Interview mit dem Mercator Institute for China Studies (MERICS)

6. März 2023 | Ausgabe 2 / 2023, Interview | 0 Kommentare

China versus EU im Klimaschutz?

BUZ Team/Barbara Pongratz


Barbara Pongratz beschäftigt sich bei MERICS mit den deutsch-chinesischen Beziehungen, Chinas Umweltpolitik sowie digitaler Governance. In diesem Interview beantwortet sie Fragen zu Chinas Rolle im internationlen Umweltschutz. Sie beschreibt wie das Land mit dem Thema umgeht und geht auch auf die Abhängigkeiten Europas von China ein.

 

Hat ein achtsamer Umgang mit Natur und Umwelt in der Tradition des chinesischen Denkens mit den Prinzipien Konfuzius‘ seinen Platz? Was ergibt sich hieraus für das Umweltbewusstsein im heutigen China?
Nach den Prinzipen des Konfuzianismus und auch nach anderen chinesischen philosophischen bzw. religiösen Prägungen ist ein schonender Umgang mit der Umwelt und der Natur traditionell erstrebenswert. Die politisch vorgegebene Richtung hinsichtlich des Umweltschutzes und die rasante technologische und wirtschaftliche Entwicklung beeinflussten seit der Gründung der Volksrepublik China 1949 bis heute das Umweltbewusstsein in China vielmehr als die Prinzipien des Konfuzianismus.
Nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 brach die kommunistische Regierung unter Mao Zedong mit den traditionellen Grundsätzen des respektvollen Umgangs mit der Umwelt: Nach dem Vorbild der Sowjetunion prägte die Regierung das Naturverständnis der Menschen durch Massenkampagnen, einen Kampf gegen die Natur zu führen und sie zum eigenen Nutzen auszubeuten, was zu einer enormen Umweltzerstörung in jener Zeit führte. So verlor die Volksrepublik in den 1980ern z.B. ein Drittel seines Waldes.
Nach Maos Tod im Jahr 1976 und der darauffolgenden Reform und Öffnungspolitik fand erneut ein Umdenken statt. Der Zustand der Umwelt in China befand sich in der Zeit in einem desaströsen Zustand, was die Regierung als Problem erkannte. Sie schuf Strukturen einer staatlichen Umweltpolitik, sodass Umweltschutz zur nationalen Politik wurde. Der Begriff „Umweltökologie“ („shengtai huanjing“) fand bereits Anfang der 80er Eingang in die chinesische Verfassung. Aufgrund fehlender Anreize, die den Zielen der wirtschaftlichen Entwicklung Vorrang vor dem Umweltschutz in China einräumten, erwies sich die Umsetzung der nationalen Umweltschutzziele auf lokaler Ebene jedoch jahrzehntelang als schwierig. Im Rahmen eines komplexen politischen Systems mit zahlreichen konkurrierenden Prioritäten ist es zu der Zeit nicht gelungen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Umweltschutzes von der Zentralregierung auf die lokale Regierungsebene und damit auf die Gesellschaft zu übertragen.
Im letzten Jahrzehnt hat die Zentralregierung Maßnahmen ergriffen, die die Anreizsysteme grundlegend veränderten. Dies führt derzeit auch auf lokaler Ebene zu einem Umdenken: Beijing entfernt sich davon rein quantitative wirtschaftliche Entwicklungsziele zu erreichen und strebt stattdessen eine qualitativ hochwertigere und nachhaltigere Entwicklung der Wirtschaft und der Industriezweige an. Dieser erneute Druck auf politischer Ebene, den Umweltschutz ernst zu nehmen, der wiederum von massiven staatlichen Kampagnen begleitet wird, wirkt sich auch auf das Umweltbewusstsein in China aus. Das zeigt, dass die Zentralregierung mit ihrer Richtungsgebung und Einstellung zum Umweltschutz – ähnlich wie in den 1980ern – einen starken Einfluss auf das Umweltbewusstsein im damaligen sowie im heutigen China hat.

Wie ist aus Ihrer Sicht der geplante und tatsächliche Beitrag Chinas zur Erreichung des 1.5-Grad Klimaziels zu bewerten?
Was Planung und tatsächliche Erreichung von Klima-Zielen in China angeht, hat das Land eine recht positive Erfolgsbilanz. Laut Berechnungen des Climate Action Trackers sind Chinas derzeit auf internationaler Ebene verkündete Klima-Ziele und Pläne jedoch auf einem desaströsen 3-Grad Erderwärmungs-Pfad, d.h. Chinas geplanter Beitrag ist in dieser Hinsicht nicht ausreichend. Zum Verständnis des Kontextes ist es hilfreich, sich Chinas Beitrag zur globalen Dekarbonisierung aus Chinas Sicht und im internationalen Vergleich anzuschauen.

Aus Chinas Perspektive: China hat sich seit den 1980er Jahren wirtschaftlich schnell entwickelt und seine CO2-Emissionen sind entsprechend stark angestiegen, so dass China heute mit der alleinigen Erzeugung von fast einem Drittel globaler CO2-Emissionen der größte CO2-Emittent der Welt ist. Seine Emissionen steigen weiter an. Denn China hat ein Energiesystem, das auf fossilen Brennstoffen basiert. Parallel erweitert es seine Fähigkeiten der erneuerbaren Energien. Daher ist das Bild ambivalent: Es ist derzeit das Land, das weltweit am meisten in fossile Brennstoffe investiert, gleichzeitig aber auch am meisten in den Aufbau erneuerbarer Energiekapazitäten. China ist auf dem Weg zu einem grüneren Energiesystem und will die Führung im Bereich grüner Technologien erreichen, aber es braucht noch Zeit.

Der Klimaschutz steht oben auf Chinas Agenda, allerdings in starker Konkurrenz zu anderen politischen Prioritäten. Neben dem Klimaschutz sind Wirtschaftswachstum, soziale Entwicklung und politische Stabilität weitere wichtige Themen. China könnte dem Klimaschutz eine noch höhere Priorität einräumen und damit einen noch größeren Beitrag zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels leisten. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch aufgrund der Konkurrenz der genannten politischen Prioritäten gering.

Internationaler Vergleich: Obwohl China derzeit der größte CO2-Verursacher ist, haben die USA und die EU in der Vergangenheit insgesamt mehr CO2-Ausstoß bewirkt. China betrachtet sich selbst als „Entwicklungsland“ in der globalen Klimadiplomatie und ermahnt andere große CO2-Verursacher bei internationalen Verhandlungen, selbst mehr zu tun, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Seit Präsident Xi Jinping auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2020 verkündet hat, dass China bis 2060 CO2-neutral werden und seinen „Carbon Peak“ bis 2030 erreichen will, ist klar, dass sich China auch international für Klimaziele einsetzt und einen konkreten Beitrag leisten will. Im Vergleich dazu haben die EU und die USA angekündigt, bis 2050 klimaneutral zu werden, und haben ihren „Carbon Peak“ bereits 1990 (EU) und 2007 (USA) erreicht. China will innerhalb von 30 Jahren CO2-neutral werden, während die anderen Hauptemittenten 50-60 Jahre brauchen, die sich in einem ganz anderen Entwicklungsstadium befinden. Chinas Beitrag ist also bereits ehrgeizig, aber es könnte und muss seinen Beitrag mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel noch nach oben schrauben. Die große Frage bleibt: bei welchem CO2-Gehalt wird China seinen „Carbon Peak“ erreichen? Das wird im Kampf gegen den globalen Klimawandel und bei der Frage, ab welchem Grad wir die globale Erwärmung stoppen können, von entscheidender Bedeutung sein.

Wie sehen Sie Europas Abhängigkeit von China insbesondere bei Grünen Technologien und wie könnte Europa seine Bezugsquellen in diesem Bereich sinnvoll diversifizieren?
Europas Lieferketten-Abhängigkeit von China liegt vor allem in der Photovoltaik- und der Wind-Branche, von deren Verfügbarkeit das Tempo unserer grünen Transformation abhängt. Diese Abhängigkeit ist äußerst kritisch zu sehen. Es sind vor allem die Lieferketten der Vorprodukte, bei denen China seine Größenvorteile und günstige Energie- und Arbeitskosten zu seinem wirtschaftlichen und geopolitischen Vorteil nutzt.

In der Photovoltaik-Industrie beispielsweise entfallen auf China etwa 80 Prozent der weltweiten Produktion von Polysilizium – einem Schlüsselmaterial für die Herstellung von Solarzellen auf Siliziumbasis – und 97 Prozent der Wafer-Produktion – Wafer sind die dünnen Scheiben auf Solarpanels. Auch etwa 80 Prozent der Komponenten für Windkraftanlagen werden in China hergestellt. Das Material
Neodym, ein Metall der Seltenen Erden, das zur Herstellung von Permanentmagneten für Windkraftanlagen und Elektrofahrzeuge verwendet wird, wird überwiegend in China verarbeitet.
China hat sich in diesem Bereich also eine zentrale Rolle in der Lieferkette aufgebaut und schreckt nicht davor zurück, diese Rolle als Instrument zur Durchsetzung seiner Interessen in politischen Konflikten zu nutzen. Kürzlich hat China als Antwort auf die US-amerikanischen Halbleiter-Exporteinschränkungen selbiges für Technologien zur Produktion von Photovoltaikanlagen angekündigt, was bei umfangreicher Anwendung für den Aufbau der US-amerikanischen und möglicherweise europäischen Solarindustrie einen Rückschlag bedeuten könnte.

Mögliche Alternativen zur Diversifizierung sind kurzfristig schnelle Anbahnungen von neuen globalen Partnerschaften – v. a. im
Globalen Süden – zur Lieferung und Verarbeitung von Rohstoffen und Seltenen Erden für die grüne Transformation – wie es z. B. deutsche Regierungsvertreter*innen in den vergangenen Wochen bereits angestoßen haben. Daraufhin sollten mittel- und langfristig auch mehr Aufmerksamkeit auf deutsche und europäische Investitionen in die Produktionskapazitäten von Rohstoffen für erneuerbare Energien gesteckt werden. Investitionen in aufstrebende Volkswirtschaften sind der Schlüssel zum Aufbau widerstandsfähiger Lieferketten. Investitions-Partnerschaften würden es Schwellenländern auch längerfristig ermöglichen, eine größere Rolle in der grünen Industrie zu spielen.

Die „Neue chinesische Seidenstraße“ strebt interkontinentale Handels- und Infrastrukturnetze an. Wie werden bei diesen Infrastrukturprojekten Umweltstandards beachtet?
Die Neue chinesische Seidenstraße, oder Belt and Road Initiative (BRI), gibt es seit 2013. Bei der Eröffnungszeremonie des Belt and Road Forums 2017 kündigte Präsident Xi Jinping an, dass die BRI „grüner“ werden sollte und sich im Einklang mit den Zielen der Vereinten Nationen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung weiterentwickeln sollte.
Seitdem und auch schon davor haben sich multinationale Bankenkoalitionen gebildet, die Finanzierungen für „grüne“ BRI-Projekte bereitstellen und gemeinsame Studien und Sitzungen durchführen, um dem Ziel näher zu kommen.
Die Ankündigung des Präsidenten Xi bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2021, keine Investitionen in Kohlekraftwerke im Ausland mehr zu tätigen, war mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Trotz der Ankündigung wurde jedoch der Bau von neuen Kohlekraftwerken in Indonesien angekündigt. Was die BRI-Investitionen im Energiesektor anbelangt, so machten diese jüngsten Daten zufolge im vergangenen Jahr etwa 35 Prozent der BRI-Investitionen aus, von denen wiederum mehr als 60 Prozent in fossile Energieprojekte wie Gaspipelines flossen.
Obwohl China Mittel für eine nachhaltigere Entwicklung der BRI bereitstellte und zahlreiche Anstrengungen unternahm, die BRI grüner zu gestalten, hinkt die konkrete Umsetzung noch hinterher. Betrachtet man die Gesamtheit aktueller BRI-Projekte, so wird deutlich, dass die weniger nachhaltigen BRI-Projekte immer noch überwiegen.

 

Es folgt eine ANZEIGE unseres Unterstützers Bergfeld’s

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Beitrag teilen

Verbreite diesen Beitrag!