Das Sterben der Bäume – Weckruf oder Gesundungsprozess?
Viele von uns erleben mit Betroffenheit, wie unübersehbar Teile unserer Wälder absterben. Fragen nach den Ursachen entstehen und ob uns das persönlich betrifft, vielleicht auch schon, ob wir etwas dagegen tun können.
Ingeborg Renckendorf, Greenpeace
Wenn vom Wald, zunächst unserem mitteleuropäischen Wald, gesprochen wird, ist als Erstes wichtig, wer etwas von seiner Sicht aus sagt.
- Waldbesitzende sehen oft die Baumstämme, verbunden mit Verkaufsberechnungen
- Pilzsammler*innen sehen die Pilze
- Jäger*innen sehen ihr Wild, die Rehe, Füchse und Wildschweine
- Landwirt*innen sehen die aus dem Wald kommenden Wildschweine, die beispielsweise ihre Wiesen umgraben
- Spaziergänger*innen sehen einen herrlichen Auslauf für ihre Hunde
- Manch einer sieht Platz, seinen lästigen Müll zu entsorgen
So bekommen wir vieles vom Wald, aber durch die einzelnen Interessen gerät man auch leicht in Missstimmung gegeneinander.
- Die Waldbesitzer*in ärgert sich über die Pilzsammler, die kreuz und quer durch den Wald laufen
- Die Förster*in meint, dass die Jäger zu viel Wild zulassen, dass die Jungbäume verbeißt
- Landwirt*innen beschweren sich, dass die Jäger zu viele Wildschweine zulassen
- Die Waldbesitzerinnen und Jägerinnen sind gegen die Hundebesitzer, die auf Hinweise auf das gefährdete Wild antworten mögen: “ Ich lasse meinen Hund trotzdem laufen!“
- Förster*innen und Waldbesitzer*innen beklagen sich über Müll entsorgende Zeitgenossen
Soweit der Wald aus unserer Perspektive. Und wenn wir die Aufmerksamkeit mehr auf den Wald richten?
Wir und der Wald
Da ist zunächst die Stille, wenn wir sie nicht unterbrechen. Der durch Beschattung und die wasserspendende Transpiration der Pflanzen meist feuchte Boden trägt im Wald zu einem kühleren Kleinklima bei als es im offenen Land möglich ist.
Wenn es draußen eisig und stürmisch wird, schafft der Windschutz der Bäume eine wärmere Atmosphäre. Im Frühjahr vermittelt die Fülle zarter, schöner Blumen ein angenehmes Wohlgefühl. Mit etwas Glück sind auch Tiere zu beobachten.
Der Wald und wir
Der Wald hält so vieles für uns bereit, was wir gar nicht direkt wahrnehmen oder uns klar machen können. Beispielsweise entnimmt er der Luft mit seinen grünen Blattorganen bei Tag ständig Kohlendioxid und stellt durch Verarbeitung des Kohlenstoffs seine Blätter, sein Holz und vieles andere her; dabei gibt er Sauerstoff ab (Photosynthese). Das Grün der Blätter wirkt auf uns Menschen beruhigend und harmonisierend, während die gelben und roten Herbstfarben eher ermunternd und ermutigend wirken. Dazu kommt das warme Braun des Bodens und der Stämme, das einen zuverlässigen Eindruck macht und Geborgenheit vermittelt.
Der Wald
Was ist der Wald wirklich? Sein verschwiegenes Leben lässt sich etwa dort erahnen, wo wir Pilze auf feuchtem Boden oder auch an modernden Stümpfen und Ästen sehen Wir sehen allerdings nur die Fruchtkörper der Pilze, so als würden von einem Apfelbaum nur die Äpfel aus dem Boden ragen. Der Pilz selbst lebt unter der Bodenoberfläche und besteht aus weißen, zarten Fäden, mit denen er Wurzeln, abgefallene Blätter und Zweige und Unmengen an Humuskrümeln umschlingt
Er ernährt sich davon, dass er alles Alte und Modernde auflöst. Gleichzeitig ernährt und versorgt er aber auch die grünen Pflanzen, deren Wurzeln er umschlingt. Er versorgt sie mit Salzen, Kohlendioxid und Wasser. Sie ihrerseits „füttern“ ihn mit dem Zucker, den sie in ihrer Photosynthese bilden. Ein enges gegenseitiges Geben und Nehmen, eine Symbiose. Diese Symbiose heißt Mykorrhiza. Wir müssen uns vorstellen, dass dieses weiße Fadennetz (Mycel) in einem gesunden Wald den gesamten Boden durchzieht und alle Pflanzen miteinander verbindet. In Oregon,USA, entdeckten Wissenschaftler das Mycel eines einzigen Hallimasch-Pilzes, das sich über eine Fläche von neun Quadratkilometern ausgebreitet hatte.
In dieses lebendige Netz sind weiter alle Bodenorganismen einbezogen, allen voran die Ameisen, die durch ihre Tätigkeiten den Boden belüften, so dass die Pilze mehr Sauerstoff atmen können. Die Ameisen pflegen aber auch Blattläuse, von deren ausgeschiedenem Zuckersaft Bienen leben können. Die wiederum bestäuben die blühenden Bäume und Stauden, deren Samen die Vögel weitertragen und verbreiten, wobei sie sich aber auch von den vielen Blattläusen ernähren. Es ist eine riesige Symbiose, deren Mitglieder „selbstlos“, unbewusst für einander sorgen: In von Spechten gezimmerte Baumhöhlen ziehen später zum Beispiel Fledermäuse ein, die Früchte der Bäume ernähren Mäuse, Eichhörnchen und andere Tiere. Und deren Kot wiederum düngt die Bäume.
Es gibt hier in diesen riesigen Netzwerken keinen Anfang und kein Ende, alles hängt miteinander zusammen. Insofern gleicht der Wald einem Organismus mit seinen Organen, so wie in unserem Körper ja auch alles miteinander zusammenhängt. Von diesem geordneten Zusammenhang hängt unsere Gesundheit ab; ebenso die des Waldes.
Die gegenwärtige Situation
Allerdings gibt es solche gesunden Wälder in Deutschland fast gar nicht mehr. Denn was wir „Wald“ nennen, das sind Forste, Wirtschaftswälder und oft nur Holzplantagen. Dazu kommt, dass aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten vielfach Baumarten gepflanzt wurden, die hier nicht heimisch sind, und – von da her geschwächt – weniger Widerstandskraft haben. Die eben beschriebene Symbiose ist hierzulande nur noch teilweise verwirklicht. Damit mag es zusammenhängen, dass in der jetzigen ungewöhnlichen Klima- und Wettersituation die Forste dem Stress nicht standhalten und zuerst dort, wo sie als Monokultur gehalten werden, absterben.
Historisch haben die Menschen unsere Wälder verschieden erlebt:
- Im Altertum und im Mittelalter wirkten sie bedrohlich, der Lebensunterhalt musste ihnen durch Rodungen abgerungen werden
- In der Neuzeit mit zunehmender Technisierung wurde und wird die gesamte Natur ausgenutzt bis zur Zerstörung
- In unserer Zeit, in der die Natur und ihr Wald ausgebeutet am Boden liegen, muss eine schützende und pflegende Haltung greifen, die die Natur wieder wachsen lässt und das Geben gegenüber dem Nehmen betont
So wird überlegt, mindestens Teile der Forste sich natürlich regenerieren zu lassen. Sie würden es als Mischwälder, vorwiegend mit Laubbäumen, tun. Das würde lange dauern. Einerseits könnte mit einheimischen Baumarten nachgeholfen werden. Andererseits wäre abzuwarten, ob unser Klima sich weiter zum Wärmeren wandelt, und ob man dann sogar Baumarten aus südlicheren Breiten einfügt, die längere Hitze- und Trockenperioden vertragen.
In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ist auch zu bedenken, dass durch einen Bergbau, der tiefe Senken schafft, in weitem Umkreis das Grundwasser abgesenkt wird und von den Baumwurzeln nicht mehr erreicht werden kann.
Es ist ein großes Thema, für das es zunächst einmal wichtig ist, dass wir uns sachgemäß, hier bedeutet das vom Leben des Waldes her, damit beschäftigen. Denn, ob wir es deutlich wahrnehmen oder nicht: die Wälder haben auf unser Leben großen Einfluss. Man stelle sich zum Vergleich vor, wie das Leben in einer Landschaft wäre, in der kein Wald mehr steht, so wie beispielsweise in weiten Teilen Spaniens oder Griechenlands.
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