Interview mit einer „Kräuterfee“

16. Juni 2020 | Nachhaltigkeit, Interview | 0 Kommentare

Wer sein Herz öffnet, sieht die Natur nicht nur mit den Augen

„Das Bedürfnis nach Spiritualität steigt.“ So schätzt unsere Interviewpartnerin Birte Böhnisch vom habondia-Hof in Müncheberg, Brandenburg, die gesellschaftliche Lage ein. Aber wieso sind wir trotzdem so skeptisch, wenn es um alternative Heilung, Baumseelen oder heidnische Rituale geht? Die Redaktion fragt, die Pflanzenexpertin gibt einen Einblick in ihren Alltag.

Birte Böhnisch und Tobias Landwehr

BUZ: Wie bist du zu Deinem Job gekommen und welche Rolle spielten dabei Spiritualität und Umwelt?

Birte Böhnisch: Es war mitten in Berlin auf dem damaligen Mauertreifen. Da wollte ein Freund, Reno, mit mir Holunderblüten pflücken. Ich war so 23 und sagte: „Ich hab zwar keine Ahnung was Holunderblüten sind, aber ich komme mit!“ Wir waren beiden schon – und sind es immer noch – sehr naturverbunden, aber obwohl ich auf dem Land an der Ostsee in Mecklenburg großgeworden bin, habe ich nichts von Kräutern mitbekommen. Mein Vater und ich waren zwar Pilze sammeln und haben den Garten gemacht. Es war allerdings nie so das bewusste Erleben der Natur, sondern eher nur zur Benutzung.

Als ich also das erste Mal unterwegs war, hat es mich sofort angesprochen: suchen, pflücken, weiterverarbeiten. Da hat sich mein Herz geöffnet und ich fing an, mit Bestimmungsbüchern über die Wiese zu laufen und mir zu überlegen, was man mit den Kräutern machen kann.

Woher nimmst Du Dein Wissen und Deine Kraft?

Das war wie ein Sog. Alles in mir hat sich geöffnet. Mittlerweile bin ich Pflanzenexpertin und Spezialisten für Heilkräuter. Dabei bin ich absoluter Autodidakt und habe es weder in die Wiege gelegt bekommen noch habe ich Seminare besucht. Du musst dir vorstellen, die Heilkräuterkunde ist wie so ein großer Sack – das erzähle ich oft – mit ganz vielen kleinen Schatzkisten und überall steckt etwas anderen drin.

Ich habe angefangen mich damit zu beschäftigen wie unsere Vorfahren nicht nur mit Kräutern geheilt, sondern wie sie gelebt und was sie selbst hergestellt haben. Darum habe ich spinnen gelernt, filzen, Brote backen und andere Handwerke.

Dazu kamen die Feste, die sie gefeiert haben: Opfer- und Dankesfeste im Zusammenhang mit der Natur. Die Walpurgisnacht beispielsweise war damals nicht am ersten Mai, sondern wenn der Weißdorn blühte. Sie haben sehr eng mit der Natur verbunden gelebt und sie waren abhängig von ihr. Damals gab es halt keine Supermärkte.

Durch diese Verbindung hatten sie eine tiefe Achtung und Ehrfurcht vor der Natur. Sie glaubten an Gottheiten wie die Erdmutter oder die Fruchtbarkeitsgöttin. Ihr Leben so nah an der Natur hat mich begeistert, darum bin ich tiefer eingestiegen.

Hast Du denn in diese Richtung geforscht oder studiert?

Ja, ich konnte damals zu „heidnische Jahreszeitfeste und ihre Bedeutung für die soziale Arbeit“ meine Diplomarbeit schreiben. Ich habe Sozialpädagogik studiert. Leider ist dieser Bereich sehr negativ durch den Nationalsozialismus belegt. Aber ich sage immer: „Was können denn die alten Germanen und Kelten dafür, wenn die Nazis ihre Rituale missbrauchen?

Wegen der vielen Zeit, die ich mit meinem Wissen und meiner Neugier in der Natur, hat sich über die Jahre für mich eine Art Naturreligion entwickelt. Obwohl ich eher kommunistisch aufgewachsen bin – und da zählt ja nur, was man sehen und anfassen kann –, habe ich gespürt, dass da mehr war. Darum versuche ich in meiner Arbeit nicht nur mit den Augen zu sehen, sondern auch mit meiner Seele.

Wer kommt zu Dir? Also welche Art Menschen suchen Dich auf?

Die meisten kommen, weil Sie wissen wollen, was so auf der Wiese wächst, wozu sie was benutzen können und was ihre Großmutter damals in ihren Wickel getan hat.

Besuchen Dich auch gefährdete Vielarbeiter*innen, um Stress abzubauen?

Dazu habe ich eine schöne Geschichte: Es gibt hier ein Nachmittagsprogramm für Managerinnen und Manager. Dabei kommen sie raus an die frische Luft und machen in kleinen Gruppen ganz unterschiedliche Dinge: Eier von der Straußenfarm besorgen oder Erdbeeren ernten. Meine Gruppe ist, zum Teil noch in Schlips und Kragen, mit mir Kräuter sammeln gegangen.

In der ersten Viertelstunde bin ich meistens die einzige, die redet und alle anderen sind eher zurückhaltend. Aber wenn sie dann erfahren, was sie alles mit Löwenzahn machen können, merke ich, wie ihnen das Herz aufgeht. Manager*innen sind auch nur Menschen. Am Ende des Ausflugs bekomme ich sie alle nicht mehr von der Wiese.

Weiß Deine Kundschaft vorher, auf was sie sich einlässt?

Das wissen sie nicht gleich immer von Anfang an. Aber ich führe sie sanft daran. Also bei einer Kräuterwanderung wissen meine Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer schon, was sie erwartet. Bei meinen Jahreskursen, bei denen sie regelmäßig manchmal sogar über drei Jahre zu mir kommen, ist es ihnen nicht ganz klar.

Worin siehst Du Deine eigentliche Aufgabe?

Ich möchte gerne vermitteln, dass wir alle Verantwortung für unsere Natur haben. Dass wir achtsam sein müssen. Um diese Einstellung zu übertragen, gebe ich nicht nur Wissen weiter, sondern spreche die Kursteilnehmer*innen auf der Gefühlsebene an. Ich lasse sie die Natur mit allen Sinnen erfahren: Auf Blätter beißen, um das Ölige zu bemerken, ein Baumlied singen, bevor wir Ulmenrinde ernten oder dem Weißdorngeist danken, wenn wir eine Tinktur anrühren. Das ist mir ganz wichtig und fällt mir ganz leicht, das miteinander zu verbinden.

Kannst Du damit die Erwartungen erfüllen?

Das ist nicht so leicht zu beantworten. Positiv für mich ist, dass die Menschen wiederkommen. Wenn sie zum ersten Mal einen Waldspaziergang mit mir machen, wirkt es für sie vielleicht komisch, wenn ich den Waldgeistern danke, bevor wir Baumsaft ernten. Aber ich denke, wenn sie danach auch andere Kurse buchen, habe ich alles richtig gemacht. 

Ich erwarte gar nicht, dass sie sich alles behalten, was ich sage. Aber wenn da so ein bisschen Achtsamkeit gedeiht, dafür was Mutter Erde uns bietet – nicht nur zur Heilung, sondern auch zu Nahrung –, dann war die Begegnung für mich erfolgreich. Weil ich glaube, mit Verbindungen – auch über Märchen, Geschichten oder Rituale – entsteht Achtung.

Du hörst Dich nicht an, als zweifelst Du an dem, was Du tust.

Das stimmt, Tobias. Ich habe natürlich am Anfang nicht gewusst, ob ich die Menschen erreiche. Ich habe mir aber auch nicht überlegt, wie ich Geld verdienen kann. Sondern es war eher andersrum. Ich habe meine Berufung entdeckt.

Die Menschen sind auf mich zugekommen und habe mich gefragt: „Mensch Birte, willst Du nicht mal Dein Wissen weitergeben?“ Also habe neben meinem Beruf als Sozialpädagogin angefangen, Waldspaziergänge und  Volkshochschulkursen zu geben. Vor 30 Jahren in einer Zeit, in der es dafür kein Bewusstsein gab.

Mit steigender Nachfrage und unserem Umzug auf das Land, hat es sich weiterentwickelt. Plötzlich gab es auch einen Ort für meine Seminare; einen Garten, Wiesen und Platz.

Die Menschen spüren, dass ich meine Berufung gefunden habe. Ich würde vielleicht zweifeln, wenn die Zahlen zurückgingen. Aber die Menschen kommen und dafür bin ich unglaublich dankbar. Das ist für mich ein Geschenk.

Wie wirst Du von außen wahrgenommen? Was sagen „Unspirituelle“ zu dem, was Du tust?

Ich glaube schon, dass es Berührungsängste und Unwissen gibt. Aber das ist ganz normal. Ich aus Erzählungen, dass einige hier auf dem Land belächelt, was ich tue. Ich bin ja selbst im Osten großgeworden und weiß, wie materialistisch manche denken. Aber auch das lässt mich nicht zweifeln.

Leute, die mich besuchen, kommen ja freiwillig. Aber klar, wenn ich Rituale und Zeremonien – bei uns gibt es auch Trauungen oder Taufen – draußen abhalte, denken sich meine Nachbarn sicherlich ihren Teil. Aber wenn ich sie dann darum bitte, den Trecker für ein paar Stunden während der goldenen Hochzeit eines Priesterehepaares nicht laufen zulassen, wird schon akzeptiert.

Welchen Zusammenhang siehst Du zwischen Spiritualität und Umwelt? Meinst Du, da hat sich über die Zeit etwas verändert?

Ja, ich glaube grundsätzlich ist die Offenheit zur Naturheilung größer geworden. Schau mal, vor 30 Jahren war das noch gar kein Thema. Seitdem das Verständnis für die Umwelt gewachsen ist, will sich keiner mehr mit Chemiebomben vollknallen. Sie vertrauen der Schulmedizin nicht mehr uneingeschränkt und schauen, was die Natur hergibt.

Dadurch wächst die Nachfrage nach Alternativen. Ich möchte gar nicht bestimmen, was richtig ist. Ich sage gerne: „Wer heilt hat recht.“

Was ich außerdem festgestellt habe: der Wunsch nach Spiritualität und nach etwas, das die Menschen berührt und bewegt, ist größer geworden.

Du meinst, neben ihrem Glauben oder als etwas ganz neues?

Parallel sogar. Hier bei uns ist die Kirche nicht so ein Thema und dadurch fehlt etwas. Das scheinen sie zu spüren.

Trotzdem glauben jetzt nicht plötzlich alle daran, dass ein Baum beseelt ist. Dabei sprechen die Forschungen und Arbeiten von Peter Wohlleben und Erwin Thoma für sich. Solche Dokumentarfilme darüber wie Pflanzen miteinander und mit ihrer Umwelt kommunizieren, zeigen wir auch.

Experimentenexkurs: Zwei exakt gleiche Maisfelder. Eins wird indianisch besungen, das andere nicht. Welches Feld hatte wohl einen viel höheren Ertrag? Du kannst Pflanzen sogar als Lügendetektor einsetzen.

Um das toll zu finden, muss man mich sehr spirituelle sein. So etwas kann ein Einstieg für die nächsten Schritte sein.

Ist es nicht aber schade, dass wir trotz steigendem Spiritualitätsbedürfnis immer noch die wissenschaftliche Bestätigung brauchen?

Schade, aber auch so verständlich. Unsere ganze Gesellschaft funktioniert so: Kinder in der Schule lernen nicht die ganzheitliche Sichtweise. Die emotionale und psychologische Seite fehlen.

Wir sind alle durch diese Schule gegangen und so gestaltet sich auch die Gesellschaft. Unser Verstand ist sehr gefragt. Aber ich spüre, dass die Menschen nach mehr suchen: Nach Ganzheitlichkeit. Nach etwas, um ihr spirituelles Bedürfnis zu erfüllen.

Darum gibt es dazu immer mehr Literatur und Seminare. Ich gebe Pendelkurse. Dabei zapfe ich Nervenbahnen an. Natürlich sehen das manche Menschen als Hokuspokus an. Aber schau mal, es kann Dir ja nichts Schlimmes passieren.

Ich verstehe die Skepsis. Wir schauen zu Anfang oft nur mit unserem Verstand. Aber wir haben halt auch Seele und Herz. Für mich genügt es, wenn ich bei den Menschen, die es wollen, eine Öffnung erwirke.

Dieses Interview erschien in der BUZ-Ausgabe Mai/Juni 2020.

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