Verantwortung

1. Juli 2018 | Gesellschaft | 0 Kommentare

Betrifft mich das?

Eine philosophische Erläuterung des Begriffes der Verantwortung

Warum lesen Sie diesen Artikel und warum interessieren Sie sich für den Schutz der Umwelt? Weil Sie Verantwortung übernehmen wollen. In welchem Maße das möglich beziehungsweise notwendig ist und welche positiven Auswirkungen das auf Ihr Leben hat, soll in diesem Artikel geklärt werden.
Von Verantwortung ist heutzutage häufig die Rede, doch die Menschen sind sich nicht einig, wofür man Verantwortung tragen muss. Für sich selbst? Für andere? Für seine Handlungen? Für jede der Folgen? Dieser Artikel wird sich auf die Verantwortung für sein eigenes Handeln und dessen Konsequenzen konzentrieren. Außerdem stellt sich die Frage, wer Verantwortung trägt: Politiker und Lehrer? Eltern und Chefs? Oder jeder Einzelne? Muss man überhaupt Verantwortung tragen oder kann man die Schuld immer auf andere Instanzen abwälzen?

Was ist Handeln?

Zur Klärung dieser Fragen muss definiert werden, was Handeln ist. Zum Beispiel bei Wikipedia: „Handeln bezeichnet jede menschliche, von Motiven geleitete zielgerichtete Tätigkeit, sei es ein Tun oder ein Unterlassen.“ Das tägliche Essen ist also ein Handeln, ebenso das bewusste Nicht-Essen.

Wenn wir für jedes (Nicht-) Handeln und alle seine Folgen verantwortlich sind, scheint die Verantwortung grenzenlos und überfordernd. Aus der griechischen Mythologie kennen wir Atlas, der die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern tragen muss. Im übertragenen Sinne könnte dieses Bild bedeuten, dass jeder Mensch für die ganze Welt verantwortlich ist und kann deshalb für jede mögliche Konsequenz seiner Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden. Autofahren zum Beispiel hat einen negativen Effekt auf die Erde durch den Ausstoß von Abgasen, die die Ozonschicht angreifen. Deshalb ist man, indem man Auto fährt, verantwortlich für die Vergrößerung des Ozonlochs. Aber auch das Unterlassen von Protesten gegen die Umweltverschmutzung durch Autos hat einen Effekt auf die Welt, sodass man auch dann, durch ein Nicht-Handeln, Verantwortung für das Ozonloch trägt. Atlas trägt die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern.

Tragen auch alle Menschen die Last der Verantwortung für die Welt?

Man kann das Bild des Atlas noch weiter treiben und sagen, dass man aufgrund des Autofahrens und des Nicht-Protestierens für Hautkrebs verantwortlich ist, da das vergrößerte Ozonloch für stärkere Sonneneinstrahlung sorgt, die die Haut der Menschen verbrennt und bei ihnen Krebs auslöst. Hier spricht man von dem Schmetterlingseffekt, der durch Kausalketten entsteht. Jede Handlung und jede Handlungsunterlassung hat Konsequenzen, manche von ihnen sind absehbar, viele dagegen nicht. Durch die Entwicklung der Technik gibt es immer mehr unvorhersehbare Spätfolgen. Es war zum Beispiel anfangs nicht klar, dass Autoabgase schädlich sind für die Umwelt. Kann der Erfinder des Autos für die Umweltverschmutzung, die er nicht vorausgesehen hat, verantwortlich gemacht werden?

Wenn die meisten Konsequenzen der Handlungen sowieso nicht absehbar sind und wir gar nicht die Möglichkeit haben uns richtig zu entscheiden, liegt vielleicht die Verantwortung in der Gesinnung?
Ob wir Verantwortung für unser Handeln tragen müssen, entscheidet sich demnach anhand der inneren Einstellung gegenüber der Handlung. Eine reine Gesinnung bedeutet: Ich will das Richtige tun und handle so, weil ich davon überzeugt bin.

Ist man nicht verantwortlich, wenn man es gut gemeint hat?

Solange man es gut gemeint hat, trägt man keine Verantwortung für negative Konsequenzen der Handlung. Oder? Hier stößt man auf ein Problem, denn Handlungen aus guter Gesinnung können auch negative Folgen haben. So könnte man, ohne alle möglichen negativen Konsequenzen abzuwägen, den Rasen der Nachbarin düngen, damit er gut aussieht, ohne zu beachten, dass sie oft ihre Enkelkinder zu Besuch hat. Eins der Kinder könnte versuchen, die lustigen Kügelchen vom Boden zu essen und sich vergiften. Diese Konsequenz wäre absehbar gewesen, doch weil man guten Willens war und der Nachbarin einen schönen Anblick bieten wollte, trüge man keine Verantwortung für die Vergiftung des Kindes.

Muss man für die voraussehbaren Folgen seines Handelns aufkommen?

Kommen wir von der schwer wiegenden Welt auf Atlas´ Schultern und den unkontrollierbaren Kausalketten, die grenzenlose Verantwortung bedeuten, zu dem anderen Extrem, dass bei guter Gesinnung gar keine Verantwortung für negative Folgen des Handelns besteht. Aber die Konsequenzen der Handlungen können nicht vollkommen ignoriert werden, nur weil die Gesinnung gut war. Verantwortungsethik bedeutet laut Max Weber, dass man für die voraussehbaren Folgen seines Handelns aufzukommen hat. Die absehbaren Folgen werden also meinem Tun zugerechnet, und ich muss Verantwortung übernehmen für alle Konsequenzen, mit denen ich im Vorhinein rechnen konnte. Deshalb werden die voraussichtlichen Folgen meines Handelns zum Kriterium meiner Handlungen.

Die Konzentration auf die Folgen ist allerdings kein Grund, die gute Gesinnung zu vernachlässigen. Sie bleibt bedeutend für den Grad an Verantwortung, denn wenn aus schlechter Gesinnung gehandelt wird, sind die negativen Konsequenzen schon absehbar. Wenn zum Beispiel ein Mann ein Loch in ein Boot schlägt, kann er davon ausgehen, dass es sinken wird. Er weiß allerdings nicht unbedingt, wer darin sitzen wird. Wenn er dagegen das Boot lackiert, um es vor dem Verfall zu schützen, könnte er aus Unwissenheit zu viel von dem Lack einatmen und gesundheitliche Schäden davon tragen. Bei guter wie schlechter Gesinnung gibt es unabsehbare Konsequenzen, aber bei Handlungen mit schlechter Gesinnung geht man bewusst das Risiko von negativen Konsequenzen ein.

Muss ich vor jeder Handlung alle möglichen Konsequenzen abwägen?

Die Kombination von guter Gesinnung und der Beachtung von möglichen Konsequenzen machen eine Handlungsentscheidung verantwortungsbewusst. Denn so wird die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Verantwortung für negative Konsequenzen übernommen werden muss. Der strenge Konsequentialismus von Atlas und den Kausalketten wird durch die Beschränkung auf absehbare Folgen zur etwas lockereren Verantwortungsethik. Wenn diese durch eine gute Gesinnung des Handelnden ergänzt wird, bildet das einen guten Maßstab für die Frage nach der Verantwortung. Wer also mit guter Gesinnung alle absehbaren Folgen bedenkend gehandelt hat, der hat sich nichts zu Schulden kommen lassen und muss sich für nichts rechtfertigen.

Auswirkungen für den Handelnden

Zurück zur Einleitung: Muss man überhaupt Verantwortung tragen oder kann man die Schuld immer auf andere Instanzen abwälzen? Wenn man nicht aus eigenem Antrieb handelt, sondern nur tut, was einem zum Beispiel von Gesetzen oder Beratern vorgegeben wird, kann man für die Entscheidung nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die Schuld liegt dann bei jemand anderem und der Handelnde ist fein raus. Aber der Handelnde muss dafür auf die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, verzichten. Die Fähigkeit allerdings ist da – wir müssen uns nicht von Schuldabnehmern abhängig machen. Es ist also eine Wahl zwischen Verantwortung und Unfreiheit. Überlässt man anderen die Macht über die eigenen Handlungen zu entscheiden und wird so zu einem Menschen, den niemand mehr als eigenständige Person ernst nimmt? Oder traut man sich seine eigenen Entscheidungen zu fällen und dafür gerade zu stehen?

Das Problem der Verantwortung entstand durch eine falsche Fragestellung: Es ist nicht die Frage, für was oder vor wem man sich verantworten muss, stattdessen stellt sich die Frage, ob jede einzelne Handlung und deren absehbare Folgen verantwortbar sind. Das heißt, dass man jede seiner Handlungen rechtfertigen können muss. Verantwortung ist also nicht auf bestimmte Situationen oder Positionen beschränkt, sondern ist Teil einer jeden Handlung. Verantwortung muss nicht aktiv „übernommen“ werden, weil Verantwortung in jeder einzelnen Handlung steckt. Gerade in unserer modernen Welt muss jeder Verantwortung für seine eigenen Handlungen tragen und sich bemühen, alle möglichen negativen Folgen abzuwägen, weil die Technik für viele unvorhersehbare Folgen für uns und unsere Umwelt sorgt.

Verantwortung als Möglichkeit

Verantwortung ist keine Belastung, sondern eine Möglichkeit, da wir nur so selbstbestimmt bleiben. Mit jeder Handlung stößt man eine Kausalkette und damit Folgen an, die man nicht mehr kontrollieren kann. Für diese unvorhersehbare Entwicklung meiner Handlung kann ich nicht verantwortlich gemacht werden, aber deshalb muss ich meine Entscheidungen umso vorsichtiger fällen. Wir haben Kontrolle über unsere eigene Handlung und tragen Verantwortung für diese. Wenn wir nach Vorstellen der schlimmsten möglichen Folgen bedacht handeln und das Gute wollen, können wir unsere Handlungen rechtfertigen. Wer allerdings nicht alle möglichen Folgen abwägt, der ist verantwortlich für die Folgen seiner Handlung, die voraussehbar waren.

Der Erfinder des Autos kann also nicht für die Umweltverschmutzung verantwortlich gemacht werden, weil er die Ausmaße nicht voraussehen konnte. Aber jeder Autofahrer kennt heutzutage die Konsequenzen seines Beitrags zur Umweltverschmutzung und kann verantwortungsbewusst handeln, indem er öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder für kurze Strecken das Fahrrad nimmt. Wir Handelnden müssen folglich für unseren gut informierten, vorsichtigen Entscheidungsprozess und den Willen, das Richtige zu tun, geradestehen, nicht aber für unvorhersehbare Folgen unserer Handlungen.

In Bezug auf die eigene Entscheidungsfreiheit ist das Rechtfertigen der Handlung sogar ein Privileg: Wir Menschen dürfen für unser Handeln Verantwortung übernehmen. Der Perspektivwechsel nimmt dem Wort Verantwortung die belastende Übermacht und betont die Möglichkeit und Chance der Selbstbestimmung.

Antonia Kempkens

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