Welch ein Missverhältnis: Wenn Ende 2022 alle verbliebenen Atommmeiler abgeschaltet werden, steht in Deutschland einer ca. 60 jährigen Produktion von Strom aus Kernkraftwerken eine Periode von einer Million weiterer Jahre in Begleitung des strahlenden Restmülls gegenüber. Schwer vorstellbar, was erdgeschichtlich in dieser Zeit passiert. Wie und mit welchen Instrumenten die Folgen dieses anmaßenden Eingriffs in die Zukunft angegangen werden sollen, will die BUZ in einer Serie detaillierter erläutern. Der Stoff wird uns dabei vermutlich sobald nicht ausgehen.
Susanna Allmis-Hiergeist
Eines vorweg: Ich bin dafür, die Entsorgung des atomaren Mülls in staatliche Hände zu geben. Diese Aufgabe zerfallsbedrohten Strukturen der heutigen Energieversorgungsunternehmen mit ihren möglicherweise kalkulierten Insolvenzen anzuvertrauen, wäre unverantwortlich und dauerhaftere Organisationsformen sind unbedingt vorzuziehen.
Geht man nicht eine Million Jahre in die Zukunft, für die ja jetzt geplant werden soll, sondern stattdessen eine Milliom Jahre zurück, landet man in der Altsteinzeit beim Homo Erectus, einem Vorfahren des Neandertalers und des Homo Sapiens, der immerhin schon mit Steingeräten wie z. B. Faustkeilen arbeitete. Die Evolution wird vermutlich auch in der nächsten Million Jahre nicht einfach ein gemütliches Päuschen einlegen, sodass bei der Entsorgungsplanung ein Zeitraum abgedeckt werden muss, der weder die Veränderungen des Menschen und des Lebens allgemein, noch die der Technik halbwegs überblickt. Die in den letzten Jahren präsentierten Kommissionsergebnisse, Gesetze und Verträge erscheinen vor diesem Hintergrund bei all dem auch ersthaft hinein gesteckten Schweiß als bravmühsame Manöver, in deren Windschatten die Atomkraftwerksbetreiber geschickt ihre Interessen sichern konnten.
Wir wollen das in einer Serie konkreter beleuchten. Anika Limbach (AntiAtomBonn) hatte in der BUZ Juli/August 2016 schon einen Anfang gemacht, indem sie ihre Einschätzung zu den Empfehlungen einer Regierungskommission zur Finanzierung des Kernenergieausstiegs dargelegt hat. „Verantwortung und Sicherheit – Ein Entsorgungskonsens“ hieß das Papier. Anikas Fazit: Die EVUs sind zu billig weggekommen, alle Risiken liegen beim Steuerzahler.
Um die Ergebnisse der Kommission gesetzlich abzusichern, wurde im Januar 2017 ein Entsorgungsübergangsgesetz als sogenanntes Artikelgesetz verabschiedet. Dabei handelt es sich um eine Rahmengesetzgebung, die die betreffende Thematik in einer ganzen Reihe von Fachgesetzen ändert. Übergang ist hier im Sinne von Verantwortungsübergang gemeint, nämlich für die Entsorgung der Brennelemente im Endlager, aber auch für die Zwischenlagerung an den Standorten der heutigen Atomkraftwerke. Der Trick: die AKW-Betreiber zahlen eine (allgemein als viel zu niedrig eingeschätzte) Summe in einen „Fond zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ und sind schon ab der ersten überwiesenen Rate von allen Lasten außer der fachgerechten Verpackung des strahlenden Mülls entbunden. Verzögert sich beispielsweise der kostspielige Bau des Endlagers, hat der Bund auch die Sanierung der Zwischlager für dauerhafteren Betrieb in den Büchern stehen. Zur Krönung wurde dies alles im Juni 2017 in einem privatrechtlicher Vertrag zwischen den Energieversorgungsunternehmen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie festgezurrt.
Welche Haken und Ösen diese technischen und rechtlichen Konstruktionen haben, wollen wir in den nächsten Ausgaben der BUZ näher beleuchten.
Erschienen in der BUZ 5-2017
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