Wenn Sportler Röcke tragen

1. Mai 2019 | Gesellschaft | 0 Kommentare

Die bewegte Geschichte des Frauensports

Mit der Debatte um die Tennisspielerin Serena Williams wurden „Frauen in Bewegung“ in den letzten Monaten plötzlich (wieder) zu einem gesellschaftlich diskutierten Thema und in den Medien wurde sich viel mit dem Themenkomplex Sport und Feminismus auseinandergesetzt. Dabei ist die Frage danach, was Frauen eigentlich im Sport zu suchen haben, alt wie der schweißtreibende Zeitvertreib selbst. Nur bei den Antworten scheiden sich nach wie vor die Geister.

Hanna Große

Der Denkanstoß

Serena Williams ist unbestritten eine der, wenn nicht sogar DIE beste Tennisspielerin der Welt. Sie selbst hält allerdings nicht viel von dieser Bezeichnung. Ihrer Ansicht nach, ist sie eher einer der besten Tennisspieler der Welt. Und das hat nichts damit zu tun, dass sie sich als Mann fühlt, wie dieser Satz es (ins Deutsche übersetzt) vermuten lässt, sondern damit, dass sie es nicht einsieht, nicht direkt mit ihren männlichen Kollegen verglichen zu werden. Dass sie das Gefühl hat, in ihrem Sport zu Unrecht anders behandelt zu werden als diese, wurde beim Finale der letzten US-Open im September vergangenen Jahres besonders deutlich. Hier kam es zu einem Wutausbruch der Starspielerin gegenüber dem Schiedsrichter des Spiels, bei dem sie den Unparteiischen einen Lügner und einen Dieb nannte, weil er ihr zunächst eine Verwarnung und auf ihre wütenden Worte hin eine Spielstrafe gab.

Im Nachhinein bezeichnete sie den Mann als sexistisch, weil sie der Meinung war, dass ein männlicher Spieler an ihrer Stelle weniger streng behandelt worden wäre. Williams betont in Interviews immer wieder, sie verstehe sich selbst als Botschafterin starker Frauen und kämpfe für die Rechte und Anerkennung ihres Geschlechts. Aber ging Williams hier zu weit? Die vollkommene Gleichstellung aller Geschlechter in einem Feld, das so stark von biologischen Voraussetzungen abhängt, scheint ein Ding des Unmöglichen. Aber das hielt bisher wenige Frauen davon ab, für Ihr Recht auf Bewegung zu kämpfen.

Sie ist Mutter

In mehreren Berichten des Guardian und des Spiegels wird immer wieder die Tatsache erwähnt, dass Serena Williams ja seit Kurzem Mutter sei. Die Autoren hüten sich meist, zu beurteilen, wie schnell sie nach der Geburt ihrer Tochter wieder in den Profisport zurückgekehrt ist; die Mutterschaft wird stattdessen oft als Entschuldigung dafür genommen, warum eine emotionale „Überreaktion“ ihrerseits völlig normal, ja fast zu erwarten sei. Trotzdem dürften diese Kommentare das Lager derjenigen befeuern, die der Meinung sind, dass Frauen im Profisport ohnehin nichts zu suchen hätten und sich lieber auf ihre gesellschaftliche Rolle als Hausfrau und Mutter konzentrieren sollten.

Vor allem Letzteres galt lange als Argument gegen das zu extreme Sporteln, schließlich ist Sport ja Mord und wenn nicht, dann beeinträchtigt er zumindest die lebenswichtige Gebärfähigkeit junger Frauen. Schließlich wurde das Skispringen für Frauen nicht ohne Grund erst bei den Winterspielen 2014 olympisch: die Sportmedizin (nach wie vor eine Männerdomäne) war lange davon überzeugt, der Sport würde den Reproduktionsorganen der Frau schaden. Wenn ein Sport jedoch als eindeutig ungefährlich eingestuft wird, dann hat die teilnehmende Frau diesen so sexy wie möglich auszuführen. Diesen Eindruck bekommt man zumindest immer wieder bei Sportarten wie Beachvolleyball, Turnen und sämtlichen Tanzsportarten. So viel Haut wie möglich, so viel Stoff wie nötig, ist hier oft die Devise. Es scheint, dass das Zuschauen bei Frauen in Bewegung nur dann ein angenehmer Zeitvertreib ist, wenn dabei die sexuelle Gier des Mannes ein wenig befriedigt wird. Hierfür wurde sogar bereits ein Begriff geprägt: Die „Spornofizierung“; die Wortherkunft bedarf wohl keiner weiteren Erklärung.

Dies gilt selbstverständlich keineswegs für alle Männer und auch nicht für alle Sportarten. Nichtsdestotrotz wird in vielen Sportarten erwartet, dass die Schönheitsideale der Frau von den Sportlerinnen plakativ repräsentiert werden. Hierzu stellten Roth und Basow in Feminity, Sports and Feminism fest, dass roter Lippenstift und kurze Röcke gekonnt davon ablenken, wie viel Kraft zum Beispiel für einen Dreifach-Axel (ein besonders anspruchsvoller Sprung im Eiskunstlauf) vonnöten ist.

Zumindest bei musikalisch untermalten Sportarten mit künstlerischem Schwerpunkt bleibt ein gewisser ästhetischer Anspruch der – beziehungeweise an die – Künstlerinnen jedoch nachvollziehbar. Doch selbst bei weniger künstlerischen Sportarten wie Tennis, Feldhockey und sogar dem Boxen galt für Frauen lange Zeit eine Rockpflicht; dass ein Rock zwar vielleicht elegant, aber je nach Länge sehr unpraktisch beim Sport ist, steht wohl außer Frage. Vor Kurzem schaffte es außerdem ein extrem erfolgreiches junges kanadisches Schwimmerinnnentalent nur mit der schönen Alliteration „Pretty Penny“ auf die Titelseite einer großen Zeitung und einer weiteren jungen kanadischen Kollegin wird nachgesagt, sie wolle ja gar nicht gewinnen, sondern sei nur mit ihrem Image in den sozialen Medien beschäftigt. Es scheint nach wie vor zu gelten: eine Frau hat schön zu sein, nicht kraftvoll. Wenn dann aber doch mal schlicht und ergreifend die schiere Kraft einer Frau das Publikum zwingt, die Stärke dieses Geschlechts anzuerkennen, wird dieser Frau sehr schnell jegliche Weiblichkeit abgeprochen. „Zu viele Muskeln sind einfach nicht mehr schön“, „Sie ist doch bestimmt eine Lesbe“ oder „Da muss ein Chromosomenfehler vorliegen“, heißt es dann schnell.

Kein Wunder, dass viele junge Frauen selber schnell ihre eigene Kraft und die ihrer Geschlechtsgenossinnen herunterspielen, um sich ihre Weiblichkeit zu bewahren. Schließlich hat nicht mal Pippi Langstrumpf große, „männliche“ Muskeln; sie ist einfach so stärker als jeder Mann. Ja, die Durchschnittsfrau ist biologisch bedingt kleiner und schwächer als der Durchschnittsmann. Der nicht unerhebliche Überschneidungsbereich zwischen den schwachen Männern und den starken Frauen wird jedoch oft übersehen und die Feststellung „Frauen sind schwächer“ schnell verwechselt mit „Frauen sind schwach“. Bleibt die Frage, warum man sich Frauensport ansehen sollte (außer wegen der schönen Beine) oder warum gar Frauen gegen Männer antreten sollten, wenn die stärkste Frau niemals so stark sein wird wie der stärkste Mann.

Kleine Schritte

Diese Frage konnte bis heute niemand entgültig überzeugend beantworten und auch, wenn viele Sportarten nicht einmal vorranging Kraft, sondern oft besonders Technik und Geschicklichkeit erfordern, treten die beiden Geschlechter im Profisport bis heute nicht direkt gegeneinander an. Frauen werden nicht direkt mit Männern verglichen und „Basta“. Schließlich verlören nicht wenige spektakuläre Wettkämpfe ihren Reiz, wenn jeder sehen könnte, dass eine Frau genau das Gleiche kann wie ein Mann. Hiermit argumentierte zumindest ein männlicher Klippenspringer dafür, eine Frau aus seinem Wettkampf auszuschließen. Da Fußball als besonders männlich und brutal galt, war dieser Sport sogar (oder vielleicht erst recht) in großen Fußballnationen wie Deutschland und England viele Jahre lang für Frauen verboten.

Trotz aller Widrigkeiten eroberten die Frauen (auch mithilfe ihrer fast immer männlichen Trainer) aber nach und nach die meisten Disziplinen der Olympischen Spiele. Während bei den ersten Spielen mit weiblicher Beteiligung im Jahr 1900 noch 22 Frauen in Golf und Tennis antraten, waren 2016 in Rio mit 45 % fast die Hälfte aller Teilnehmer weiblich. Auch die Anzahl der Disziplinen hat sich nach und nach erhöht. Erst durften die Frauen turnen, später kam Gymnasik dazu, dann Kampfspiele, Schwimmen und die Leichtathletik. Eins hat sich hier jedoch bisher nicht geändert: Die Frauenwettkämpfe werden zwar immerhin auch ausgestrahlt, sie finden aber ausnahmslos am Nachmittag statt, während der Abend, also die „prime time“ den Männern vorbehalten ist. Auch finden die Wettkämpfe der Frauen in der Regel an aufeinanderfolgenden Tagen statt, während die Männer mindestens einen Tag Pause bekommen. Als großer Erfolg gilt hingegen, dass 2012 jedes Teilnehmerland mindestens eine Frau zu den Spielen in London geschickt hat. Besonders in den muslimischen Ländern haben die Sportlerinnen es jedoch weiterhin schwer, ihre sportliche Leidenschaft auszuleben und werden von Gesellschaft und Politik eher gehindert als unterstützt. Dafür, dass schon im antiken Griechenland im Rahmen von Feierlichkeiten zu Ehren der Göttin Hera Frauen in Wettrennen gegeneinander antraten, macht die Welt nach über 2000 Jahren im Frauensport immer noch erstaunlich kleine Schritte.

Große Wirkung

Aber auch kleine Schritte können eine große Wirkung haben. Denn auch abseits vom Profisport ist die Förderung des Frauensports immer wieder Anlass für Diskussionen. Frauen sind einfach zu klein, zu leicht, zu schwach und ihre Muskeln sind zu schlecht trainierbar – so die Argumente gegen extremen Leistungssport, aber auch gegen Ausdauer- und Kraftsport generell. Deswegen wurde auch im Schulsport die Förderung von Frauen und Mädchen lange Zeit vernachlässigt. Dabei gibt es unzählige Studien über die positiven Effekte des Sporttreibens – allen voran die Stärkung des Selbstbewusstseins. Mädchen, die Sport treiben, schätzen sich selbst besser ein was das Motivieren, das Führen und das Erreichen von Zielen angeht, als Mädchen, die keinen Sport treiben. Außerdem sorgt die regelmäßige Bewegung für eine geringeres Brustkrebsrisiko und für stärkere Knochen, also ein geringeres Risiko für Osteoporose.

Die sozialen Aspekte des gemeinsamen Sporttreibens sorgen dafür, dass sportliche Schülerinnen bessere Noten und Chancen auf einen höheren Bildungsabschluss haben, eher keine Drogen konsumieren und seltener ungewollt schwanger werden. Besonders getrenntgeschlechtlicher Sport sorgt dafür, dass Mädchen Führungfähigkeiten entwickeln, sich gegenseitig inspirieren können und eine Auszeit von der oft schon sexuell aufgeladenen Stimmung der Pubertät bekommen.

Zusammengenommen sorgt Sport dafür, dass junge Frauen mehr gesellschaftliche Macht und Respekt erhalten und, dass sie nicht so leicht in eine Opferrolle geraten. Für Frauen, die auch außerhalb einer Mutterrolle gesellschaftlich oder/und im Job etwas bewegen wollen, kann sportliche Betätigung also ein wichtiges Mittel zum Erfolg sein. Und weniger starke Männer profitieren vielleicht auch davon, wenn weder körperliche Stärke noch Schwäche als etwas rein Männliches oder rein Weibliches gilt, sondern jede und jeder die selbe Chance und Wahl hat, im Sport einen Teil der Selbstverwirklichung zu leben – oder eben nicht.

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