Biologische Landwirtschaft

8. Mai 2020 | Ökologie, Ausgabe 2 / 2020 Lebensmittel | 0 Kommentare

(K)ein Luxus?

Vermeintlich billige Lebensmittel aus industrieller Landwirtschaft verursachen hohe Folgekosten für die gesamte Gesellschaft. Außerdem ist eine Agrarwende hin zur ökologischen Landwirtschaft sowohl für wirksamen Klimaschutz als auch für die langfristige Ernährung der Weltbevölkerung unverzichtbar.

Dr. Petra Hemptenmacher

Zunächst gilt es, zwei weit verbreitete Missverständnisse auszuräumen:

1. Ökobäuer*innen würden genauso wirtschaften wie ihre Kolleg*innen der konventionellen Landwirtschaft – eben nur ohne Kunstdünger und Pestizide.

2. Mit Ökolandbau könne man keine vernünftigen Erträge erzielen und damit die Weltbevölkerung nicht satt bekommen.

Tatsächlich stellt jedoch die ökologische Landwirtschaft ein grundsätzliches Gegenkonzept zur konventionellen Landwirtschaft dar: Der Ökolandbau verfolgt das Ziel, durch das Lernen und Berücksichtigen von natürlichen Prozessen und Kreisläufen langfristig gute Lebensmittel in ausreichender Menge zu erzeugen. Dagegen hat die konventionelle Landwirtschaft den Ansatz, die Natur zum Beispiel mit Hilfe von Chemikalien zum Zwecke der kurzfristigen, maximalen Ertragssteigerung beherrschen zu wollen.

Die seit vielen Jahrzehnten einseitig und um jeden Preis nur auf Ertragssteigerung ausgerichtete Landwirtschaft hat uns inzwischen durch den ständigen Kunstdünger- und Pestizideintrag so tote, ausgelaugte Ackerböden beschert, dass auf ihnen ohne diese „chemischen Krücken“ gar keine akzeptablen Ernten mehr einzufahren sind. Wie konnte es dazu kommen? Das am häufigsten verwendete Düngemittel, Ammoniumnitrat, ist ein Salz. Salze haben, ebenso wie Pestizide, die Eigenschaft, Bakterien und Kleinstlebewesen zu schädigen beziehungsweise zu töten. (Deshalb legt man ja auch Heringe oder Gurken mit Salz ein, um sie haltbar zu machen.) Die Fruchtbarkeit eines Bodens hängt aber ganz wesentlich von seinem Humus-Gehalt, und damit auch von seinem Gehalt an Kleinstlebewesen, vom Bakterium bis zum Regenwurm, ab. Diese Bodenlebewesen sorgen nämlich für einen lockeren, gut durchlüfteten Boden mit hohem Wasserspeicherungsvermögen. Die Pestizide tun dann noch ein Übriges. Zum Beispiel schädigt das weltweit am häufigsten verwendete Pestizid Glyphosat die Pilzflora der Ackerböden.

Untersuchungen des Institutes für Bodenkultur der Uni Wien ergaben, dass sich die Anzahl von Mykorrhiza-Pilzen an den Wurzeln der Pflanzen nach Glyphosat-Einsatz halbiert. Zum optimalen Wachstum sind viele Pflanzenarten auf die Symbiose mit spezifischen Mykorrhizapilze angewiesen. Die Mykorrhizapilze verfügen über ein im Vergleich zur Pflanze erheblich größeres Vermögen, Mineralstoffe und Wasser aus dem Boden zu lösen. Häufig wird die Wasser-, Stickstoff- und Phosphat-Versorgung der mit solchen Pilzen „infizierten“ Pflanzen verbessert. Weiterhin bietet die Mykorrhizierung einen gewissen Schutz vor Wurzelkrankheiten und oberirdischen Schädlingen, wie beispielsweise Blattläusen oder schädlichen Pilzinfektionen. Zudem erhöht sie auch die Trockenresistenz der Pflanzen, was vor allem an extremen Standorten von Vorteil sein kann.

Das seit 40 Jahren verwendete Glyphosat ist ein gutes Beispiel dafür, welche verheerenden langfristigen Folgen es haben kann, wenn man gegen die Natur statt mit der Natur wirtschaftet. Da die Bodenlebewesen und – pilze überwiegend aus Kohlenstoff (C) bestehen, ist der C-Gehalt eines Bodens ein wichtiger Indikator für seine Fruchtbarkeit.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die angeblich so erfolgreiche konventionelle Landwirtschaft die Ertragssteigerungen mit einem kontinuierlichen Abbau des Humusgehaltes der Böden erkauft. In manchen Gegenden haben unsere mitteleuropäischen Böden inzwischen einen C-Gehalt, der dem von Steppenböden entspricht. Damit ist nun ein Zustand erreicht, in dem die konventionellen Bauern von den „chemischen Krücken“ Kunstdünger und Pestiziden abhängig sind, wie der/die Rauschgiftsüchtige vom Heroin. Das sichert der chemischen Industrie große Absatzmärkte.

Die ökologische Landwirtschaft hat ein ganz anderes Konzept: Die Fruchtbarkeit der Böden soll langfristig erhalten bleiben. Deshalb muss man bei der Umstellung von konventionellem Landbau auf Ökolandbau zunächst den Humus-Aufbau durch Gründüngung, Komposteintrag und ähnliche Maßnahmen fördern. In den ersten Jahren der Umstellung kann ein*e Bio-Bauer*in in der Tat keine üppigen Ernten erwarten, wenn sie/er beginnt, den degenerierten Boden, den die konventionelle Landwirtschaft hinterlassen hat, ökologisch zu bewirtschaften.

Überdies gibt es immer mehr Getreide-, Obst- und Gemüsesorten, die speziell für die ökologische Landwirtschaft gezüchtet werden, damit sie möglichst resistent gegen Krankheiten sind und ohne chemische Krücken auskommen. Wichtige Züchtungsziele sind in der ökologischen Sortenzüchtung der Geschmack und der Nährstoffgehalt, während bei den konventionellen Sorten Eigenschaften wie Aussehen, Haltbarkeit und Transportfähigkeit gefragt sind. Die ökologischen Sorten sind samenfest, das heißt alle Gärtner*innen oder Bäuer*innen können von ihrer eigenen Ernte das Saatgut für die nächste Aussaat zurückbehalten. Sie werden nicht patentiert, weil der Ökolandbau davon ausgeht, dass Saatgut ein Kulturgut und Allgemeingut ist, das als unverzichtbare Lebensgrundlage allen Menschen zur Verfügung stehen sollte.

Wer ernährt die Welt?

Wer also ernährt die Welt? Die Überschüsse aus der Intensivlandwirtschaft der Industriestaaten oder die bäuerlichen Familienlandwirtschaften?

Der Weltagrarbericht des Weltagrarrats von 2008 kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. Demnach stellt die kleinbäuerliche Landwirtschaft genügend Nahrungsmittel zur Verfügung, um die Menschheit (auch zukünftig) zu ernähren. Die Zahlen sprechen hier eine ganz deutliche Sprache: Von den gut 530 Miollionen bäuerlichen Betrieben auf der Erde bewirtschaften mehr als 96 Prozent weniger als zehn Hektar. Das sind insgesamt etwa 21 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche – und auf diesen 21 ProzentAckerflächen werden Lebensmittel für 57 Prozent der Menschen in nicht industrialisierten Ländern erzeugt, und zwar in der Regel ohne Kunstdünger und Pestizide, schon allein deshalb, weil die meisten Kleinbauern dafür gar kein Geld haben. Dennoch zeigen die obigen Zahlen, dass der Ertrag pro Hektar an essbarer Pflanzenmasse in den kleinbäuerlichen Betrieben höher ist als in unserer industrialisierten Landwirtschaft. Wie kann das sein? Das ist aus folgenden Gründen möglich:

  1. Die Kleinbäuer*innen arbeiten auf ihren Feldern mit einem kleinteiligen Anbau von vielen verschiedenen Feldfrüchten. Das reduziert die Anfälligkeit für Schädlingsbefall.
  2. Die Kleinbäuer*innen halten jährliche Fruchtfolgen mit verschiedenen Pflanzen ein. Der Zyklus beträgt fünf bis sieben Jahre, ehe auf einem Stück Land wieder die gleiche Nahrungspflanze angebaut wird. Auch das reduziert die Anfälligkeit für Schädlingsbefall.
  3. Sie führen die Landwirtschaft als Kreislaufwirtschaft, indem pflanzliche Abfälle und der Mist aus der Tierhaltung auf die Felder ausgebracht werden. Deshalb brauchen sie auch keinen Kunstdünger.
  4. Außerdem benutzen die Kleinbäuer*innen samenfeste Sorten, so dass sie kein Saatgut kaufen müssen.

Das bedeutet aber im Umkehrschluss: Die großen Konzerne können an dieser Art von Landwirtschaft nichts verdienen – weder die Chemie-Industrie mit ihrem Kunstdünger und ihren Pestiziden, noch deren Biotechnologie-Töchter mit ihren Gentechnik-Sorten, noch die Saatgut-Firmen wie zum Beispiel Monsanto.In Wahrheit reicht die derzeitige weltweite Produktion im Ackerbau aus, um jeden Menschen durchschnittlich mit 4.000 Kilokalorien pro Tag zu versorgen. (Für einen normalen Erwachsenen, der keine schwere körperliche Arbeit verrichtet, sind 2.500 Kilokalorien/Tag ausreichend.) Mangel entsteht unter anderem durch folgende Missstände, nämlich dass

  • ein großer Teil der Ernten als Viehfutter und/oder zur Energiegewinnung (Treibstoff und „Bio“gas) verwendet wird. In Deutschland gehen nur 40 Prozent der Erträge vom Acker in die menschliche Ernährung
  • in den Industrieländern eine gigantische Lebensmittelverschwendung stattfindet, bei der zirka ein Drittel der Lebensmittel auf dem Müll landet
  • in den Entwicklungsländern wegen fehlender Verarbeitungs- und Kühlmöglichkeiten Teile der Ernte verderben

Wer also heutigen Hunger, Unter- und Mangelernährung dauerhaft beseitigen will, muss genau bei diesen 530 Miollionen kleinbäuerlichen Betrieben ansetzen. Dies war eines der wichtigen Ergebnisse des ersten globalen Agrarberichtes. Folgende Maßnahmen sind nötig:

  1. Forschung und Lehre auf dem Gebiet der ökologischen Landwirtschaft müssen dringend, auch mit öffentlich geförderten Programmen, ausgebaut werden. Dazu gehören: a) die ökologische Züchtung, um neue robuste, samenfeste Sorten der traditionellen Nahrungspflanzen zu bekommen, die an die örtlichen Boden- und Klimaverhältnisse angepasst sind und b) die Schaffung neuer Lehrstühle für Ökolandbau an Universitäten.
  2. Der Ökolandbau muss außerdem in der landwirtschaftlichen Ausbildung viel stärker berücksichtigt werden, zum Beispiel in den Landwirtschaftsschulen.
  3. Überdies sollte die Wertschöpfung in den ländlichen Gebieten erhöht werden, indem zum Beispiel Möglichkeiten geschaffen werden, Agrarprodukte vor Ort zu verarbeiten und haltbar zu machen. Dadurch schafft man Arbeitsplätze im ländlichen Raum und verringert die Nachernteverluste.
Biolandbau und Klimaschutz

Was in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden muss, ist der immense Energieverbrauch und der enorme Ausstoß von Treibhausgasen, den die industrielle Landwirtschaft mit sich bringt: Um den Nährwert von einer Kilokalorie Getreide zu erzeugen werden, in der konventionellen Landwirtschaft zwei Kilokalorien an Energie aufgewandt, und zwar für die Herstellung von Kunstdünger (für ein Kilogramm Kunstdünger benötigt man zwei Liter Erdöl), Pestiziden und Treibstoff für die Landmaschinen.

Wenn das Getreide als Tierfutter verwendet wird, das heißt zu Fleisch „veredelt“ wird, werden je nach Tierart fünf bis zehn Kilokalorien Energie für die Erzeugung einer Kilokalorie Fleisch verbraucht. Außerdem nehmen die Pflanzen nur einen Teil des auf dem Acker ausgebrachten Stickstoffdüngers auf. Der ungenutzte Stickstoffdünger zersetzt sich. Bei seiner Zersetzung entsteht Lachgas, das ein starkes Treibhausgas ist. Es hat die 300-fache Treibhauswirkung von Kohlendioxid. Damit ist die konventionelle Landwirtschaft weltweit ein Hauptverursacher von Treibhausgasen. 30 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen gehen auf das Konto der industriellen Landwirtschaft. Dagegen bindet die ökologische Landwirtschaft große Mengen Kohlendioxid durch Humusaufbau.

Wie lange wird sich die industrielle Landwirtschaft als Wirtschaftsform bei steigenden Energiepreisen und zunehmender Klimaerwärmung noch aufrechterhalten lassen? Wie lange werden wir die hohen Folgekosten einer solchen Wirtschaftsweise, die ja in der Regel von der Allgemeinheit getragen werden müssen, noch ausblenden können (zum beispiel Trinkwasserreinigung siehe unten)?

Was also ist der „Luxus?“

Ist es Luxus, gesunde, schmackhafte Nahrungsmittel im Biolandbau zu erzeugen, die nur deswegen teurer als konventionelle Produkte verkauft werden müssen, weil die konventionelle Landwirtschaft ihre Folgekosten auf die Allgemeinheit abwälzt? Hier nur ein Beispiel: In Deutschland müssen jährlich acht Milliarden Euro aufgewendet werden (das sind 100 Euro pro Kopf im Jahr), um allein die Nitratbelastung des Wassers, die hauptsächlich von der konventionellen Landwirtschaft verursacht wird, zu reduzieren. Diese Kosten zahlen die Verbraucher*innen dann zum Beispiel über ihre Wasserrechnung.

Die Liste der Folgekosten der konventionellen Landwirtschaft, die wir alle mittragen müssen, ließe sich noch lange fortsetzen – alles nur, um „billig“ produzierte Nahrungsmittel einkaufen zu können. Das ist – auch ökonomisch gesehen – ein klassischer Fall von Milchmädchenrechnung! Ist es nicht im Gegenteil der Luxus unserer Gesellschaft, auf Kosten der Natur, der Umwelt und der langfristigen Bodenfruchtbarkeit ein paar Jahrzehnte lang Lebensmittel extrem „billig“ herzustellen, so dass wir im Durchschnitt weniger als 10 Prozent unseres Einkommens für unsere Ernährung aufwenden müssen? (Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes nennen 9,5 Prozent des Durchschnitts-Einkommens der dt. Haushalte als Aufwendungen für Nahrungsmittel!) Echten Luxus leistet man sich dann mit dem bei den Nahrungsmitteln eingesparten Geld: Flugreisen in aller Herren Länder (was scheren uns Klimaerwärmung und Treibhauseffekt), überdimensionierte Geländewagen als Pkw, das fünfte Handy oder sonst irgendetwas, was nicht so lebenswichtig wie unsere Nahrung ist.

Der „billige“ Preis von Nahrungsmitteln hat noch eine andere schlimme Folge: Weil die Lebensmittel so „billig“ sind, ist auch die Wertschätzung dafür gering. Daher leistet sich unsere Gesellschaft den Luxus, von diesen „billigen“ Lebensmitteln noch mindestens 30 Prozent auf den Müll zu werfen – Lebensmittel, die wir als Kunde*innen ja letztendlich bezahlt haben. Ich empfinde eine solche Lebensmittelverschwendung als schamlosen Luxus! Je eher wir unsere Landwirtschaft auf Ökolandbau umstellen, umso besser für uns, volkswirtschaftlich und ökologisch! Das sagt auch der Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung. Er fordert als erstes Etappenziel 20 Prozent Ökolandbau bis 2020. Derzeit werden in Deutschland nur 6,5 Prozent der Ackerflächen ökologisch bewirtschaftet.

Erschienen in der Ausgabe März/April 2020

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