Wie die Natur die Baukultur beflügelt

7. April 2021 | Nachhaltigkeit, Ökologie, Susanna Allmis-Hiergeist | 0 Kommentare

Bauen nach der Natur

Vier Millionen Jahre hatte die Evolution Zeit, geniale Erfindungen zum Beispiel für den Schutz vor Witterung, die Vorratshaltung oder die Aufzucht des Nachwuchses hervorzubringen. Grund genug für die vergleichsweise junge menschliche Baukultur, konstruktive Lösungen im Tier- und Pflanzenreich als Ideengeber zu nutzen. Einige interessante Inspirationsquellen und ihre heutige Weiterentwicklung in Architektur, Konstruktion und Gestaltung möchten wir Ihnen im Folgenden vorstellen.

Susanna Allmis-Hiergeist

Das kreative Übertragen von Anregungen aus der Biologie auf die Fragestellungen anderer Wissenschaftsbereiche wird unter dem Begriff Bionik zusammengefasst. Dabei wird eine Entdeckung aus der Natur nicht einfach nur kopiert. Grundlegende Bauprinzipien oder Wirkmechanismen werden imitiert, aber unter Umständen mit ganz anderen Materialien oder in veränderten Dimensionen. Ein Teilgebiet dieser relativ jungen Wissenschaft ist die Baubionik.

Leben in der WG

Das Leben in einem Bienenstock ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Die bekannte Struktur der Bienenwaben aus dicht an dicht gepackten Sechsecken dient der Speicherung von Honig, der Brutpflege, aber auch als Rückzugsraum für eine kleine Siesta der Arbeiterinnen. Die verwendete Hexagonalanordnung ist bei minimalem Materialeinsatz ungewöhnlich stabil – man könnte von Bee-onik sprechen. Die durch die Körperwärme der Bienen sehr filigran ausgeformten wächsernen Wände speichern bei etwa 40 Gramm Materialeinsatz bis zu zwei Kilogramm Honig. Die Stabilität gegen Belastungen wird durch eine optimierte Druckableitung über die Ecken der 120-Grad-Winkel und eine bestmögliche Verteilung auf die Gesamtstruktur erreicht. Dieses Bauprinzip ist ideal im Leichtbau, für Hallen oder auch bei Kuppeldecken.

Auch die Beheizung des Stocks im Winter ist effizient gelöst. In der sogenannten Wintertraube sitzt die Königin quasi in einem schützenden Mantel gebildet aus Arbeiterinnen, die mit Muskelkontraktionen Wärme erzeugen und eine Temperatur von circa 25 Grad halten. Die Bienen im kalten Außenbereich werden vom „inner circle“ gefüttert und von Zeit zu Zeit abgelöst.

Temperaturstabilisierung ist auch ein wichtiges Überlebensthema für die Völker der Ameisen und Termiten. An sonnigen Hügeln sind Ameisenhügel eher breit und flach gebaut, in schattigen Wäldern dagegen spitz und hoch. Ziel ist es, standortabhängig die maximale Sonneneinstrahlung einzufangen. Die Streukuppeln aus Nadeln, Rinden und kleinen Holzstückchen vermodern und stellen so mit der Stoffwechselwärme der Ameisen selbst eine zusätzliche natürliche Heizung dar. Im Frühjahr wird Körperwärme aus Sonnenbädern im Freien genutzt, um später damit die Winterkälte aus dem Nest zu vertreiben.

Spezialistinnen in Sachen Klimatechnik sind die im heißen Afrika lebenden Termiten. Ihre hohen Bauten beherbergen ein zusammenhängendes System von Lüftungsschächten. Darin sorgt ein atmender Kreislauf dafür, dass sich frische sauerstoffreiche Luft auf dem Weg zum bewohnten Zentrum abkühlt. In der Umkehrrichtung erzeugt in einem Mittelschacht von der Kolonie aufsteigende warme Luft einen Unterdruck, der die abgekühlte und verbrauchte Luft wieder nach oben zieht. Diesem Prinzip folgend wurde in Harare/Simbabwe das Einkaufs- und Bürogebäude „Eastgate Centre“ gänzlich ohne technisch unterstützende Klimatisierung gebaut.

Klassisch, aber voller Übermut baut der Zaunkönig. Von seinen vielen sorgfältig gearbeiteten Spielnestern (Brehm) kann sich seine Partnerin das für sie schönste aussuchen. Die übrigen „Tiny Houses“ werden als Schlafstätten vom Rest der Großfamilie, von Kollegen oder Haselmäusen genutzt.

In die Höhe bauen

Insbesondere bei hohen Gebäuden ist die Konstruktion des lasttragenden Fundaments sowie die Begrenzung des dafür aufzuwendenden Betons und des Gewichts von Bedeutung. Hier lohnt sich ein Blick in den Ideenvorrat beim Knochenbau, den man zum Beispiel beim Eiffelturm wiederfinden kann. Wie bei einem Haifischzahn leitet die Spitze des Metallkörpers auftretende Belastungen in die breite Verankerung im Boden ab. Den Wirbeltierknochen nachempfunden ist die Vielzahl an material- und gewichtsparenden Hohlräumen, die nur an Punkten, an denen hohe Zug- und Druckkräfte wirken, mit Knochenbälkchen bzw. beim Turm mit Metallstreben voneinander abgegrenzt werden.

Aber auch die Pflanzenwelt liefert Hinweise für statisch ambitioniertes Bauen. So hat zum Beispiel in den 80er Jahren der Hamburger Architekt Baller in Berlin am Franklin-Ufer ein organisch wirkendes Haus (Balkone wie Lotusblüten) mit mehreren Geschossen gebaut, bei dem die Stützen schräg sind, weil so die Lastabtragung optimiert wird.

Aktuelle Forschung zum Thema betreibt Professor Thomas Speck am Lehrstuhl „Funktionelle Morphologie und Bionik“ an der Universität Freiburg und als Direktor des Botanischen Gartens. Eines seiner Forschungsprojekte ist der „Technische Pflanzenhalm“. Vorbild ist hier der Riesenschachtelhalm – mit seinen zwei Metern ein Hochhaus im Grünen. Innen hohl, stützt den teleskopartig empor geschobenen Halm ein außen angebrachtes Kammersystem. Dieser röhrenartige Aufbau wird in Faserverbundstrukturen nachgebaut, die sich zusätzlich die Faserverteilung in Bambus – und Pfahlrohrhalmen zu Nutze machen. Bei solchen Tragstrukturen für große Gebäude können die technischen Halme mit Leichtbeton, aber auch mit Installationskabeln befüllt werden. Bei gleicher Stabilität werden ein Drittel Betonmasse und CO₂-Ausstoß eingespart.

Weit aufspannen

Die wenigsten haben wahrscheinlich ein gutes Verhältnis zu den Zitterspinnen. Sie gehören nämlich nicht etwa einer exotischen Spezies an, sondern jagen mit ihren weit ausschwingenden Netzen mit Vorliebe in unseren Kellern und Garagen. Eine Vielzahl von kreuz und quer gewebten Fäden bildet ein stellenweise verdichtetes Gewebe, das mit zahlreichen Haltefäden an Stützpunkten abgespannt ist. Irgendwo zusammengerollt in der Mitte sitzt die Jägerin, und wenn sie bei Beuteeintrag losstürmt, „erzittert“ ihr Revier. Vom Konstruktionsprinzip her werden dabei Druckbelastungen über die Haltefäden abgeleitet; die dünnen Fäden des Netzes müssen nur eventuell auftretenden Zugbelastungen standhalten.

Der Netzkunst dieser Spinnenart ist das 1972 errichtete Dach des Münchener Olympiastadions nachempfunden. 74.800 Quadratmeter lichtdurchlässigen Plexiglases schweben zwischen 58 mit Stahlseilgeflechten abgespannten Masten. Trotz der luftigen Form weist die Konstruktion eine hohe Stabilität auf. Beim nächsten Gang in den Keller können wir Ähnliches im Kleinen (vielleicht mit freundlicherem Interesse) studieren.

Erschienen in der BUZ 2_21

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