu der Möglichkeit der Veränderung, um die unfriedlichen Samen im Geist nicht aufkeimen zu lassen.

So sind wir hier und jetzt in der Lage, die Wirklichkeit unserer Erfahrungswelt nicht nur zu erkennen, sondern auch zu prüfen. Vor ein paar Jahrhunderten haben Menschen kaum über Umweltschutz gesprochen. Erst in den letzten 30 Jahren ist das Thema immer populärer geworden, auch weil jede*r auf der Erde die Veränderung des Klimas spüren kann. Die Fähigkeit der Erkenntnis hilft uns also nicht nur, die eigenen Gedanken zu begreifen, sondern auch unser umweltbewusstes Handeln zu prüfen und eröffnet uns damit den Weg aus Unwissenheit zu innerer Freiheit.

Das Nicht-Identifizieren ist wichtig für das Wahrnehmen mit allen fünf Sinnen. So kommen wir in Kontakt mit Dingen, finden diese gut oder schlecht, leicht oder schwer. Durch diesen Prozess des Ergreifens identifizieren wir uns als „Ich“, „Mein“, „Selbst“ und haften uns an feste Vorstellungen, Einstellungen, Meinungen und Erwartungen an. Diese Identifikation kann sich an verschiedenen Dingen entwickeln. Manche identifizieren sich besonders stark mit der idealen Vorstellung von Schönheit, wie ihr Körper sein soll: dünn, klein, groß und so weiter. Andere identifizieren sich besonders stark mit einer umweltschonenden Lebensweise und kämpfen für diese Einstellung. Sie möchten, dass ihr*e Partner*in, die Kinder, ihre Eltern und Freunde ebenfalls diese Vorstellungen vertreten. Doch damit blockieren sie ihre Fähigkeit, frei zu denken, und ignorieren, dass andere Menschen Individuen mit einer eigenen Identifikation sind.

Alte Muster

So hält das Gehirn an Ansichten, Ideen, Systemen und Theorien fest, oder auch an Kultur und Nationalität. Dadurch werden wir zum Opfer der eigenen Vergangenheit, weil wir an Erfahrungen aus derselben festhalten. Nicht-Identifizieren bedeutet, dass wir im Gewahrsein bleiben. Denn ohne die Identifikation von „Ich“, „Mein“ und „Selbst“ sorgen wir voller Achtung für uns selbst und für andere. Es bedeutet, frei von Vorstellungen zu sein, wie wir selbst, wie andere Menschen oder bestimmte Sachverhalte zu sein haben. So erlangen wir ein Bewusstsein, um die Dinge ohne Leid oder Sorge wahrzunehmen und innere Freiheit zu erlangen.

Dieser Artikel erschien in der BUZ-Ausgabe Mai/Juni 2020.

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