Aus für belgische Uraltmeiler und Lingener Atomfabrik?

11. September 2020 | Energie | 0 Kommentare

Historische Klage gegen Export

Eine Kernschmelze in einem belgischen Reaktor hätte für große Gebiete in Deutschland verheerende Folgen, besonders in NRW. Dass ausgerechnet der Export deutscher Brennelemente den Weiterbetrieb zweier belgischer Meiler ermöglicht, empört viele Menschen schon seit Jahren. Da die Politik und zuständige Behörden trotz aller Proteste nicht eingreifen, nimmt ein Anti-Atom-Bündnis nun selbst in die Hand, einen Exportstopp für Brennelemente von Lingen nach Doel per Gericht zu erzwingen.

Anika Limbach

Wenn nächsten Februar der uralte belgische Atommeiler Doel 2 in Revision geht, werden ihm die bestellten Brennelemente aus der Lingener Atomfabrik fehlen. Der geplante Brennelement-Wechsel wird nicht stattfinden und der Reaktor nicht weiter betrieben werden können. Drei Monate später wird das gleiche mit dem Zwillingsmeiler Doel 1 passieren.

Grund dafür ist eine Klage, die ein Atomkraftgegner aus Aachen am 11. August gegen die Ausfuhrgenehmigung für eben jene Brennelemente eingereicht hat. Er handelte dabei stellvertretend für ein Klagebündnis, dem auch AntiAtomBonn angehört.

Bis Anfang 2019 wäre eine solche Klage gar nicht möglich gewesen, da Ausfuhrgenehmigungen unter Verschluss gehalten und erst im Nachhinein, nach erfolgtem Export, veröffentlicht wurden. Doch die Forderung von Atomkraftgegner*innen nach mehr Transparenz zeigte Wirkung – das Bundesumweltministerium stellte die Genehmigungsliste schließlich online; seitdem wird sie regelmäßig aktualisiert. Auf die im März erteilte Ausfuhrgenehmigung von Lingen nach Doel konnte das Anti-Atom-Bündnis fristgerecht mit dem ersten juristischen Schritt, einem Widerspruch, reagieren. Nach dessen Ablehnung erfolgte nun die Klage. Sie hat aufschiebende Wirkung und eine weit über diesen Fall hinausgehende Bedeutung.

Erstmalig wird sich ein Gericht mit der Frage befassen müssen, ob das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) Brennstoff-Exporte an grenznahe Atomkraftwerke überhaupt genehmigen darf, ohne vorher deren Sicherheit überprüft zu haben.

Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm, die die Klage vertritt, hat darauf eine klare Antwort. Wie sie bereits 2016 in einem IPPNW-Gutachten aufzeigte, darf laut Atomgesetz die Verwendung von deutschen „Kernbrennstoffen“ im Ausland nicht dazu beitragen, dass die Bevölkerung in Deutschland einem – nach „objektiven Kriterien“ – unzumutbaren Risiko ausgesetzt wird. Der Brennstoff-Export muss in solchen Fällen unterbunden werden.

Doch welches Risiko ist im Bereich der Atomkraft überhaupt zumutbar? Schlimm genug, dass man uns etwas zumutet, was man beschönigend als „Restrisiko“ bezeichnet. Noch schlimmer, dass die mit Doel 1 und 2 verbundene Gefahr nach allen heutigen Kriterien weit darüber hinaus geht.

Tatsächlich entspricht die Sicherheit der beiden über 45 Jahre alten Meiler weder internationalen, noch europäischen oder deutschen Standards – nicht mal annähernd.

Die Mängel zeigen sich in bedenklichen Störfallen wie im Sommer 2018, als in Doel 1 etwa 6000 Liter Wasser aus dem Primärkreislauf entwichen. Wie das Leck nahe des Reaktordruckbehälters entstehen konnte, ist bis heute unklar. Viele Sicherheitslücken sind auch systembedingt. Doel 1 und 2 gehören zu der Generation von Reaktoren, deren Sicherheitskonzept noch vor den Katastrophen von Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima entstand. Unfallszenarien, die sich später als realistisch herausstellten, sind darin gar nicht einbezogen. Wie Nuklearexperte Prof. Manfred Mertins erläutert, sind die beiden Blöcke funktional nicht voneinander entkoppelt, genauso wenig wie ihre Sicherheitsstränge, von denen es nur zwei gibt – statt drei, wie heute vorgeschrieben. Die Meiler sind nicht ausreichend vor extremen Fluten, Erdbeben oder Flugzeugabstürzen geschützt, Fundament und Containment sind nicht robust genug, um im Falle einer Kernschmelze radioaktives Inventar zurückzuhalten und die nicht austauschbaren Komponenten, allen voran der Reaktordruckbehälter, verspröden immer schneller aufgrund ihres Alters. Die Materialermüdung ist deshalb so gefährlich, weil sie schleichend vor sich geht und oft nur schwer zu ermitteln ist.

Diese Mängel durch Nachrüstungen zu beheben, ist praktisch unmöglich oder viel zu aufwändig.

Fast alle Reaktoren, die belgischen eingeschlossen, sind für eine Betriebszeit von höchstens 40 Jahren ausgelegt, länger dürften sie gar nicht laufen. Nach internationalen Standards wären Ausnahmen nur zulässig, wenn nachgewiesen werden kann, dass ihr Zustand dem heutigen Sicherheitsniveau entspricht. Auch für Doel 1 und 2 war ursprünglich vorgesehen, sie nach 40 Jahren Betrieb vom Netz zu nehmen. Doch dann beschloss das belgische Parlament 2015 eine Verlängerung ihrer Laufzeit um zehn Jahre. Nach Europäischem Recht hätte dafür eine aufwändige Prüfung unter Einbeziehung der Nachbarstaaten – eine grenzübergreifende Umweltverträglichkeitsprüfung – erfolgen müssen, was aber nicht geschah. Aus diesem Grund erklärte der Europäische Gerichtshof und anschließend das oberste belgische Gericht den Betrieb der beiden Meiler für grundsätzlich illegal; er wird bis Ende 2022 nur noch geduldet.

Es gibt also genügend Gründe für ein Gericht, den maroden Meilern Brennelemente aus Deutschland zu verweigern.

Interessanterweise scheint man im Bundesumweltministerium eine Klärung vor Gericht zu begrüßen. Svenja Schulze hätte es in der Hand, die Brennelement-Exporte nach Doel zu stoppen – wie auch die nach Cattenom in Frankreich und Leibstadt in der Schweiz. Sie ist in diesen Fällen weisungsbefugt gegenüber dem BAFA. Dafür allerdings bräuchte sie den Mut, sich gegen die Genehmigungspraxis des BAFA und das politisch einflussreiche Wirtschaftsministerium zu stemmen.

Was politisch seit Jahren nicht durchsetzbar erscheint, könnte durch den Gerichtsprozess tatsächlich in Gang kommen: Eine baldige Schließung der Brennelementefabrik in Lingen. Denn egal wie das Urteil ausfällt – das lange Verfahren bis zur dritten Instanz wird Kunden von Framatome, dem Betreiber in Lingen, verunsichern. Die Auslastung der Fabrik ist dieses Jahr auf einen Tiefstand von ca. 25 Prozent gesunken, ein Trend, der sich mit dem „Atomausstieg“ fortsetzen wird. Der Prozess könnte der letzte Sargnagel für die Atomfabrik sein.

Sie können die Klage durch eine Spende finanziell unterstützen bei AntiAtomBonn , IBAN: DE34430609674038265600, Stichwort „BEStopp für Doel“

Erschienen in der BUZ Ausgabe 5_20

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