Wer weiß schon, wie ich wirklich heiß´?

Wir wollen das Augenmerk auf unscheinbare, unspektakuläre Orte in Bonn richten. Darunter fallen unserer Meinung nach auch Bäche in Bonn. Es gibt hier viel mehr Bäche, als man denkt: 47. Aber wo sind sie bloß??


Esther und Andreas Reinecke-Lison


Im Stadtzentrum sind sie meist in unterir­disch verlaufende Kanalröhren gezwängt. Am Stadtrand werden sie oft über schnurgerade und vertiefte Läufe geführt, so dass man meinen kann, es handele sich um offene Abwasserka­näle. Manchmal führen sie so wenig Wasser, dass sie auf ihrem Weg verlanden (kein Wasser führen). Dagegen können sie bei Starkregen Stadtteile überschwemmen (Mehlem 2010, 2013, Godesberg 2016, Endenich 2004). Aber dafür können sie nichts. Die Bäche wurden über Jahrhunderte von Menschenhand so verändert, dass sie in einen Zustand ge­rieten, der gerade in Zeiten des Klimawandels solche Ereignisse hervorruft.

Wir möchten einen Bach vorstellen, der sich als „komplexes Gewässersystem“ (Schwedt) entpuppt. Ihn im Stadt- und Straßenbild sehen zu wollen, gleicht einer Schnitzeljagd. Auf seinem knapp neun Kilometer langen Weg zum Rhein spielen er und seine Zuflüsse immer wieder Verstecken. Und er stellt dabei eine besondere Gleichung auf:

Zwei plus sieben gleich Eins hoch Drei

Waldbaden © Reinecke-Lison

Zwei: Im Gebiet Niederholtorf/Ungarten/ Gut Ettenhausen gibt es zwei Quellbäche: Mersbach und Wielesbach.

Sieben: Auf seinem Weg erhält der Bach Unterstützung durch Zuflüsse von gleich sie­ben Bächen, deren Namen mal lieblich sind, mal schaudern lassen: Rosenbach, Weiden­bach, Steinbach, Wolfsbach, Alaunbach und Teufelsbach. Und es fließt ein Bach zu, der bis zum heutigen Tag den Menschen noch nicht einmal seinen Namen verraten hat und daher als „Namenloser Bach an der Vogelweide“ bezeichnet wird.

Eins hoch Drei: Auf seinem Weg ändert der Bach gleich dreimal seinen Namen. Vom Zusammenfluss der Quellbäche an ist er der Holtorfer Bach, ab Holzlar der Mühlenbach, schließlich ab Ortsende Vilich-Müldorf bis zur Mündung in den Rhein der Vilicher Bach. Letztendlich verwendet der Mensch diesen Namen in Wissenschaft und Literatur für den gesamten Bachverlauf.

Der Bach und alle Zuflüsse fließen ganz oder teilweise durch das „Naturschutzgebiet (NSG) Siebengebirge, Teilgebiet Ennert“. Der Wolfsbach fließt von Roleber-Gielgen aus nach Heidebergen im NSG „Wolfsbachtal“, einem Muldental mit steilen Talkanten. Der Steinbach fließt durch das kleinste NSG Bonns, „Weiers Wiesen“, ein Feuchtwiesengebiet, das in Holz­lar inmitten von Häusersiedlungen liegt. Alle NSG sind artenreich, mit zum Teil gefährdeter Flora und Fauna der Roten Liste, und müssen sich gegen allerlei Begehrlichkeiten der Men­schen behaupten.

Station Quellgebiet

Waldbaden am Bach © Reinecke-Lison

Kurz nach der Bushaltestelle Ungarten in Richtung Gut Ettenhausen führt ein Feld­weg links leicht bergab. Noch bevor wir den Mersbach erspähen konnten, sorgte ein Rinn­sal, das quer über den Weg in den Bach lief, für einen matschigen Wegabschnitt. Der Mersbach selbst verläuft hier in einem von vielen Pflan­zen und Gehölzen gesäumten Bachbett und kerbt sich entlang von Pferdekoppel-Wiesen in das leicht hügelige Gelände ein. Nach einiger Zeit ist es nicht mehr möglich, entlang des Bachverlaufs zu spazieren. Denn wir befinden uns schon hier in einem NSG, also einem Gebiet, in dem Räume für Pflanzen und Tiere vorbehalten sind, von Menschen unberührt sein sollen. Ein Blick zwischen Bäumen hinunter in das steil abfallende Kerbtal lässt uns die Stelle erahnen, wo sich beide Quellbäche zum Holt­orfer Bach vereinigen.

Station Holtorfer Bach: Waldbaden

In Roleber zweigt von der Straße „Steina­cker“ ein Waldweg „Holtorf“ talwärts ab. Ab hier ist „Waldbaden“ möglich. Auf erdigem Untergrund stehend kann man den Wind, die Bäume, den Himmel weit über sich und das Laubrascheln auf sich einwirken lassen.

Einfach nur schön! Im Tal findet man den Holtorfer Bach wieder, sanft murmelnd, nun aber stark mäandernd (gewunden), friedlich, beinahe verwunschen.

Um dem Bachverlauf ab hier wieder folgen zu können, geht man vom Tal hinauf in Rich­tung Niederholtorf und entlang des Waldrands weiter zum Holzlarer See. Im August 2024 ist dieser Abschnitt wegen Bauarbeiten leider nicht begehbar; voraussichtlich erst wieder im Frühjahr 2025. Unsere nächste Station erreich­ten wir daher von Holzlar aus.

Station Holzlarer See: Renaturierung

Vor dem Hintergrund der Europäischen Was­serrahmenrichtlinie aus 2000 und dem Bonner Bachentwicklungsplan aus 2008 sind der von Menschenhand geschaffene Holzlarer See und der Holtorfer Bach zwischen 2020 und Mai 2023 renaturiert worden. Der Bach umgeht jetzt den See, der als Hochwasser-Rückhal­tebecken dient und mit Schilf bewachsen ist. Der Bach verläuft nun in leichten Mäandern, mit bepflanzter Böschung, soll Lebensgrund­lage für Kleinlebewesen und Insekten bieten. Maßnahmen zur Renaturierung von Bächen in Städten dienen nicht nur der Entwicklung der Natur, sondern bieten den Menschen neue Erholungsräume und nicht zuletzt einen Hoch­wasserschutz.

Station Holzlarer Mühle

Die Holzlarer Mühle ist die letzte funkti­onsfähige historische Wassermühle im Bonner Stadtgebiet. Sie wird 1502 in einer Urkunde erstmals erwähnt. Der Mühlenverein sorgt in ehrenamtlicher Arbeit für den Erhalt der Müh­le, die seit 1988 unter Denkmalschutz steht. 2020 wurde das Wasserrad erneuert. Die nächs­ten Besichtigungen und Vorführungen gibt es am Tag des offenen Denkmals (8.9.2024). Im Dezember findet ein kleiner Weihnachtsmarkt statt, auf dem Kunsthandwerk und Handel des Ortes präsent sind. Lange Zeit war dort auch die Mutter der Autorin vertreten, die in Roleber mehrere Jahrzehnte lang die kleine Buchhandlung Reinecke führte.

Station Naturfreunde-Garten: Natur und Solidarität

Naturferner Bachverlauf an Naturfreunde Garten © Reinecke-Lison

Während der Bach nach Unterquerung der Bahntrasse Beuel-Köln, in Richtung Wasser­burg Lede renaturiert wurde (als ökologischer Ausgleich zum Ausbau der Bahnstrecke S13), ist er in Höhe von Schwarzrheindorf begradigt und in ein tiefes Kanalbett gezwängt. So fließt er auch am Garten der Naturfreunde Bonn vor­bei. Ein trauriger Anblick. Es ist eine Ironie der Dinge, dass sich gerade am Garten eines natur­verbundenen Vereins ein naturfern gestalteter Bachlauf, fernab von den Überzeugungen des Vereins, befindet.

„Die Naturfreunde“ wurden 1895 in Wien als Naturerholungsverein für Arbeiter gegrün­det. Neben der Liebe zur Natur wurden immer schon Bildung und Wissen vermittelt. Ein Mitglied der Naturfreunde war Willy Brandt (siehe BUZ 2/2017) Bis 1933 wuchsen sie zu einem internationalen Verbund heran. Während der NS-Zeit wurden sie verboten. Bis heute werden von den Naturfreunden die Werte von Naturschutz, Frieden, Solidari­tät und Gemeinschaft aufrechterhalten. Das wird auch von den Naturfreunden Bonn, die seit 1913 bestehen, beherzigt, gepflegt und weitergeben. In deren Garten in Schwarzr­heindorf finden regelmäßig Konzerte statt, das nächste am 29. August. Klaus der Geiger ist hier öfters zu hören. Es gibt Kindergruppen, wie etwa die Gummistiefelbande, und in den Sommerferien Kinder-Aktionswochen. In der diesjährigen „Wasserwoche“ haben 25 Kinder gemalt und gebastelt, eine Bachwanderung unternommen, Wasser untersucht. Höhepunkt war eine Schifffahrt auf dem Rhein. An dessen Flusskilometer 658,5 endet die Reise des Vili­cher Bachs – wenn er denn bis dorthin Wasser führt: Am 17.8.2024 verlandete er in Höhe des Gartens, tags darauf floss nach nächtlichem Dauerregen an derselben Stelle wieder ein kleiner Wasserlauf.

Informationsquellen:

Schwedt, G.: Bonner Bäche, 2022 // Lampa­siak, B.: Naturfreund sein, heißt Mensch sein, 2013 // naturfreundebonn.de // ennert.biosta­tion-bonn-rheinerft.de // Bundesstadt Bonn: Bachentwicklungsplan 2008 // WasserBlick: Wasserkörpersteckbrief Vilicher Bach, 2022


Naturfreunde im Nationalsozialismus (NS)

Viele mutige Naturfreunde, die im Wi­derstand gegen den Nationalsozialismus weiterarbeiteten, wurden inhaftiert und er­litten große Qualen durch die Schergen des NS-Regimes.

Auch Naturfreunde-Mitglied Rudolf Wunderlich widerfuhr dies. Er kam 1939 ins KZ Sachsenhausen. Dort beobachtete und erlitt er immenses Leid. Am 10. Juni 1944 konnte er aus dem KZ fliehen. Es gelang ihm, sich zu verstecken, seine Erlebnisse aufzu­schreiben, woraus ein Buch entstand. Er stand später in Prozessen gegen Verbrecher des NS-Regimes als Zeuge zur Verfügung.


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1 Kommentar

  1. Ein ganz wunderbarer Beitrag! Vielen Dank dafür!

    D. Jobst, GRÜNES Stadtratsmitglied in Bonn

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