„Aus Alt mach Neu“

1. März 2018 | Nachhaltigkeit, Esther & Andreas Reinecke-Lison | 0 Kommentare

Abfall neu denken: Wege zum Aufbau einer nachhaltigen Wiederverwertung

Raumfahrer berichten, dass durch den Blick aus dem All auf die Erde ein tiefes Verstehen der Verbundenheit allen Lebens und ein Verantwortungsgefühl für die Umwelt entstehen. Unser Umgang mit Abfall lässt daran zweifeln, ob solch hehren Gefühle im Alltag Bestand haben können. Doch muss Abfall ein unlösbares Einweg-Problem bleiben, oder gibt es Wege, diese Sekundärrohstoffe wiederzuverwerten?

„Bereits vor meinem Flug wusste ich, dass unser Planet klein und verwundbar ist. Doch erst, als ich die Erde in ihrer unsagbaren Schönheit und Zartheit aus dem Weltraum sah, wurde mir klar, dass der Menschheit wichtigste Aufgabe ist, sie für zukünftige Generationen zu hüten und zu bewahren.“ Sigmund Jähn

Die Erde wird als zerbrechliche Kugel seit den ersten Fotos aus dem All aus den 1960er Jahren gesehen. Es begann ein Nachdenken über das heikle Gleichgewicht der Natur, das durch menschliche Eingriffe gestört und zerstört wird. Aber was machen wir?

„Die Urbanität eines Landes lässt sich daran erkennen, was in seinem Abfall landet, was an Alltäglichem, Brauchbarem, was an Poesie weggeworfen, der Vernichtung für wert erachtet wird.“ Heinrich Böll

Als in den 70er Jahren Wirtschaftswachstum durch schnellen „Ex und hopp“-Verbrauch forciert wurde, wurden Westdeutsche zu „guten Wegwerfern“. Mit 630 kg gibt es hierzulande rund sechsmal mehr Haushalts- und Verpackungsmüll pro Kopf als in Entwicklungsländern. In der Wegwerfgesellschaft wird oft etwas gekauft, um es zu verbrauchen. Sobald es etwas Neues gibt, wird das Alte obsolet. Der Gegenstand wird vom Mittel zum Ziel – und wird gleichzeitig entwertet.

Littering

Littering bezeichnet das achtlose Wegwerfen von Abfällen an öffentlichen Plätzen und in der Natur.

Gespräch mit Stadtgärtnern Bonn,
Rheinufer Beuel, 19. Januar 2018
• Gibt es viele Menschen/Gruppen, die in Eigeninitiative Müll einsammeln? Hin und wieder Einzelpersonen, z. B. eine Frau, die im strömenden Regen unbeirrt Müll im Rhein-Wäldchen einsammelte. Gruppen-Aktionstag: „Bonn picobello“. An Wochenenden: Schulklassen, Umweltgruppen.
• Welche Art von Müll finden sie in der Umwelt? „Es gibt nichts, was es nicht gibt.“, u.a. Zigaretten, Plastik, Karton, Campingstühle, Grill, Autoreifen mit Felgen. Es gibt mehr Müll als früher.
• Was passiert mit eingesammelten Müll? Von Stadtgärtnern gesammelter Müll wird getrennt. Besonderes (z. B. Autoreifen) ist Sondermüll. Von Einzelpersonen, Gruppen, Schulklassen gesammelter Müll wird in Müllsäcken an Abfallbehältern abgestellt und von einer Drittfirma abgeholt.
• Werden Menschen bewusster oder achtloser im Umgang mit Müll? Viele Müllbehälter am Rheinufer Beuel, selbst wenn sie nur einen Meter neben den Menschen stehen sollten, werden nicht zur Müllentsorgung genutzt.
• Hat sie eine besondere Einstellung zur Umwelt zur Wahl ihres Berufes geführt? „Ich habe von meinen Eltern gelernt, einen sorgsamen Umgang mit der Natur zu haben. Meinen Beruf in der Natur als Stadtgärtner habe ich schon bewusst gewählt. Erde in der Hand zu halten ist das Schönste, das es gibt.“

Art und Menge der Abfälle sind auf anerzogene Konsumgewohnheiten zurückzuführen. In jüngster Zeit steigern „to go“-Produkte, die unterwegs verzehrt werden, das Littering. Das geschieht meist an öffentlichen Plätzen, Wegen und Grünflächen mit großer Anonymität. Niemand würde bei sich zu Hause mit dem Müll so umgehen. In dieser „Na und?“-Mentalität äußern sich mangelndes Verantwortungsbewusstsein und ein Vorrang des Individualismus. Es herrscht die Ansicht, dass es keinen persönlichen Nutzen bringt, seinen Abfall in der Öffentlichkeit richtig zu entsorgen, und es ist einfacher, ihn zurückzulassen als zum Abfalleimer zu tragen. Laut einer Studie der Humboldt-Universität Berlin wird Littering-Müll vor allem innerhalb eines Abstands von 2-10m zu einem Abfalleimer produziert.

Praktische Lösungsansätze zur Reduktion von Littering lassen sich in die Kategorien Ahnden, Aufklären und Aufräumen einteilen. Es gibt auf allen Kontinenten unzählige Aktionen aller Art, die von Bußgeldern über Aktionen an Schulen und Kindergärten (in Bonn durch bonnorange angeboten) sowie öffentliche Kampagnen bis zu Aktionstagen („Bonn picobello“) reichen: Für Kinder, die damit aufwachsen, Müll richtig zu recyceln, ist es selbstverständlich, Abfalleimer zu verwenden und ihnen macht es Spaß, bei Aufräumaktionen mitzumachen. In Südafrika gibt es eine „coastal clean up“-Bewegung, in Japan freiwillige Strand-Aufräumaktionen koreanischer und japanischer Studenten, die Müll aufsammeln, der aus Korea an Japans Küsten gespült wird. Solarenergie-betriebene „sprechende Mülleimer“ gibt es u. a. in Berlin und Helsinki: Umweltgerechtes Entsorgen wird vom Eimer mit „Echt knorke von dir“ oder „Thank you“ erwidert.

Gute Argumente

Weggeworfenes kann über Jahre (Kaugummi), Jahrhunderte (Plastik) oder Jahrtausende (Glas) in der Umwelt zurückbleiben. Nicht selten wird der Müll von Tieren gefressen und gelangt damit in den Nahrungskreislauf, was letztlich den Menschen trifft. Und 3-5% der Treibhausgase stammen aus Emissionen der Abfallwirtschaft. Bewusstseinsbildung über Argumente ist daher einer der wichtigsten Aufgaben im

Kampf gegen Abfall. Aber wie macht man das?

In einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz wird die Idee des „guten Arguments“ vertreten. Häufig werden nicht dieselben Wertvorstellungen geteilt. Wenn die einen das Aussterben einer Art empört, sagen andere einfach „Na und?“. Es ist dann erforderlich, sich über Werte und Normen zu verständigen: Warum soll man zum Schutz der Natur beitragen? Warum sind bestimmte Handlungen verboten? Die hier erforderliche Begründung ist eine Aufgabe der Ethik und ist als „gutes Argument“ letztendlich meist überzeugend. Die Umweltethik nimmt dabei Bezug auf den Umgang des Menschen mit der Schöpfung und begründet Normen und Werte bezüglich eines der Umwelt angemessenen Verhaltens. Soziale Normen sind Regeln des Denkens und Verhaltens, die in einer sozialen Gruppe geteilt werden und für individuelles Verhalten zentral sind – auch für Umweltverhalten. Ein Beispiel für Umweltbildung ist OroVerde aus Bonn. Mit dem Ziel des Tropenwaldschutzes betreibt die Stiftung u. a. Projekte für Schulen. Das preisgekrönte Projekt „Weil wir es wert sind“ erreicht über Angebote wie Graffiti, Rap oder „cook for rainforest“ Jugendliche über ihre Interessen. So lernen sie, Verantwortung zu übernehmen und ein stärkeres Selbstwertgefühl zu bekommen für ein „gutes Leben“.

Aus Alt mach Neu

Durch die Begründung einer Abfall-Kreislaufwirtschaft in den 90er Jahren wurde Nachhaltigkeit ein Wertebegriff und ließ die Auseinandersetzung mit Abfällen selbstverständlich werden. Jetzt, durch zunehmendes Littering und Argumente der Umweltethik, wird Abfall auch als Rohstoffquelle betrachtet, die es mit „Urban Mining“ zu erschließen gilt. Als ressourcenarmes Land sollte Deutschland seine Sekundärrohstoffe verarbeiten. Kommerziell umgesetzt wird das Konzept „cradle to cradle“ mit geschlossenen Kreisläufen, die keine Abfälle erzeugen, u. a. für alte Teppichböden, deren Garn neu aufbereitet wird (Fa. Aquafil, Träger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2014) und T-Shirts (Fa. trigema, C&A). Weitere Initiativen sind das „Teilen und Tauschen“ u. a. von Bekleidung, (von ca. 5,2 Mrd. Textilien in deutschen Kleiderschränken werden bis zu 40% selten oder gar nicht getragen), „repair cafés“ für Haushaltsgeräte (7mal in Bonn) und Einkaufen ohne Einwegverpackungen (Deinet, Bonn-Duisdorf).

Weniger Littering, Umweltethik, urban mining, cradle to cradle: Abfall wird neu gedacht, und im Rahmen eines umweltangemessenen Verhaltens eine nachhaltige Wiederverwertung machbar.

„Im Weltall erkannte ich, dass der Mensch die Höhe vor allem braucht, um die Erde, die so vieles durchlitten hat, besser zu verstehen und zu erkennen. Nicht allein, um von ihrer Schönheit in Bann geschlagen zu werden, sondern auch um zu einem Verantwortungsgefühl dafür zu finden, dass nichts, was wir tun, die Natur in auch nur geringstem Maße Schaden leiden lassen darf.“ Tuan Pham

Literatur: BfN-Skript 368, 2014/BfN-Skript 414, 2015/HU Berlin: Littering-Verhalten, 2015/Loimayr: Littering, 2010/Neubert: Ethik der Abfallwirtschaft, 2008/ Rohstoffquelle Abfall, 2012/Eriksen: Mensch und Müll, 2013./ZDF „planet e: Welt ohne Müll“, 2017/OroVerde

Esther und Andreas Reinecke-Lison

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