Werte. Ein Kompass für die Zukunft
„Klaren Kompass zeigen“, das war häufig die Ansage der Politiker*innen im jüngsten NRW-Kommunalwahlkampf. Vor dem Hintergrund globaler Umweltzerstörung, komplexer wirtschaftlicher Krisen und sozialer Ungleichheit können nach Ansicht von Maja Göpel nur neue Werte und Denkweisen ausreichende Navigationshilfen in eine lebenswerte Zukunft liefern.
Susanna Allmis-Hiergeist

Die Zukunftsforscherin Maja Göpel © Wolf Lux, 2024
Maja Göpel entwickelt ihr Thema in fünf Kapiteln. Grundvoraussetzung ihres politischen Ansatzes ist, dass der heutige tendenzielle Verdruss gegenüber der Demokratie wieder in ein „Mutiges Einchecken“ übergehen sollte. Sie fordert, die„Pluralistische Ignoranz“ in eine „Pluralistische Resonanz“ zu überführen. Also zum Beispiel: „Die anderen wollen ohnehin nicht mitmachen, wieso sollte ich mich allein anstrengen?“ in ein „Das was als demokratischer Kompromiss vereinbart wurde, hört sich ganz gut an, da mache ich mit!“ zu überführen.
Hierbei helfe eine gemeinsame Sehschärfe, aus der drei Wissensarten entstünden. Als Basis ganz wichtig das Verständniswissen. Ein professionell forschender Wissenschaftsapparat dürfe nicht in selbstreferenziellen Publikationslawinen versinken, sondern müsse darüber hinaus abgesicherte Fakten einfach und barrierefrei bereitstellen. So ermächtigt, könne darauf Handlungswissen aufsetzen, das Veränderungspotenziale und die dafür notwendigen Ressourcen einschätzt. Als dritte Wissensebene führt Maja Göpel eine mögliche Sinnerfahrung ein, also Selbstwirksamkeit, der Eindruck, dass es sich lohnt, das eigene Verhalten im gesellschaftlichen Kontext zu verändern. Sie nennt diesen Prozess VerWirung.
Fortschrittlicher Wohlstand
Die Autorin skizziert ein Modell des fortschrittlichen Wohlstands, das dem sozialen Ausgleich verpflichtet ist. Dazu findet sie Vorbilder schon in der Antike bei Platon und in der Mitte des letzten Jahrhunderts in Ludwig Erhards Buch „Wohlstand für alle“. Erhards Wegbegleiter, der Ökonom Alfred Müller-Armack, betrachtete die soziale Marktwirtschaft als einen der Ausgestaltung harrenden, progressiven Stilgedanken. Grundzutaten der Wirtschaftsordnung waren Wachstum, unternehmerische Freiheit und Eigenverantwortung. Davon würden auch die Ärmeren profitieren, zumindest irgendwann und irgendwie, so die Vermutung. Eine Erzählung, die der amerikanische Philosoph John Rawls noch in den 1970er Jahren mit mathematischen Graphiken eingängig zu illustrieren versuchte.
Mittlerweile werden solche Prämissen durch ganz andere Parameter in Frage gestellt, wenn nicht sogar demontiert. Was erwirtschaftbar ist, wird mit zunehmendem Klimawandel und schwindender Biodiversität von der Begrenztheit natürlicher Ressourcen bestimmt. Aus der naturgesetzlichen Limitierung der Ressourcen könne man sich nicht mehr so einfach herauskolonialisieren, formuliert Maja Göpel. Ein neuer Wirtschaftsstil müsse her, der sich an zeitgemäßen nachhaltigen Werten orientiere.
Um sich diesen Werten anzunähern, klopft die Autorin unterschiedlich Initiativen auf ihre „Werthaltigkeit“ ab: zum Beispiel die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) sowie den „Better Life Index“ der OECD. Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Gemeinsinn, Bildung, Einkommen, Wohnverhältnisse, Sicherheit und Beschäftigung sind hier in globalem Maßstab wichtige Bausteine. Die nationale Umsetzung in Deutschland empfindet Maja Göpel als unzureichend. Die traditionelle Ausrichtung des wirtschaftlichen Handelns am Bruttoinlandsprodukts (BIP) sei immer noch sehr ausgeprägt.
Stilvolles Regulieren
Maja Göpel versteht Regieren als Designaufgabe mit dem Ziel, effektive Instrumente für eine demokratische Kooperation zu entwickeln. Dabei legt die Autorin Wert auf den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Sie erläutert dies am Beispiel der Bereitstellung neuen Wohnraumes. Was leistet ein effizienter Bauturbo? Auf alten Wegen mehr und schneller vorwiegend Einfamilienhäuser bauen und dabei vielleicht Naturschutzziele zur Beschleunigung der Planverfahren lockern? Ein effektiver Ansatz wäre dagegen, einer möglichst geringen Flächenversiegelung den Vorrang zu geben und im städtebaulichen Bestand zum Beispiel durch Geschossaufbauten zusätzlichen Wohnraum bereit zu stellen. Die Frage nach der Effektivität steht also vor der Effizienz, also welche gesellschaftlichen Ziele sollen erreicht werden und erst dann: können wir das nicht noch besser machen? Ihre These: Eine entlang transformatorischer Prozesse neu gestalte Verwaltung könne dabei vertrauensbildend wirken, da die personelle Zusammensetzung stärker auf Dauer angelegt sei als politische Gremien.
Wertvolles Bilanzieren

© Brandtstätter Verlag
Um das Vertrauen in Regeln zu stärken, müsse aber auch der Nutzen des Handelns stärker sichtbar gemacht werden. Dazu brauche es neben besserem Erzählen ein faktengestütztes Zählen und Bilanzieren.
Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Fortschrittsmesser nennt sie ein blindes Instrument. Es preise weder die sogenannte „Schadschöpfung“ noch die mögliche künftige „Wertschöpfung“ des gesellschaftlichen Handelns ein. Soll heißen: welche schädlichen Nebenwirkungen des wirtschaftlichen Handelns tauchen heute gar nicht erst in den Bilanzen auf, welche Korrekturen diesen Handelns würden nur in einer mittel bis langfristigen Bilanzierung sichtbar. Neue KI-gestützte Systeme ermöglichten Evaluationen auch zu nicht finanziellen Ergebnissen wie Umweltveränderungen sowie vorausschauende Modellierung von Handeln oder Nichthandeln für die nächsten Jahrzehnte. Auf dieser Basis könne man sich in eine wünschenswerte Zukunft hineinexperimentieren.
Fazit: Maja Göpels Thesen sind nicht in allen Teilen neu und stützen sich auf eine lange Tradition gesellschaftskritischer Diskussionen. Die vielen aktuellen Bezüge und die präzise Sprache der Autorin zeigen überzeugend die heutigen Handlungsfelder transformatorischer Debatten auf.
Prof. Dr. Maja Göpel arbeitet als Politökonomin, Transformationsexpertin und Nachhaltigkeitwissenschaftlerin an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie war zuletzt Wissenschaftliche Direktorin am „The New Institute“ und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
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