Ein Gastkommentar zur zentralen Herausforderung für die Zukunft der Europäischen Union von Prof. Dr. Ludger Kühnhardt; Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI)
Prof. Dr. Ludger Kühnhardt
Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI)
Inmitten der vielen für Unruhe und Unsicherheit sorgenden Nachrichten des vergangenen Jahres ging eine Meldung weitgehend unter: 71 Prozent aller Jugendlichen in den Ländern der Europäischen Union sind davon überzeugt, dass die EU eine gute Sache ist. 71 Prozent aller 16- bis 26-Jährigen sagen „Ja“ zu Europa. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hat aber auch die ganze Widersprüchlichkeit aufgezeigt, die das heutige Europa lähmt. Die jungen Europäer, die die EU für unverzichtbar halten, misstrauen zugleich genau denen, die an Antworten für Europa arbeiten. Nur 33 Prozent, also nur jeder Dritte junge Erwachsene hat Vertrauen in die Arbeit des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Kommission. Dass Kirchen, Gewerkschaften, Medien und politische Parteien noch schlechter abschneiden, macht das EU-Problem nur noch deutlicher: Der Rahmen stimmt, das Bild, das in ihm hängt, passt nicht. Anders gesagt: Nicht die Europäische Union ist das Problem, sondern die Art, wie sie sich darstellt, was sie tut, wer sie führt und vor allem: wer sie behindert, zu tun, was sie tun müsste.
Am meisten Veränderung wollen die jungen Menschen übrigens dort, wo sie leben. Das politische System in ihrem jeweiligen Heimatland müsse verändert werden, sagen viele. Eine Mehrheit ist es sogar dort, wo Jugendarbeitslosigkeit am höchsten ist, in Griechenland, Italien und Spanien. Die jungen Menschen wissen offenbar besser als viele derer, die politisch aktiv sind: Nicht die Europäische Union ist das Hauptproblem. Das Hauptproblem sind verschleppte Reformen in einzelnen Ländern, aber auch unterschiedliche Herangehensweisen und Identitäten in der EU, die nicht durch ein absolut gesetztes, angeblich allgemeinverbindliches Werteverständnis aufgehoben werden können. Das zweite Hauptproblem der Europäischen Union ist der fehlende Wille von Mitgliedsstaaten, Kompromisse einzugehen, die gemeinsame europäische Lösungen erst möglich machen. Und das dritte Hauptproblem besteht darin, das eine mit dem anderen zu verwechseln oder, schlimmer noch, einmal Vereinbartes nicht zu verwirklichen und Regeln, die man sich gegeben hat, nicht einzuhalten. Kein Wunder, dass die jungen Menschen genau wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Sie wissen auch, was sie von der Europäischen Union erwarten: gemeinsame Antworten auf die großen gemeinsamen Herausforderungen. Terrorismusbekämpfung, Umwelt- und Klimaschutz, die Regulierung der Einwanderung nach Europa, Bildung und Forschung – diese Themen werden immer wieder von jungen Menschen genannt, wenn sie gefragt werden, was sie von der EU erwarten. Aber wie kommen wir zu Lösungen dort, wo die Gräben in der Europäischen Union oft so unüberbrückbar erscheinen und es, da gibt es nichts zu beschönigen, derzeit auch häufig sind?
Im Mai dieses Jahres können wir alle, ob jung oder alt, engagiert oder frustriert, darüber entscheiden, wie sich die Europäische Union und alle ihre – wenn es denn zum Brexit kommt – über 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger für die nächsten fünf Jahre politisch aufstellt. Wir können darüber entscheiden, wie der Rahmen aussieht, in den hinein neue politische Bilder gemalt werden. Wir können das größte demokratische Parlament der Welt wählen. Wissen wir eigentlich, was wir versäumen, wenn wir im Mai 2019 nicht wählen gehen?
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