Hintergründe der „Wir haben es satt“-Demonstration

8. Mai 2020 | Ausgabe 2 / 2020 Lebensmittel, Ökologie | 0 Kommentare

Mercosur-Abkommen stoppen

In Berlin fand am 18.01.2020 zum mittlerweile zehnten Mal die „Wir haben es satt“-Großdemonstration statt, die mit 27.000 Teilnehmern deutlich größer war, als zuerst angemeldet. Die aus ganz Deutschland angereisten Aktivisten, Mitglieder und Sympathisanten der Naturschutz-Vereine, konventionellen und ökologischen Bauern demonstrierten schon seit dem Vormittag gegen die aktuelle Agrarindustrie und für eine zukunftsfähige Landwirtschaft.

Simon Quandt

Die Demonstranten fordern einen fairen Agrarhandel, die Durchsetzung von Bauernrechten und den Schutz von bäuerlichen Betrieben. Dies machten sie sehr deutlich.

Außerdem verlangen sie, dass Deutschland sein Veto gegen das EU-Mercosur-Abkommen einlegt, da das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosurländern nicht nur dem Klima schadet, sondern auch den Konsumenten und der bäuerlichen Landwirtschaft.

„Wir fordern EU-Mercosur-Abkommen stoppen! Denn es ist politisch falsch, erhöht die soziale Ungleichheit beim Einkommen, fördert lange Transportwege und noch mehr Abholzung. Die Länder in Lateinamerika werden weiter auf die Produktion von Primärprodukten reduziert, von Industriegütern aus Europa überschwemmt und zur Unterentwicklung verdammt“, kritisierte Antônio Andrioli.

Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein Abkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Das Ziel ist, eine Freihandelszone zwischen diesen Staaten zu schaffen, bei dem vor allem Zölle wegfallen sollen. Die EU erhofft sich davon, ihre Exporte von Industrieprodukten, vor allem Autos, anzukurbeln. Kritiker, wie die Demonstranten in Berlin, fürchten aber eine massive Zunahme von billigen Agrarprodukten aus den Mercosur-Staaten, wie genmanipuliertes Soja sowie Zucker und Rindfleisch, welche durch die Freihandelszone ohne genauere Kontrolle in die EU gelangen würden. Dadurch würden sie den geltenden EU-Standards nicht entsprechen, aber trotzdem hier auf den Markt kommen. Das sei ein Nachteil für die Verbraucher, wie auch für die Landwirte in der EU, welche sich an diese Standards halten müssen und so nicht die gleichen Preise gewährleisten können.

Die unterschiedlichen Produktionsansätze

Die zu erwartende Folge ist ein Verdrängungswettbewerb auf Kosten der kleinbäuerlichen Betriebe in der EU. Da die EU bereits der zweitgrößte Fleischerzeuger der Welt ist und einen Selbstversorgungsgrad von über 100% hat. Außerdem weisen die Bündnispartner enorme Unterschiede in den Produktionskosten auf. So liegen die Produktionskosten von Rindfleisch in Deutschland bei 5300 $ pro Tonne, während sie zum Beispiel in Brasilien bei 2000 $ pro Tonne liegen.

Während Umweltschützer, wie die „Wir haben es satt“-Demonstranten, auf der ganzen Welt eine deutliche Regulierung und sogar das Verbot von vielen Pflanzenschutzmitteln fordern, setzt Brasilien pro Jahr ungefähr eine Million Tonnen Pestizide ein. Brasilien und die USA sind damit die Länder mit dem größten Pestizid-Einsatz pro Jahr. Allein in Brasilien sind mehr als 500 Pestizide erlaubt, von denen 150 in der EU verboten sind. Seit dem Amtsantritt von Jair Bolsonaro im Januar 2019 wurden im Zeitraum bis zum Juli 2019 über 290 neue Agrochemikalien zugelassen, und die Zulassung weiterer 530 Pflanzenschutzmittel ist geplant.

Nach aktuellen Recherchen und Informationen der „London School of Economics“ bringt das Abkommen außerdem nicht den gewünschten wirtschaftlichen Zuwachs, wie von der EU Kommission erwartet. So schätzen die Experten aus London, dass in der EU das Bruttoinlandsprodukt lediglich um 0,1 Prozent steigt.

So wäre das Hauptargument der EU, die EU würde zum Vorreiter im freien Welthandel werden, vorerst entkräftet. Noch schlimmer, vor allem durch lange Transportwege und die vermehrte Vernichtung des tropischen Regenwaldes, würde das Abkommen in seiner aktuellen Form die Bemühungen um eine Eindämmung des Klimawandels untergraben. Es scheint so, als ob die EU-Kommission die Handelspolitik bisher aus all ihren Klimaanstrengungen herausgenommen hat.

Erschienen in der Ausgabe März/April 2020

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